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Mein erster Schuss

Der Schießplatz in Steinbach ist schicker als vor der Flut 2010. Höchste Zeit für einen Praxistest.

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Von Katja Schlenker

Es riecht nach Silvester – kurz nach Mitternacht, wenn der Himmel von Feuerwerk erhellt wird und es ringsherum knallt. Während ich mich auf dem Schießplatz in Steinbach an einer Bockdoppelflinte 12/70 ausprobiere, wirbelt der Schnee sanft um mich herum. Die ganze Atmosphäre hat etwas Idyllisches. Doch dafür habe ich im Moment kaum einen Blick übrig, denn die Waffe in meinen Händen fordert meine ganze Aufmerksamkeit. Sie gehört Günter Schulz. Der 65-jährige Rothenburger hat sie gerade abgefeuert und mir anschließend in die Hand gedrückt, damit ich mal „einen richtigen Schuss machen kann“, wie er lachend sagt. Zuvor habe ich mich am 25 Meter langen Kurzwaffenstand an einer Pistole des Kalibers neun Millimeter probiert. Die schicke schwarze Pistole erscheint mir rückblickend frauenfreundlicher als das lange Gewehr.

Dennoch fühlt es sich interessant in meinen Fingern an, der Stahl und das Holz. Für mich ist es das erste Mal, dass ich eine Waffe auch nur aus der Nähe sehe, von Schießen ganz zu schweigen. In aller Ruhe erklärt mir Günter Schulz, wie ich die Bockdoppelflinte halten soll. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Neusorger Schützenvereins, kennt sich also aus. Fest an die Schulter drücken soll ich den Schaft, damit mich der Rückstoß nicht umhaut.

Während ich noch alles umständlich zurechtrücke, geht der Vereinsvorsitzende Siegfried Steinert beherzt dazwischen und richtet die Flinte eigenhändig an meiner Schulter aus. Ohne jede Berührungsangst. Das ist auch nötig, denn bislang sind alle Versuche gescheitert, die Waffe korrekt an meiner Schulter auszurichten. Das bringt mich dann doch zum Schmunzeln. Denn es nützt ja nichts, die Waffe muss fest an meiner Schulter sitzen, sonst gibt es blaue Flecken. Am Ende passt alles und ich kann den Abzug drücken. Eigentlich.

Es kostet mich einige Überwindung. Eine Stimme in meinem Hinterkopf sagt respektvoll: „Vorsicht, du hast eine Waffe in der Hand!“ Aber in dem Moment sehe ich auch Bilder von Bruce Willis und Milla Jovovich vor mir. Ich erinnere mich an viele Filme, die ich in der Vergangenheit gesehen habe. Egal ob sie „Stirb langsam“ oder „Resident Evil“ heißen, immer sind Waffen und Schießereien im Spiel gewesen. Und immer habe ich mich gefragt, wie es sich wohl anfühlt, eine in der Hand zu halten und damit zu schießen – ein Filmheld zu sein und die Welt zu retten.

Ich reiße mich zusammen. Ich habe zumindest gefühlsmäßig die Chance dazu, mal mit einer so mächtigen Flinte zu schießen. Und während ich darüber philosophiere, bewegt sich mein Finger ein klein wenig, der Abzug löst den Schuss aus und das Gewehr drückt sich mit einem Schlag gegen meine Schulter, während sich die Munition einen Weg ins Freie sucht. Ich kann verstehen, was Siegfried Steinert und Günter Schulz meinen, wenn sie von ihrem Sport erzählen. Man muss innerlich loslassen, die Welt ausblenden und zur Ruhe kommen, um ins Schwarze zu treffen. Vor dem Schuss steht die Konzentration auf das Ziel, der Ehrgeiz, es treffen zu wollen. Das gelingt mir nicht.

Ich habe offenbar gewackelt, denn die Zielscheibe steht fest verankert. „Ein Sportschütze will nicht auf lebende Tiere schießen“, sagt da der 54-jährige Neusorger Siegfried Steinert. „Er will präziser werden, sich bei der Munition ausprobieren.“ Das Ziel ist es, die Zehn in der Mitte der Zielscheibe zu treffen. So mancher hat Talent zum Schießen, mancher gibt sich sehr viel Mühe und erlernt es, erzählt Siegfried Steinert. Aber es gibt auch welche, die sehr viel Spaß am Schießsport haben – obwohl sie nie etwas treffen. Denn der Schützenverein steht für mehr als nur das Schießen. Auch Geselligkeit und Tradition spielen eine große Rolle. Es ist eben ein Verein.

Aber hier ist vor allem Disziplin wichtig. Denn wer eine Waffe besitzen will, muss sich zuvor bewähren. Ein Jahr lang wird im Schießbuch jeder Schuss vermerkt, bevor der Verein es an den Sächsischen Schützenbund schickt. Erst wenn der seine Zustimmung gibt, darf eine eigene Waffe gekauft werden. Doch damit ist es nicht getan. Mindestens einmal pro Monat muss ein Schuss abgefeuert, die Waffenbesitzkarte immer griffbereit bei sich getragen werden. „Aber ein Sportschütze darf sich auch nichts zuschulden kommen lassen“, sagt Siegfried Steinert. „Dadurch gilt man als unzuverlässig.“ Wenn jemand zum Beispiel alkoholisiert Auto fährt und dabei von der Polizei erwischt wird, ist das ein Grund, ihm die Waffenerlaubnis wieder zu entziehen.

Von einer Waffenerlaubnis bin ich weit entfernt. Ich habe an diesem verschneiten Nachmittag in Steinbach meinen ersten Schuss gemacht, und das erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit – denn ich habe mich überwinden müssen. Und der Tag hat mir gezeigt, dass eine Waffe zu tragen eine große Verantwortung bedeutet. Und: Das hier ist ganz anders als im Film.