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Kuno ist unser Trost

Seine Zwillingsschwester kam tot zur Welt. Dies geschieht öfter, als man denkt. Auch in Pirna finden Eltern nun Hilfe.

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Von Franz Werfel

Immer wenn der dreijährige Jamie Alexander den Sternenhimmel erblickt, freut er sich sehr. Denn dann kann er seine Schwester Alisa sehen. So haben es ihm Mama und Papa erklärt. Der kleine Junge musste sich im letzten Juli sehr wundern. Mama hatte einen dicken Bauch und gesagt, dass sie mal für ein paar Tage ins Krankenhaus müsse. Dafür käme sie dann mit einem kleinen Baby wieder zurück.

Sie kam aber allein. Wenn Jamie die Sterne sieht, drückt er die Hand seiner Mama ganz fest und schickt dem Schwesterchen in Gedanken ein Küsschen. Manchmal müssen dann beide ein wenig weinen. Meist aber sind sie ganz stark.

So wie Jamies Mutter, der 32-jährigen Anja Keßler aus Bielatal, ging es im Jahr 2013 vielen Frauen in ganz Deutschland. 2 556 Totgeburten, sogenannte Sternenkinder, hat das Statistische Bundesamt registriert. Allerdings werden nur Kinder erfasst, die bei ihrer Geburt mindestens 500 Gramm gewogen haben. Die wirkliche Zahl still geborener Kinder liegt also weitaus höher. Und dies betrifft nicht nur die ersten zwölf Schwangerschaftswochen. Sowohl Anja Keßler als auch ihre Pirnaer Freundin Susann Tittel brachten ihre Töchter in der 40. Woche zur Welt.

„Mit Alisa hatte ich eine gute Schwangerschaft, die Kleine war ganz normal entwickelt“, erzählt Anja Keßler. Dann, vier Tage vor dem Entbindungstermin, die Diagnose des Arztes: Ihr Kind ist tot.

Bei der 33-jährigen Susann Tittel schlug das Schicksal zweimal mit voller Härte zu. „Bei Frieda, meiner ersten still geborenen Tochter, sagten die Ärzte, ich müsse mir bei Folgeschwangerschaften keine Sorgen machen“, erzählt sie. Denn nur bei sehr wenigen Frauen, die ein lebloses Kind zur Welt bringen, tritt dieser Fall mehrfach ein. Doch der kleine Kuno verlor seine Zwillingsschwester Lola in der 20. Schwangerschaftswoche.

Keine Kurse mit glücklichen Müttern

„Ich liege dann auf der Wöchnerinnenstation und höre das Geschrei der gesunden Kinder und ihre fröhlichen Eltern“, sagt Susann Tittel. Für beide Frauen kam ein Rückbildungskurs zusammen mit Müttern gesunder Kinder auf keinen Fall infrage. Denn die bringen ihre Babys oft zu den Terminen mit, unterhalten sich über das Stillen und durchwachte Nächte. „Das konnten und wollten wir uns nicht antun.“ Halt fanden sie bei ihren Männern und in ihren Familien. Doch manchmal mussten sich die Frauen auch blöde Sprüche von Verwandten anhören wie: „Hab’ dich nicht so, du konntest ja noch gar keine Beziehung zu deinem Kind aufbauen.“ Doch das stimme nicht. Anja Keßler sagt: „Das Thema ist in der Öffentlichkeit leider tabu. Wir sind im System nicht vorgesehen.“

Deshalb haben die beiden Frauen nun die Initiative Sternenelternträume gegründet. Sie wollen für betroffene Eltern im Landkreis da sein und auch rechtliche Hinweise geben. So stünden Frauen bei Totgeburten ebenfalls Nachsorgehebammen zu, die die Krankenkassen bezahlen. Schwieriger wird es beim Mutterschutz. Denn wiegt das tote Kind nach seiner Geburt weniger als 500 Gramm, wird der nicht bezahlt. Obwohl ihn die Frauen besonders brauchen.

Doch auch ganz praktische Hilfe möchten Anja Keßler und Susann Tittel mit ihrer Initiative leisten. So haben sie sich mit einer Hebamme aus Rosenthal in Verbindung gesetzt, die Rückbildungskurse für Mütter mit verwaister Wiege anbietet. Den Kontakt zu einer Fotografin haben sie auch hergestellt. Susann Tittel: „Daran konnten mein Mann und ich nach der schlimmen Geburt nicht denken. Nun fehlen uns professionelle Familienfotos zur Erinnerung an Frieda.“

Eltern kommen in so einer Situation großer Not auch kaum auf die Idee, den kleinen Kindersarg zu bemalen. Susann Tittel ist dem Bestattungsinstitut noch heute dankbar, dass es sie und ihren Mann auf die Idee brachte. „Unsere erste Tochter Helen hat ihre Hände darauf gemalt – und so Abschied von Frieda genommen.“

Trost finden beide Mütter nun auch bei ihren Kindern. „Weil die ja da sind“, wie Susann Tittel sagt. So kuschelt die vierjährige Helen oft mit ihrem Brüderchen Kuno und sagt: „Es ist so schön, dass du atmest und nicht gestorben bist.“ Sind ihre Kinder traurig oder stellen sie Fragen, verarbeiten die Eltern ihre Trauer gleich mit. Dann besuchen sie das Schwesterchen auf dem Friedhof – und schauen in den Himmel, wo die kleinen Sterne wohnen.

Die Pirnaer Initiative ist nicht die einzige im Kreis, die sich um dieses tragische Thema kümmert. Seit 2002 steht auf dem Neustädter Friedhof ein Gedenkstein, der an ungeborene Kinder erinnert und für Betroffene ein Ort der Stille und der Trauer sein soll. Die Idee dazu hatte der Sebnitzer Verein Kaleb. In dem Verein engagiert sich der Steinmetz Matthias Bergmann, der den Gedenkstein entwarf. Kaleb veranstaltet seitdem regelmäßig Gottesdienste, zu denen betroffene Familien eingeladen sind.

Den ersten Themenabend für betroffene und interessierte Eltern bieten Susann Tittel und Anja Keßler am 10. April um 17 Uhr im Helios-Klinikum in Pirna an.
Susann Tittel ist erreichbar unter: 0172 9515244