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Mehrsprachig stricken

Werkeln verbindet: Beim Handarbeiten kommen Pirnaer und Flüchtlinge ins Gespräch.

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© Marko Förster

Von Heike Sabel

Pirna. Die Strickringe sind der Hit. Sie funktionieren nach dem Prinzip der Strickliesel, sind nur eben ein Ring. Wie beim Liesel wird die Wolle einfach mit einer Nadel über die Haken gehoben. Rasch und unkompliziert entsteht so zum Beispiel eine Mütze. Kein Wunder, dass die Ringe gefragt sind. Beim Stricktreff in der Jugendherberge Pirna-Copitz greifen Mädchen und Jungs danach. Kinder, die aus Syrien, Afghanistan, dem Libanon kommen. Der wöchentliche Handarbeitsnachmittag ist ein Angebot des Pirnaer Akubiz.

Am einfachsten erklärt es sich, wenn man es gemeinsam macht. Ina Leonhardt strickt mit einer der Flüchtlingsfrauen.
Am einfachsten erklärt es sich, wenn man es gemeinsam macht. Ina Leonhardt strickt mit einer der Flüchtlingsfrauen. © Marko Förster

Ismail hat so einen Strickring erwischt. Nun sucht er Wolle und eine helfende Hand und streckt seine mit dem Ring jedem entgegen. „Hilfst Du mir?“, sagt er auf Deutsch mit sächsischem Klang. Ein Junge sagt „Hallo“ und lässt die rechte Hand über dem Kopf kreisen. Das soll heißen, er will auch eine Mütze. Die vier Pirnaer Frauen kommen kaum hinterher, allen zu helfen. „Later“, später, sagt eine zu dem Jungen. Immer der Reihe nach. Das Interesse ist groß und ein Zeichen, dass die Flüchtlinge hier für jede Abwechslung in ihrem Alltag dankbar sind.

Stimmung gleicht Wollknäuel

Dabei soll das Stricken nur Mittel zum Zweck sein. „Wir wollen mit den Frauen ins Gespräch kommen“, sagt Marita. Manchmal sind es mehr Kinder als Frauen, aber auch das ist in Ordnung. Noch ist das mit dem Reden nicht ganz so einfach, aber es wird. Deutsch und Englisch, ein junger Flüchtling übersetzt, an diesem Tag ist auch eine weitere Dolmetscherin dabei. Die Stimmung ist wie ein Wollknäuel. Ein bisschen durcheinander, doch wenn man ihn entfitzt, kann was Schönes draus werden. Und stricken kann heilen. Lina, die mit ihrem Bruder und ihrer Tochter aus Afghanistan kommt, war die vergangenen Tage krank. Das Stricken habe sie wieder gesund gemacht, sagt sie.

Jetzt haben Lina und Jalda ein Strickheft vor sich. Eine Mütze und einen Schal, der wie ein Stück Pullover ist und über die schultern reicht, hat die achtjährige Jalda schon gestrickt. Ihre Mutter hat sich jetzt graue und rosa Wolle genommen. Ein Schal soll es werden. Oder doch eine Mütze? Das Strickheft zeigt viele Modelle. Nur gibt es keine gezeichneten Anleitungen, nur geschriebene. „Nehmen wir erst mal Maschen auf“, sagt Ina Dißelmeyer. Die Mutter will stricken, die Tochter häkeln. Ina Dißelmeyer und Ina Leonhardt zeigen, wie es geht. Die Augen nicht nur von Lina sind auf die Nadeln und Finger gerichtet. Ina Leonhardt stellt sich derweil hinter ein anderes Mädchen und führt ihr die Hände. Was beim Klavierspielen funktioniert, klappt auch beim Stricken – vierhändig.

Mensch sein und menschlich sein

Guljana hat Talent. Sie ist das erste Mal dabei und hat schon etliche Maschen gehäkelt. Eine Mütze soll es werden. Bei Sally klappt es noch nicht so gut, doch sie probiert es geduldig immer wieder. „Erst mal üben wir Maschen“, sagt Julie, eine der Pirnaerinnen, um die im Kreis vier Mädchen sitzen. Einige Flüchtlingsfrauen bringen ihre fertigen Strickwaren. Handschuhe und ein bunter Rock sind dabei sowie diverse Schals. Einer ist etwas kurz. Die Wolle hat nicht gereicht. Die Wollkiste ist eben nur so voll, wie Spenden sie füllen. Wollspenden sind immer gefragt, sagt Ina Dißelmeyer. Eine Frau hat einen 50 Euro-Gutschein gespendet, mit dem gekauft werden kann, was gebraucht wird. Strick- und Häkelnadeln zum Beispiel und die geliebten Strickringe. In dieser Woche treffen sich die Flüchtlinge und Pirnaer in der Plauderkiste, den Akubiz-Vereinsräumen. Hierher können auch Spenden gebracht werden.

Ina Dißelmeyer war nach der Handarbeitsrunde sprachlos. Ihr versagte tatsächlich die Stimme. Aber auch mit ist sie begeistert. Obwohl es jedes Mal anstrengend sei, mache es ein gutes Gefühl. „Diese Menschen sind erst einmal da. Ob sie hierbleiben, entscheide nicht ich. Doch ich bin ein Mensch, der andere Menschen respektiert, egal, woher sie kommen, welchen Glauben sie haben oder ob sie mit einem Handicap leben.“ Mensch sein und menschlich sein, das ist das Motto aller. Nicht immer einfach, doch sehr erfüllend – offensichtlich auch für die Flüchtlingsfrauen und -kinder. Als die zwei Stunden vorbei sind, nehmen sie ihr Strickzeug mit. Bis Mittwoch werden die Arbeiten weiter wachsen.