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MDR-Team erkundet geheimen Nazi-Stollen

In Strand arbeiteten 2 000 Zwangsarbeiter an einem gigantischen Projekt. Heute ist das nahezu vergessen.

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Von Heike Wendt

An das Lager am Fuß der Festung Königstein erinnert sich Joachim Tuma aus Struppen noch heute. Als Zwölfjähriger lief er daran zu Ende des Zweiten Weltkriegs öfter vorbei, um mit seinen Freunden aus Struppen-Siedlung ins Königsteiner Kino zu gehen. Außen ringsum Stacheldraht. „Es hieß, es wären russische Gefangene drin“, erinnert er sich. Erst später erfuhr er, dass es Zwangsarbeiter waren. Dass sie täglich bis nach Strand bei Struppen liefen und dort Stollen in den Fels trieben, um eine unterirdische Fabrik zur Destillation von Flugbenzin einzurichten, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Unter der Bevölkerung wurde die Legende vom Bau einer Nudelfabrik verbreitet.

Jetzt hat ein Fernsehteam um Redakteur Michael Feldmann die Geschichte aufgegriffen. In den dunklen Gängen wurden zahlreiche Filmaufnahmen gemacht. Es geht um die geheime Unterwelt des Dritten Reiches. Der Film beschäftigt sich mit einem Thema, das bisher in diesem Zusammenhang kaum eine Rolle spielte. Unter dem Decknamen Schwalbe II sollte auf 80 000 Quadratmetern eine Anlage zur synthetischen Benzinproduktion entstehen. Das Vorhaben war im Jahr 1943 geplant worden, als sich die Kriegswende andeutete. Es war Teil eines großangelegten Bauprogramms von Luftschutzanlagen für die Zivilbevölkerung und der Untertageverlagerung von Industriebetrieben und lief als Projekt der Organisation Todt – eingestuft als streng geheim. Benannt war die Organisation, die für den Bau von Bunkern und Verteidigungsanlagen verantwortlich war, nach ihrem Leiter Fritz Todt.

Für das gigantische Projekt wurden 2 000 Zwangsarbeiter aus mehreren KZ-Außenlagern rekrutiert. Täglich wurden sie von Königstein ins fünf Kilometer entfernte Strand getrieben. „Die Stollen sind in nur fünf Monaten an mehreren Stellen in den Fels geschlagen worden“, erklärt der Fernseh-Redakteur. Die erste Ausbaustufe sollte am 1. Juli 1945 mit der Herstellung von 9 000 Tonnen Flugbenzin und 1 400 Tonnen Treibgas in Betrieb gehen. Vollendet wurde das Werk nicht.

Erst im November 1944 war mit den Arbeiten begonnen worden. Häftlinge eines Außenkommandos der KZ Flossenbürg brachen unter SS-Aufsicht mit Presslufthämmern und Sprengungen das Gestein heraus, das dann auf Feldbahngleisen in Richtung Rathen transportiert wurde. Zuvor waren in Strand fünf Häuser, darunter eine Gaststätte, abgerissen worden. Sie lagen im Bereich der Anlage, eine Entschädigung erhielten die Familien nicht. Sie wurden zwangsumgesiedelt.

Gedreht wurde für den Film darüber hinaus in Pirna-Mockethal, wo sich ebenfalls eine Außenstelle des KZ Flossenbürg befand, auf den Friedhöfen in Porschdorf und Lohmen sowie in der Herrenleite bei Lohmen. Dort ist das Gelände des früheren Mineralölwerkes interessant, das heute vom Verein Historische Feldbahn aus Dresden genutzt wird. Auch Gert Link, Ortschronist von Weißig, sowie das Alternative Kultur- und Bildungszentrum aus Pirna (Akubiz) wurde vom MDR befragt. Joachim Tuma konnte den Filmemachern von seinen späteren Erlebnissen berichten. Er war nach dem Krieg noch einmal mit den Baracken in Königstein in Berührung gekommen. Sein Vater war an der Demontage beteiligt. „Wir haben in der Zeit Essen zu ihm runtergeschafft“, erzählt er.

Heute ist von der begonnenen Anlage und den Zwangsarbeiterbaracken kaum noch etwas zu sehen. „Lediglich die Fundamente der Wirtschaftsgebäude haben wir im Wald noch finden können“, sagt Joachim Tuma. „Eigentlich“, findet der Struppener, „müsste es wenigstens einen Gedenkstein geben.“ Dazu hatte der frühere Vizebürgermeister schon einmal angeregt. Allerdings ohne Reaktion. Immerhin ist für Pirna-Mockethal ein Gedenkstein in Arbeit. „Wann wir ihn aufstellen können, steht noch nicht fest“, sagt Anne Nitschke vom Akubiz.

Sendetermin: 29. Mai, 22.05 Uhr auf MDR