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Mehr Lust aufs Land

Die ostdeutschen Landfrauen treffen sich in Thiendorf. Sie können mehr als häkeln, stricken und Kränze winden, nur nimmt das keiner wahr.

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Von Susanne Plecher

Sachsens Landfrauen sind in die Jahre gekommen. Diejenigen, die vor 20 Jahren die ersten Ortsvereine gegründet haben, sind jetzt oft jenseits der 70. Die Mitgliederzahl stagniert im besten Fall, bei Lichte betrachtet, so Iris Firmenich, ist sie sogar rückläufig. „930 Sächsinnen sind derzeit mitgliedschaftlich im Landfrauenverband organisiert“, sagt die oberste von ihnen. Die Verbandschefin macht sich so ihre Gedanken, wohin die Reise gehen wird. Sie spürt Offenheit und Interesse auch von jüngeren Frauen. Sie wünscht sich eine neue Gründungswelle, hofft, dass sich Frauen, die auf dem Lande leben, gemeinschaftlich organisieren mögen. Einzelbeispiele nähren die Hoffnung: In Frankenberg, Kleinwelka und Oberwiesenthal gibt es neu gegründete Vereine. Die Frauen im Wintersportort, so Iris Firmenich, betreiben sogar einen Hofladen. Doch es sind zu wenige, die sich neu unter dem Dach des Landfrauenverbandes zusammenfinden. Was tun? Vielleicht sollte die moderne Landfrau alte Klischees ausmisten.

Iris Firmenich, 53, CDU-Landtagsabgeordnete, fängt schon mal damit an: „Wir können mehr als häckeln und stricken. Das ist ein ganz falsches Bild“, sagt sie. Und: „Wir haben Kompetenzen einzubringen!“ Klar. Die Landfrauen sind beileibe nicht das, was man darunter verstehen mag. Nur ein Bruchteil von ihnen verdient ihr Geld noch in der Landwirtschaft. Es gibt Ärztinnen, Lehrerinnen, Erzieherinnen, Friseure. Sie verbindet mehr als der ländliche Wohnort. Sie mögen das Landleben, sehen aber auch die Probleme, die es mit sich bringt. Viele organisieren nachbarschaftliche Hilfe, unterstützen Ältere beim Einkauf, Jüngere bei der Kinderbetreuung. Sie interessieren sich natürlich für die Belange unserer Zeit, machen sich stark für eine gesunde Ernährung, vermitteln Wissen in Kindergärten und Schulen. Nicht ohne Grund hat der sächsische Verband gestern eine Führung durch die Thiendorfer Kneipp-Kindereinrichtung organisiert. „Wir sind mächtig stolz darauf“, meint Iris Firmenich. Schließlich wird das Kneipp-Kinderland vom Kreislandfrauenverein Riesa-Großenhain getragen, eine Bilderbucheinrichtung mit Kräuterbeet und selbst gekochtem Essen, mit Gewächshaus und vorgezogenen Tomatenpflänzchen auf dem Fensterbrett. „Hier wachsen Kinder in Verbindung mit der Natur auf, achtet man auf eine gesunde Lebensweise, wird vermittelt, dass Lebensmittel einen Wert haben“, sagt die Chefin des Landesverbandes. Sie gerät fast ins Schwärmen dabei. Das Treffen der fünf ostdeutschen Verbände in Thiendorf, das gestern begann, soll helfen, aus dem Dilemma herauszufinden. Es ist ein Erfahrungsaustausch und durch den Besuch der Präsidentin des Deutschen Landfrauenverbandes, Brigitte Scherb, und des sächsischen Landwirtschaftsministers, Frank Kupfer, geadelt. Mit Kupfer trifft landfrau sich nicht ohne Grund. Denn der sächsische Verband will zurück in den Verantwortungsbereich des Landwirtschaftsministeriums und nicht länger dem Sozialministerium untergeordnet sein. Man will nicht mehr abgehängt sein von wichtigen Informationen über Fördermöglichkeiten und Vernetzungen.

Klischees über Bord zu werfen und Strukturen zu optimieren, ist gut und schön. An Traditionen festzuhalten, ist auch nicht verkehrt, will man seine Identität bewahren. Die Erntekrone wird weiterhin geflochten, Brauchtum gepflegt, so viel ist sicher. Dann kann sie ja kommen, die neue Welle.