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Der Kunst-Schatz vom Dresdner Dachboden

Franz Gustav Hochmann war um 1900 ein erfolgreicher Tier- und Landschaftsmaler. In einem alten Dresdner Haus wurde sein Nachlass entdeckt.

Von Peter Ufer
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Rainer Hochmann, Enkel des Malers, mit seiner Frau Gerlinde im Haus, das die Großeltern 1906 bauten.
Rainer Hochmann, Enkel des Malers, mit seiner Frau Gerlinde im Haus, das die Großeltern 1906 bauten. © Matthias Rietschel

Dresden. Schweine suhlen sich im Schlamm. Ein Schimmel lässt sich von einem Jungen füttern. Hinter dessen Rücken wehrt sich ein Brauner gegen seinen Herrn, der das Tier offenbar verhökern will. Vor dem „Gasthof Buttstädt“ in Thüringen findet der Pferdemarkt statt. Und irgendwo am Rande sitzt ein Maler, um das Treiben im Jahr 1882 auf eine Leinwand zu bannen.

Der einst die Situation mit fotografischem Blick wahrnahm und malte, hieß Franz Gustav Hochmann, geboren 1861 in Dresden. Er mochte offenbar den animalischen Handel, die Bewegung der Tiere, die Spannung des Augenblicks. Das Gemälde wurde im selben Jahr zur akademischen Kunstausstellung in Dresden mit 3.000 Mark ausgepreist, und der Maler erhielt von der Königlich Sächsischen Akademie der Bildenden Künste für das Kunstwerk die „Große silberne Medaille“. Hochmann malte später auch in Bayern, Altenburg, Rostock und Dresden derlei Märkte.

Pferde, Schweine, Kühe, Schafe, aber auch Rehe und Hirsche gehörten neben Landschaften und Porträts zu seinem Œuvre. Weit über hundert Gemälde schuf der Tier- und Landschaftsmaler, stellte in Dresden, Berlin, Düsseldorf, London, München, Melbourne und Wien aus. Der Sachse bekam hohe Auszeichnungen und verkaufte seine Werke weltweit. Gemälde von ihm befinden sich im Besitz der Bendigo Art Gallery in Australien und der Münchner Pinakothek. Bei Auktionen werden sie für einige Tausend Euro gehandelt.

Aufregendes Treiben auf dem „Pferdemarkt“, gemalt 1882 in Dresden. Das Ölbild befindet sich in einer Privatsammlung.
Aufregendes Treiben auf dem „Pferdemarkt“, gemalt 1882 in Dresden. Das Ölbild befindet sich in einer Privatsammlung. © Auktionshaus Kühlungsborn

Doch den Künstler kennt heute in Sachsen kaum noch einer. Im Dresdner Stadtteil Leubnitz-Neuostra ist der „Hochmannweg“ nach ihm benannt. Dreizehn Arbeiten, inklusive zweier Gemälde, befinden sich in der Städtischen Galerie Dresden. Gezeigt werden sie nicht. Museumschef Gisbert Porstmann sagt: „Hochmann kann als solider Künstler eingestuft werden, der gute Qualität lieferte. Es gibt im Moment keinen Anlass, ihn auszustellen. Er gehörte um die Jahrhundertwende vermutlich zu jener Gruppe junger Künstler, die sich in Goppeln am Rande von Dresden zu einer Künstlerkolonie zusammenschlossen.“ Die Maler, die sich dort versammelten, spezialisierten sich auf Freiluftmalerei und Impressionismus, wurden als „Goppelner Schule“ zu einem Begriff in der Kunstgeschichte. Auch die Brücke-Künstler Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein arbeiteten in dem Ort, der Ende des 19. Jahrhunderts als Malerdorf bekannt wurde.

Fantasiegestalten im Treppenhaus

Gert Scykalka, der fast zehn Jahre lang das Leben von Franz Gustav Hochmann erforschte, widerspricht: „Der Maler gehörte nicht zum Goppelner Kreis, denn es fanden sich diesbezüglich keinerlei Hinweise oder Dokumente in seinem Nachlass“, sagt der Dresdner Ortschronist, der jetzt das Buch „Hochmannweg – ein Dresdner Maler zog hinaus“ im Selbstverlag herausgegeben hat. Er belegt, dass sich Hochmann von 1897 bis 1902 in den Sommermonaten in der Malerkolonie Cuxhaven aufhielt. In seinem Buch zitiert er auch den norddeutschen Heimatforscher und Buchautor Peter Bussler, der den Künstler 1993 in der Zeitschrift „Heimat und Kultur“ wie folgt beschrieb: „Hochmann gehörte Dank seiner Begabung zu den herausragenden Tier- und Landschaftsmalern im ausgehenden 19. Jahrhundert. In allen seinen Werken offenbart sich ein gründliches Studium der Natur, wir entdecken subtile Dinge, die dem oberflächlichen Betrachter so oft verborgen bleiben.“

