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Lust aufs Land

Zwei Familien sanieren einen alten Dreiseithof in Mittelherwigsdorf. Einen mit Besonderheiten.

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Von Thomas Christmann

Sie sind glücklich. Auf dem Land leben, in einem Haus mit Platz für eine Großfamilie und einem dazugehörigen Grundstück, das den Kindern ein gefahrloses Spielen ermöglicht – all das findet die fünfköpfige Zittauer Familie Fiebiger bei ihrem Dreiseithof an der Hauptstraße 56 in Mittelherwigsdorf. Ehefrau Renate lobt darüber hinaus die Lage, den Blick aufs Zittauer Gebirge. „Einzigartig“, sagt die 32-Jährige.

Renate und Albrecht Fiebiger wollen mit ihren Kindern Josiah (Mitte), Anselm (rechts), Marthe sowie Michael Eichhorn (links) und seiner Familie 2016 in das Wohnhaus ziehen. Fotos: Rafael Sampedro, privat
Renate und Albrecht Fiebiger wollen mit ihren Kindern Josiah (Mitte), Anselm (rechts), Marthe sowie Michael Eichhorn (links) und seiner Familie 2016 in das Wohnhaus ziehen. Fotos: Rafael Sampedro, privat

Vor zwei Jahren haben sie und ihr Mann Albrecht das 5 500 Quadratmeter große Grundstück erworben. Bis zur Kaufentscheidung ließen sich die Hebamme und der Maschinenbauingenieur viel Zeit. Etliche andere Objekte schauten sich das Ehepaar nebenher an, fuhr bis Löbau und Bernstadt. Den seit kurz nach der Wende leer stehenden Dreiseithof in Mittelherwigsdorf erkundete die Familie erstmals 2010. Nur der Zustand schreckte das Ehepaar anfangs noch ab: Ein vermülltes Grundstück, Risse im Mauerwerk, verfaulte Dachbalken, Schmierereien, Brandspuren, fehlende Fenster, zerschlagene Öfen, eine eingefallene Scheune. Verschiedene Sachverständige sprachen hingegen von einem soliden Rohbau. Als Großfamilie kamen auch nicht viele Objekte infrage. Irgendwann sei das richtige Gefühl dagewesen, zumal es keine bösen Überraschungen mehr habe geben können, so Frau Fiebiger.

Und von Anfang an stand fest, dass eine befreundete Familie, nach ihrer Rückkehr aus Equador, mit auf den Dreiseithof ziehen wird. Michael und Anke Eichhorn – beide Gemeindepädagogen – arbeiteten dort einige Jahre in einem Kinderheim. Und sie sind selbst Eltern von zwei Mädchen und zwei Jungen. „Wir trauen einander zu, etwas cooles zusammen zu machen“, sagt Michael Eichhorn über das Großfamilien-Projekt Dreiseithof, das im Oktober 2013 begann. Als Erstes musste das zugewachsene und vermüllte Grundstück wieder begehbar gemacht werden. Das bedeutete mehrere Lkw-Ladungen. Allein 900 Kilogramm Glaswolle haben die Familien aus dem Wohnhaus geschafft. Das Dach mussten sie notdürftig reparieren, sodass kein Wasser mehr eindringen konnte. Und die Fenster erst mal mit Folie oder Brettern schließen. Ob der Riss durchs Mauerwerk oder die verfaulten Dachbalken – bei der kleinen Scheune bestand laut Albrecht Fiebiger ebenfalls akuter Handlungsbedarf. Es hätte nicht mehr lange gedauert und die kleine Scheune wäre wie die große geendet, sagt der 40-Jährige. Von der stehen nur noch die Grundmauern und etwa ein Drittel des Dachstuhles. Voriges Jahr begann dann die Sanierung des 1865 erbauten Wohnhauses, in dem sich zu DDR-Zeiten eine Kinderkrippe befand.

Dabei stießen die Familien auf einige Besonderheiten: Auf dem Dachboden hinter einem Stein versteckt tauchten Liebesbriefe aus den 1980er Jahren auf. „Von jemand, der nicht gut Deutsch konnte“, so Frau Fiebiger. Unter der alten Dielung lagen Zeitungen aus den 1930er Jahren, neben Schuhen, Zigarettenschachteln und einer Bierflasche der Actien Brauerei Löbau. Durch das Entkernen des Hauses konnte der originale Lehmputz und das Fachwerk freigelegt werden. „Heute baut man nicht mehr so“, sagt Albrecht Fiebiger. Die Familien wollten die alte Bauweise so weit wie möglich erhalten. So liegt beispielsweise auch die Dämmung innen, um die Außenoptik des Hauses zu wahren. Seit Sommer 2014 ist das Grundstück erschlossen. Inzwischen hat das Gebäude ein neues Dach, eine intakte Fassade, überall Fenster.

Fast jedes Wochenende sind die Familien auf der Baustelle, machen vieles aus Kostengründen selber, bekommen Hilfe von Verwandten und Freunden, finanzielle Unterstützung vom Freistaat, über ein Programm für die ländliche Entwicklung. „Arbeit ist immer“, berichtet Frau Fiebiger. Und jeder mache das, was er gut könne. Momentan läuft der Innenausbau. Die Deckenheizung wird verlegt. Als Nächstes stehen das Verputzen der Wände, Fliesen der Bäder und Verlegen der Dielen an. Beide Familien teilen sich die erste Etage, in der zwei Wohnungen entstehen – und auf der Westseite ein Balkon folgen soll. In einem halben Jahr wollen sie einziehen. Man könne schon erahnen, wie es mal werde, sagt die 32-Jährige, die mit Mann und Kindern momentan bei den Schwiegereltern in Zittau lebt. Eichhorns sind vorübergehend in der Kulturfabrik Mittelherwigsdorf untergekommen, wo sich die Kinder aber ein Zimmer teilen müssen.

Der Plan für das Erdgeschoss sieht vor, eine weitere Wohnung einzurichten. Im hinteren Teil könnte Frau Fiebiger sich vorstellen, als freiberufliche Hebamme einmal eine Praxis einzurichten. „In ferner Zukunft“, sagt sie. Zuvor steht die Gestaltung des Außengeländes an. „Da muss etwas passieren, um nicht bei Regen im Schlamm zu versinken“, erklärt ihr Mann. Am Ende soll ein Baum auf dem Hof stehen, als Schattenspender und Mittelpunkt. Das nächste großes Projekt ist 2017 die kleine Scheune, die Werkstatt, Lager und Stall für Kleintiere wird. „Wir sehen solange zu, dass nichts weiter einfällt“, sagt der 40-Jährige. Den Kauf des Dreiseithofes haben er und seine Frau bisher noch nicht bereut. „Wir würden vieles genauso machen, nur die Kaufentscheidung schneller treffen.“