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Letzte Weichenstellung

45 Jahre lang war das Stellwerk Weinböhla in Betrieb. Nun hat es ausgedient.

Von Peggy Zill
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Michael Becker an seinem letzten Arbeitstag: Am 29. März um 20.10 Uhr wurde das Bedienpult des Gleisbildstellwerks abgeschaltet. Die sieben Fahrdienstleiter werden auf anderen Stellwerken eingesetzt.
Michael Becker an seinem letzten Arbeitstag: Am 29. März um 20.10 Uhr wurde das Bedienpult des Gleisbildstellwerks abgeschaltet. Die sieben Fahrdienstleiter werden auf anderen Stellwerken eingesetzt. © Arvid Müller

Weinböhla. "Der Bahnhof Weinböhla war mein Bahnhof. Fast wie ein zweites Zuhause“, sagt Michael Becker. Der Weinböhlaer hatte es bisher nicht weit. Nun wird er in Großenhain arbeiten. Das Stellwerk in Weinböhla ist nur noch ein Paradies für Bahn-Nostalgiker: Am 29. März um 20.10 Uhr wurde das Bedienpult des Gleisbildstellwerks abgeschaltet.

Seit März 1975 in Betrieb, wurden hier 45 Jahre lang Weichen und Signale gestellt. Nun ist es stillgelegt, die Alttechnik wird ausgebaut, die sieben Fahrdienstleiter werden in anderen Stellwerken eingesetzt. Ihr Wissen ist hier nicht mehr nötig und wird nun an anderer Stelle gebraucht. Inzwischen hat auch in Weinböhla das digitale Zeitalter Einzug gehalten, steuert man die Züge aus der Ferne. Das neue elektronische Stellwerk Weinböhla wird am 3. Mai in Betrieb genommen. An diesem Tag wird in Weinböhla ein Kapitel Eisenbahngeschichte zu Ende gehen und ein neues beginnt. Dann stellen die Fahrdienstleiter in der Betriebszentrale Leipzig die Weichen für Weinböhla.

Der Fahrdienstleiter stoppte den letzten Zug, der Richtung Dresden unterwegs war. Was aus dem Stellwerksgebäude wird, steht noch nicht fest.
Der Fahrdienstleiter stoppte den letzten Zug, der Richtung Dresden unterwegs war. Was aus dem Stellwerksgebäude wird, steht noch nicht fest. © Arvid Müller

Michael Becker, seit 1977 Eisenbahner, hat es sich nicht nehmen lassen, persönlich die Tür seines alten Arbeitsplatzes abzuschließen. Vorher, am letzten Betriebstag, stoppte er den letzten Zug, der Richtung Dresden unterwegs war, überreichte dem Lokführer zur Erinnerung eine Urkunde. Der wusste gar nicht, dass er Teil eines historischen Moments ist. Der Zug war von Rotterdam nach Děčín unterwegs.

Die Lokführer werden nichts von der Umstellung merken. Außer, sie brauchen mal Hilfe vor Ort. „Ein Ansprechpartner mit Ortskenntnis ist manchmal besser“, sagt Becker. „Ich war gerne Fahrdienstleiter in Weinböhla.“ Damals, im November 1983, sei er der jüngste Leiter einer Dienststelle im Reichsbahn-Amtsbezirk Dresden gewesen. Wegen Personalmangel musste er sehr oft Fahrdienstleiterdienste übernehmen. „Das hatte mir mehr Freude bereitet, als Bahnhofchef zu sein.“ Deshalb entschied sich Becker 1985 für die Tätigkeit als Fahrdienstleiter.

Dem Lokführer eines letzten Zugs, für den Becker die Weichen gestellt hat, überreicht er eine kleine Erinnerung.
Dem Lokführer eines letzten Zugs, für den Becker die Weichen gestellt hat, überreicht er eine kleine Erinnerung. © Arvid Müller

Ein Job mit viel Verantwortung. Ohne Fahrdienstleiter bewegt sich nichts auf deutschen Schienen - auch wenn sie im alltäglichen Bahnbetrieb nicht sichtbar sind. Schon kleine Unaufmerksamkeiten können zum Unglück führen. Wenn Signale falsch gesetzt oder Weichen falsch gestellt sind.

Für damalige Zeiten war das Weinböhlaer Stellwerk topmodern, erzählt Michael Becker. „Die Stellwerkstechnik wird noch heute als solide angesehen. Sie war fast halbautomatisch, nicht störungsanfällig.“ Nur zwei Tasten waren nötig, um die Weichen für eine Fahrstraße zu stellen, während bei einem mechanischen Stellwerk viele Hebel betätigt werden mussten. Rund um die Uhr war das Stellwerk besetzt. 

Ausgestattet mit Technik, die den Laien nur staunen lässt. Da ist das alte Zugmeldetelefon, mit einem Schlumpfine-Aufkleber auf der Wählscheibe. „Damit wurde den benachbarten Stellen früher jeder Zug gemeldet“, erklärt Michael Becker. Später war das per Computer möglich. Automatische Zugnummernmeldeanlage nennt sich das. Sollte doch mal ein Anruf nötig sein, hatten die Fahrdienstleiter ein GSMR-Telefon, den digitalen Zugfunk. Ein weiterer Bildschirm zeigt das Information- und Leitsystem, mit allen aktuellen Daten zum Zug. Daneben steht das große Schaltpult, auf dem die Gleise wie auf einer Landkarte zu sehen sind. An den Eckpunkten sind kleine Knöpfe für die Signale angebracht. Drückt Becker auf einen Knopf, erscheint ein grüner Punkt. Das bedeutet: Der Zug darf fahren. Über einen anderen Knopf kann er die Weichen stellen. Ein bisschen wie Modellbahn.

Etwas traurig ist er, dass die Zeit im Weinböhlaer Stellwerk nun vorbei ist. „Es war schön“, sagt er abschließend.Dass das alte Stellwerk durch neue Technik ersetzt wird, ist Teil des Ausbaus der Strecke Dresden-Leipzig. Der Streckenabschnitt zwischen Dresden und Elsterwerda wird inklusive der dazugehörigen Verbindungskurve im Bereich des Haltepunktes Radebeul-Zitzschewig erneuert und mit elektronischer Stellwerkstechnik an die technischen Standards angepasst. 

Außerdem wurden die Brücken über die Meißner Straße an der Stadtgrenze von Coswig und Radebeul durch zwei neue ersetzt. Nach Abschluss der Arbeiten sind höhere Geschwindigkeiten bis 200 km/h und damit kürzere Fahrzeiten möglich. Am Sonntag, dem 3. Mai 2020, um genau 14 Uhr, soll der erste Zug auf der Strecke wieder rollen. Dafür sind vom 1. bis 3. Mai noch einmal umfangreiche Sperrungen erforderlich.

Informationen zum Fahrplan an diesem Wochenende erhalten Reisende an den Aushängen auf den Bahnhöfen, im MDR auf Texttafel 738, bei der Service-Nummer der Deutschen Bahn 101806996633 und unter www.bahn.de,www.deutschebahn.com/bauinfos, www.vvo-online.de sowie unter www.mitteldeutsche-regiobahn.de und www.laenderbahn.com/trilex.


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