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Maklerschwund im Osten

Talfahrt bei den Versicherungen: In einem Jahr verlor Görlitz 24 Vermittler. Die Branche setzt auf Ausbildung.

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Von Ralph Schermann

Hallo, Herr Kaiser!“ Diese drei Worte haben sich bei Westdeutschen ins Gedächtnis gebrannt. Fast 40 Jahre lang verkörperte Kaiser den (Fernseh-)Versicherungsvertreter der Hamburg Mannheimer. Bei den Ostdeutschen hatte der Vertreter der Staatlichen Versicherung ein Gesicht aus dem Wohngebiet. Wenigstens einmal im Jahr gab es Hausbesuch – und einen kleinen Schwatz zum üblichen Kauf und Einkleben der Versicherungsmarken.

Ob vertrauenswürdiges Lächeln vom Bildschirm oder Käffchen mit dem „Markenkleber“ – beides ist längst Geschichte. Nach einem heftigen Auf und Ab unzähliger Versicherer nach der politischen Wende scheint die Versicherungsbranche vor weiteren Umwälzungen zu stehen. Die Europäische Union setzt auf neue Richtlinien, eine immer stärker werdende Digitalisierung macht manchen Vertreter wieder zum Lernenden. Und „wir haben ein riesiges Nachwuchsproblem, auch weil das Image brutal schlecht ist“, gesteht Tom Budig von der PHV Görlitz Versicherungsmakler GmbH. Die Folge: Allein im Jahr 2016 sank die Zahl der Versicherungsvermittler in der Stadt Görlitz von 192 auf 168. Das ist ein Rückgang von 12,5 Prozent. Deutschlandweit sinkt die Vermittlerzahl zwar generell seit 2010 auch stetig, aber jährlich nie mehr als um die zwei Prozent.

Für Michael Herkner, Görlitzer Regionaldirektor für die Deutsche Proventus AG, liegt eine Ursache in der breit gefächerten Angebotspalette von Versicherungsunternehmen und Banken. „Da geht der Verbraucher zunehmend lieber zu solchen Maklern, die eine unabhängige Versicherungsberatung im Programm haben“, erklärt er. Dadurch werde es für gebundene Versicherungsvermittler zunehmend unattraktiver und schwieriger, Versicherungstarife von nur einer Gesellschaft zu vermitteln. Auch Proventus ist als Mehrfachvermittler darauf eingestellt. „2016 haben drei Mitarbeiter erfolgreich die IHK-Prüfung zur Versicherungsfachfrau/-mann absolviert.“

Auch Andreas Kloppe, Bezirksdirektor der Gothaer Versicherungsbank, sieht einen Hauptgrund des Maklerschwundes in der „Marktbereinigung durch Verkauf oder Zusammenschluss von Unternehmen.“ Das führe auch dazu, dass mehrere Außendienstler nun bei einem Agenturinhaber mitarbeiten, um sich gestiegene Kosten teilen zu können. „Früher kamen Vordrucke und Material aus der Zentrale, heute muss jedes Blatt Papier selbst gekauft werden. Dazu kommen Forderungen nach der Gewerbeordnung, sodass heutzutage jeder Makler auch Innendienstkräfte braucht.“ Drei selbstständige Makler und zwei Angestellte sind das mittlerweile bei der Görlitzer Direktion der Gothaer.

Görlitz zeige zudem typische Resultate der Wende: Nach 1990 sind viele DDR-Behördenmitarbeiter zu Versicherungsvertretern umgeschult worden. „Die gehen heute altersbedingt in den Ruhestand, wobei sich die meisten nicht um Nachfolger gekümmert haben“, überlegt Andreas Kloppe. Und Michael Herkner ergänzt: „In Görlitz spielt auch die Abwanderung eine Rolle.“ Versicherer spüren das deutlich daran, dass sich die Kinder ihrer Kunden kaum von ihnen betreuen lassen. „Versicherungstechnisch blutet Görlitz aus“, sagt es Andreas Kloppe drastisch: „Sicher ist heutzutage elektronisch vieles machbar, aber auch dieser Betreuungsaufwand wird damit größer.“ Dennoch setzt Kloppe „auf die Ausbildung junger Mitarbeiter, um für die Zukunft ein starkes Team zu haben. Aber das ist meine Philosophie, mit der will sich nicht jeder befassen, da es Zeit und Geld kostet.“ Zumindest bei Proventus sieht das Michael Herkner ebenso: „Wir planen 2017 wieder, neue Mitarbeiter auszubilden.“

Auch beim Debeka Versicherungsverein wird der Görlitzer Vermittlerschwund bemerkt – aber nicht in den eigenen Reihen. „Die Zahl unserer angestellten Vermittler blieb in der Geschäftsstelle Görlitz mit 24 stabil“, sagt Christian Arns, in Koblenz der Leiter Konzernkommunikation. In den vergangenen sechs Monaten wurden drei neue Mitarbeiter eingestellt, und „wir hätten gern noch sechs weitere neue Leute, um Renteneintritte auszugleichen.“

Dennoch: „Insgesamt machen sich die bestehenden Vermittler zu wenig Gedanken über Nachfolger“, schätzt PHV-Mann Tom Budig ein und vergleicht noch andere Zahlen: So kämen derzeit im bundesweiten Durchschnitt 359 private Kunden auf einen Versicherungsvermittler. In der Stadt Görlitz sind es aktuell 331 Kunden. „Damit liegen wir in Görlitz immer noch sehr gut.“ Oder wie es Michael Herkner von Proventus formuliert: „Eine Unterversorgung besteht für Görlitz nicht.“