Bis vor einigen Jahren lag ein Großteil des Nachlasses unberührt auf dem Dachboden jenes Hauses, das sich der Maler 1906 mit seiner Frau, die den Bau von ihrem Erbe finanzierte, im Dresdner Stadtteil Kleinzschachwitz bauen ließ. Dort wohnt heute sein Enkel Rainer Hochmann: „Ich wusste zwar, dass mein Großvater Künstler war, bin mit seinen Bildern groß geworden. Geahnt habe ich, dass da oben unter dem Dach etwas verborgen schlummert, hatte aber keine Zeit nachzusehen.“ Dem Großvater ist er nie begegnet. 1939, vier Jahre nach dessen Tod, kam der Enkel auf die Welt. Der Nachfahre, der über die Rente hinaus als Arzt praktizierte, wuchs zwischen den Devotionalien seines Opas auf. Immer wieder bekam er als Kind erzählt, dass die Großeltern die Villa rund um eine aus dem Jahr 1711 stammende grüne Barocktür mit Schnitzereien aus der Nähe von Cuxhaven bauen ließen. Die Wände des Treppenhauses sind noch heute mit Fantasiegestalten bemalt. Im Flur, im Esszimmer, in der Stube hängen Gemälde des Familienmalers. In einem anderen Zimmer stapeln sich Bilder wie im Archiv einer Galerie. Zwischen all den gezeichneten Tieren, Bäumen und Segelschiffen befindet sich das Aktbild eines Paares. „Vermutlich ein erotisches Auftragswerk“, meint Rainer Hochmann, lächelt und stellt es schnell wieder hinter das Porträt eines kapitalen Hirsches.

Den „Blick auf Schloss Pillnitz“ über die Elbe mit der Insel malte Hochmann von der Kleinzschachwitzer Seite aus.
Den „Blick auf Schloss Pillnitz“ über die Elbe mit der Insel malte Hochmann von der Kleinzschachwitzer Seite aus. © Repro: Gert Scykalka

Davon, wer sein Großvater wirklich war, hat der 81-jährige eine genaue Vorstellung. Vor Jahren schaute seine Frau Gerlinde gemeinsam mit Gert Scykalka auf dem Dachboden nach, was da alles lagerte. Sie machten eine verblüffende Entdeckung: In Mappen lagen datierte Zeichnungen und Skizzen, oft mit Ortsangaben, Briefe, Zeitungsartikel, beschriftete Fotos von Gemälden, Urkunden und Tagebuchaufzeichnungen von Hochmann, aber auch Lithografien und Grafiken befreundeter Maler, darunter eine von Robert Sterl.

Gert Scykalka erforschte akribisch den Nachlass des Malers. Er analysierte sämtliche Mappen vom Dachboden, suchte in Archiven nach Spuren des Künstlers, schrieb weltweit Museen und Galerien an und erarbeitete ein umfangreiches Werkverzeichnis. Erstmals wird so die Bedeutung Franz Gustav Hochmanns sinnfällig. Nach dem Studium an der Dresdner Kunstakademie studierte er ab 1878 weiter in Weimar, danach nochmals in Dresden beim Landschafts- und Marinemaler Friedrich Preller der Jüngere. Später ging Hochmann nach München und Karlsruhe, reiste mit Preller durch Italien, arbeitete 1892 in der Ahrenshooper Künstlerkolonie, wurde Mitglied im „Künstler-West-Club“ in Berlin, wo er bis 1894 lebte.

Friedrich Preller soll es auch gewesen sein, der seinen Malerfreund bewegte, nach Dresden zurückzukommen, denn offenbar sollte ihm eine Professorenstelle an der Kunstakademie angeboten werden. Doch diese Pläne zerschlugen sich. Er wurde Mitglied der Dresdner Sezession und ab 1900 Vorsitzender des Vereins Bildender Künstler Dresden. „Eigentlich hatte Hochmann erwartet, in Dresden gefördert zu werden, er hatte gehofft, an der Kunstakademie eine Professur zu erhalten, doch man legte ihm nur Steine in den Weg“, sagt Scykalka. Er sei von der Dresdner Kunstelite ignoriert worden.

Im Ersten Weltkrieg arbeitete der Künstler als Kriegsmaler in Ostpreußen. Der Historiker sagt: „An der Front zu malen, war aber keineswegs sein Wunsch, sondern reine Verzweiflung. Anfang des Krieges bekamen die Künstler keinerlei Aufträge mehr, Hochmanns mussten das Haus in Kleinzschachwitz vermieten, um Geld zu verdienen. Er bat um Unterstützung beim Dresdner Bürgermeister.“ Irgendwann habe er nur noch als Kriegsmaler eine Chance gesehen. Schon nach wenigen Wochen erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Der Krieg war die schlimmste Zeit seines Lebens.

In den Mappen auf dem Dachboden fand sich auch dieses Aquarell „Schlafender Löwe“ aus dem Jahr 1877.
In den Mappen auf dem Dachboden fand sich auch dieses Aquarell „Schlafender Löwe“ aus dem Jahr 1877. © Repro: Gert Scykalka

In dem Buch „Hochmannweg“ lässt sich anhand der Tagebuchnotizen der dramatische Lebensweg verfolgen. Außerdem sind über hundert Werke abgebildet. Rainer Hochmann und seine Frau Gerlinde sagen, sie seien dankbar, dass Gert Scykalka nach so vielen Jahren endlich eine Biografie über den Maler-Großvater verfasst hat. So können sie ihren Kindern und Enkeln endlich mit Fachwissen erklären, wer dieser Dresdner Künstler und Verwandte war. Längst hat das Arztehepaar die Sammlung der Gemälde erweitert. Sie kauften bei Auktionen, von Privatleuten oder Galerien Werke auf. „Ich möchte meinen Kindern gern etwas Wertvolles hinterlassen. „In Dresdner Kunst zu investieren, die sogar mit der Familiengeschichte verbunden ist, wird sich langfristig bestimmt lohnen“, sagt Rainer Hochmann.