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Löbaus Schatzkarte

Das Stadtarchiv bewahrt eine Landkarte von 1501 auf. Es ist erstaunlich, dass sie hier ist – und was sie zeigt.

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Von Gabriel Wandt

Wie sehen Straßenkarten aus, wenn sie ein paar Jahre in Benutzung waren? Meist ziemlich zerfleddert, obwohl sie im gut geschützten Auto herumfahren. Im Löbauer Stadtarchiv befindet sich eine Karte, die wahrscheinlich jahrhundertelang genutzt wurde – und dennoch erstaunlich gut erhalten ist. Noch dazu gibt es ein ähnliches Exemplar weltweit nur noch in der amerikanischen Universität Cambridge. Die Karte ist im Jahr 1501 entstanden. Seit 1780 gehört sie der Löbauer Ratsbibliothek. Seither liegt sie gut verwahrt im Archiv. In diesem Sommer allerdings geht sie auf große Reise, wie Stadtarchivar Jürgen Görner erzählt. „Weltvermesser“ heißt eine große Ausstellung im nordrhein-westfälischen Lemgo. Sie beginnt am 13. September und wird auch die Löbauer Karte zeigen. Denn das Exemplar in Cambridge wird kaum außerhalb der dortigen Uni gezeigt, und das misst der Löbauer Karte eine noch größere Bedeutung zu, als sie ohnehin schon hat.

Denn auch der Inhalt der Karte ist außergewöhnlich. Landkarten, die verlässliche Angaben zu tatsächlichen Entfernungen zwischen Städten machen, waren um 1500 noch die große Ausnahme. Die Löbauer Karte ist in Nürnberg entstanden. Erhard Etzlaub hat sie angefertigt – und seine Karten gelten als Wegbereiter der modernen Kartografie in Mitteleuropa.

Über Berichte von Kaufleuten hat er möglichst genaue Angaben darüber gesammelt, wie lang Reisen von einem Ort zum anderen sind, wo Städte liegen, wo Flüsse fließen. Aus diesen Angaben hat er seine Karte erstellt, und zwischen den Orten Punkte gesetzt. Jeder Punkt steht für eine deutsche Landmeile, die heute knapp acht Kilometer entspricht. Die Angaben sind erstaunlich präzise. So sind zwischen Görlitz und Bautzen fünf Punkte gesetzt, die rund 40 Kilometer entsprechen. Der Routenplaner von Google gibt für die kürzeste Strecke über Reichenbach und Weißenberg 43 Kilometer an.

Wer sie heute benutzen will, muss sich nur an eines gewöhnen: Die 41 mal 56 Zentimeter große Karte ist nach Süden ausgerichtet, Italien befindet sich auf der Darstellung also sozusagen oberhalb Deutschlands, Skandinavien darunter. Das hängt mit der Orientierung an der Sonne zusammen, erläutert der Stadtarchivar: Am Mittag stand die Sonne im Süden und war ein wichtiger Orientierungspunkt für Reisende. Dementsprechend wurden auch die ersten Karten gezeichnet.

Wie die Karte ihren Weg nach Löbau gefunden hat, darüber ist sehr wenig bekannt. Es gilt als wahrscheinlich, dass sie über Jahrhunderte Kaufleuten als Orientierung gedient hat. Wie viele Reisen sie tatsächlich unternommen hat, ist unklar. Doch Löbau hatte als Konventsstadt im Sechs-Städte-Bund weitreichende Handelsbeziehungen, und so könnte die Karte auf Handelswegen hierher gelangt sein. Vielleicht hat auch ein hiesiger Händler sie auf seinen Reisen in Nürnberg erworben. Sicher ist nur: Eines Tages ist sie in den Besitz des Löbauer Handelsmanns Gottlieb May gelangt. Der schenkte die Karte und einen Atlas schließlich der Löbauer Ratsbibliothek. Dort wurde die besondere Karte fortan gehütet. 1908 folgte dann die erste wissenschaftliche Untersuchung, die den Löbauern die Einzigartigkeit ihres Schatzes bestätigte – und die kurz darauf zu Überlegungen führte, ob die Stadt sie nicht zu Geld machen sollte. Denn Geld für kulturelle Dinge ist nicht nur heute knapp. Um 1910 war das nicht anders, und die Stadt wollte Museum und Archiv ordentlich aufbauen. Doch es fehlten die Mittel dazu. Interessenten für die Karte gab es genug, doch eine Direktive aus Dresden stoppte die Überlegungen. Sächsische Schätze sollten in Sachsen verbleiben, hieß es da, und so blieb die Karte vor Ort. Heute lässt sich ihr Wert eben wegen ihrer Einzigartigkeit in Zahlen kaum ausdrücken, sagt Jürgen Görner.

Genau deswegen wird sie sehr gut gehütet. Sehr selten wird sie für Ausstellungen weggegeben. Zuletzt war sie bei den Sächsischen Landesausstellungen 2011 im Görlitzer Kaisertrutz und 2004 in Torgau zu sehen. Nun wird sie unter strengen Sicherheitsregeln für den Transport nach Nordrhein-Westfalen vorbereitet. Die Schau in Lemgo zeigt, wie sich nach dem Mittelalter die neue Sicht auf die Welt entwickelt hat, wie geografische und astronomische Erkenntnisse zu diesem Fortschritt beigetragen haben. Wer nicht bis nach Lemgo reisen will, kann sich ein Duplikat der historischen Landkarte im Technischen Rathaus ansehen: Im Eingangsbereich des Archivs hat Jürgen Görner eine Kopie in doppelter Größe ausgestellt. Daran lassen sich sogar Reisen planen – ganz ohne elektronische Hilfe.

www.weltvermesser.de