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Mehr Rechte für Radebergs Frauen

Radeberg. Der 76. Vortrag zur Stadtgeschichte fand jetzt in der Gaststätte „Zur Quelle“ statt.

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Von Hans-Werner Gebauer

Es ging auch um die Frauen. Und es ging vor allem um die Bürokratie, als Regional-Historiker Hans-Werner Gebauer jetzt zum mittlerweile 76.Stadtgeschichtsvortrag in die Gaststätte „Zur Quelle“ einlud. Denn auch in Radeberg, so der Historiker, erkämpften sich die Frauen im 19.Jahrhundert mehr Rechte. Auch, wenn es zu dieser Zeit eine Forderung des Radeberger Stadtrates gab, verheiratete Frauen nicht in der Industrie zu beschäftigen. Letzteres führte gar zu einer Reichstagspetition, wurde aber abgelehnt. Dadurch in Zugzwang gekommen, stellte Bürgermeister Otto Bauer 1907 die Forderung auf, dass man in Radeberg alles unterlassen sollte, was die Stadt als rückständig in der Berliner Presse erscheinen lassen könnte. Fortan gab es auch Frauenwahlrechtsveranstaltungen ohne polizeiliche Auflagen in der Stadt…

Neue Gesetze zwangsläufig

Zunächst aber erläuterte Gebauer die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die mit der revidierten Städteordnung, 1831, und der deutschen Reichseinheit, 1871, entstanden waren. Liberalisierung und Wegfall alter Vorschriften z. B. durch die Gewerbefreiheit, 1862, und Entstehung neuer Rahmenbedingungen wie dem Kulturkampf, 1874, bei dem der Kirche u. a. die Führung des Standesamtsverzeichnisses entzogen wurde, mussten praktisch auch zu neuen Gesetzen, Vorschriften, Novellierungen, Anordnungen und einer „Unsumme“ von Detailregelungen führen. Dass Radeberg z. B. in der Gestaltung des Arbeitsrechts und bei den gesetzlichen Regelungen zur Sonntagsarbeit zu den vordersten Städten im Deutschen Reich gehörten, war u. a. der sehr prosperierenden Glasindustrie geschuldet. Neuerungen im Verkehrswesen wie die seit dem Jahre 1845 vorhandene Eisenbahn schufen über 800 neue Regelungen, z. B. die, nach der Radebergs Gastwirt des Bahnhofsrestaurants „für 5 Pfennig einem Fahrgast Trinkwasser reichen durfte“.

Doch es gab auch typische Überziehungen, sei es das unter Strafe stellen nächtlichen Hundebellens im Bereich der Friedrichstraße, das Klären des Falles „wann eigentlich Sonntag beginnt?“

Die mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch einsetzende Komplexität und damit verbundene Kompliziertheit deutscher Gesetzgebung führte zu einem Primat des Reichsrechts über das Landes- und Stadtrecht. Nunmehr erhielten Radebergs Bürger in regelmäßigen Abständen öffentlich an 18 Anschlagtafeln Kunde von den aktuellen Gesetzen und ihren Novellierungen, zugleich erfolgte deren Veröffentlichung in der „Radeberger Zeitung“. Und so wurden scheinbare Selbstverständlichkeiten wie das Beseitigen von Tierkot aus dem öffentlichen Bereich ebenso geregelt wie der Vertrieb alkoholfreier Mischgetränke oder das Ausstellen von Auslandspässen.

Ausufernde Regelungswut

Diese bis heute ausufernde „Regelungswut“ im deutschen Rechtsverständnis führte im Radeberger Stadtparlament 1907 zu der Debatte, dass man Gesetze erläutern und begreifen sollte! Fortan erhielten Radebergs Stadtverordnete eine erweiterte Gesetzessammlung samt juristischer Kommentare für ihre kommunale und politische Arbeit. Bereits seit 1826 konnten Radebergs Stadträte auf Wunsch über die allgemeine Gesetzeslage informiert werden. (geb)

Der nächste Vortrag findet am Sonnabend, dem 22. Dezember, 19 Uhr statt und ist dann traditionell wieder dem bevorstehenden Weihnachtsfest gewidmet. Der Eintritt ist frei, historisch Interessierte sind jederzeit herzlichst willkommen.