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Leidenschaft für Altpapier und Lesestoff

Sabine Herrmann kauft in Pulsnitz Altpapier an. Und weil auch so viele Bücher mit bei ihr ankommen, gehört nun auch ein kleiner Buchladen zum Geschäft.

Von Reiner Hanke
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Pulsnitz

Kamenzer Straße

Altpapierankauf in Pulsnitz

Foto: René Plaul
Pulsnitz Kamenzer Straße Altpapierankauf in Pulsnitz Foto: René Plaul © - keine Angabe im huGO-Archivsys

Pulsnitz. Schon vor 9 Uhr rollen die ersten Fahrzeuge vor die Altpapiersammelstelle an der Nordstraße in Pulsnitz. Ein Familienvater stapelt Papierbündel, Kisten und Körbe voller Zeitungen und Zeitschriften auf die Waage – immerhin 150 Kilogramm bringt die Ladung. Der Erlös ist für die Klassenkasse der Tochter bestimmt: „Für einen Ausflug vielleicht“, sagt der Vater. Bücher sind nicht mit darunter. Die würde Chefin Sabine Herrmann sofort herausfischen. Denn die sollen nicht in den Schredder kommen. Im Firmen- und Wohngebäude gegenüber der Waage hat sie solche gedruckten Schätze fein säuberlich in Regale sortiert. Die reichen an allen Wänden bis zur Decke, weitere stehen im Raum.

Früher war in dem Gebäude einmal eine Autowaschanlage. Dort, wo die Autos unter die Bürsten kamen, sortiert Sabine Herrmann jetzt Bücher. Die nicht mehr brauchbar sind, werden zerlegt. Die Papp-Einbände dürfen nicht mit ins Altpapier. Seit 2017 ist die Pulsnitzerin hier im Geschäft und hat seit dem Vorjahr als Geschäftsführerin die Firma unter ihre Fittiche genommen. Sie konzentriert sich auf den Altpapierhandel und Buchverkauf. Altkleider werden nicht mehr angenommen – weil leider immer wieder viel Müll zwischen der Kleidung mit abgegeben worden sei. Aber der Altpapierankauf floriere. Viele Schulklassen füllen mit dem Altpapierverkauf ihre Klassenkassen. Inzwischen kommen sie von Königsbrück bis zum Rödertal. Über das Vertrauen freue sie sich, sagt Sabine Herrmann. Die meisten packen einfach den Kofferraum voll. 10 000 bis 12000 Kilogramm Altpapier kommen in der Woche zusammen, und die Chefin überlegt, ob sie noch einen Container aufstellt: „Ich habe schon mal eher schließen müssen, weil die Kapazitäten erschöpft waren.“ Manchmal sei der Andrang groß. Der neue Zaun des Nachbargrundstücks erschwere leider die Zufahrt. So bitte sie alle Kunden immer wieder, nicht draußen auf den Fußwegen zu parken und zum Entladen aufs Grundstück zu fahren: „Gegenseitige Rücksichtnahme ist gefragt“, sagt Sabine Herrmann.

Kisten voller Literatur

Die Bücher bringen die Kunden meist gleich getrennt vom Altapapier in Kisten. Die kommen aus Haushaltsauflösungen und Nachlässen. Oder haben ewig ungelesen im Schrank gestanden und sollten endlich wieder zu einer Leseratte finden. Manche Bücher sind noch eingeschweißt. Ein Teil der Bretniger Gemeinde-Bibliothek steht jetzt ebenfalls bei Sabine Herrmann im Regal und wartet auf neue Leser. Die Bibliothek wurde im Vorjahr geschlossen.

Vor zwei Jahren habe sie die Tierliebe mit dem Firmeninhaber zusammengebracht: „Ich habe den Hund gern mal ausgeführt.“ Daraus sei eine Freundschaft mit dem Besitzer geworden, der sich jetzt aber zur Ruhe setzen wolle. Nun sind Papier und Bücher ihr Nebenjob. Gern würde sie das Anwesen von der Stadt kaufen und sei dazu im Gespräch.

Ohne die hauptberufliche Tätigkeit im Pflegeheim auf der Bahnhofstraße gehe es aber nicht. Dort betreut Sabine Herrmann Senioren in der Tagespflege. Bereite ihnen die Mahlzeiten, sorge für Beschäftigung. Auch Spaziergänge gehören dazu. Oder Sabine Herrmann liest den alten Herrschaften etwas vor. An Bücher-Nachschub sollte es nicht mangeln.

Ein paar Kisten voller Literatur stehen an dem Tag noch im Verkaufsraum: „Die muss ich dann einsortieren“, sagt die Pulsnitzerin. Es seien immer mehr Bücher geworden. Deshalb sei sie derzeit noch dabei, die ganze Fülle nach Rubriken zu ordnen, um der Kundschaft die Suche zu erleichtern. Jedenfalls wäre es schade, um den ganzen Lesestoff. Es würde ihr in der Seele wehtun, wenn das alles in der Papiermühle landen würde. Wer hier geduldig stöbert, kann einige Raritäten zutage Fördern – zum Preis von einem Euro pro Buch. Da sind 100 Jahre alte Sammelalben für Zigarrenbilder, die damals sehr beliebt waren. Kuriositäten wie der „Gießereipraktiker“ aus den 1950er-Jahren stehen im Regal. Ein Foliant über den deutsch-französischen Krieg aus dem Jahre 1895 fällt auf. Ein anderes Werk beschäftigt sich mit 700 Jahren deutscher Humordichtung und der Rotterdamsche LLoyd mit Seekarten.

Vor allem Romane und Thriller gingen sehr gut: von Bestsellerautor Dan Brown bis zur Wanderhure. Die Thriller liegen in ehemaligen Apfelstiegen. Denn auch Obst wurde hier mal verkauft. Jetzt lagert hier geistige Nahrung. Kinderbücher habe sie ebenfalls viele, sagt Sabine Herrmann. Eine Rubrik Gesundheit ist zu finden. Raritäten wie Bild- und Kunstbände, Reiseführer und Bücher über die Tierwelt. Gerade die nehme sie selbst gern in die Hand, wenn Zeit dafür bleibt neben den Jobs. So arbeite sie auch viel am Wochenende in dem Altpapierhandel. Und ein Kunde sagt beim Stöbern: „Es ist gut, dass es so etwas gibt.“