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Mein Jahr in der fremden Nachbarschaft

Die Tschechin Tereza Kazdová geht für ein Jahr nach Pirna. Möglich macht das ein Programm, das keine Einbahnstraße ist.

Von Steffen Neumann
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Von Ústí nad Labem (Aussig) die Elbe abwärts nach Pirna-Bonnewitz. Für Tereza Kazdová beginnt nächste Woche das Abenteuer Sachsen.
Von Ústí nad Labem (Aussig) die Elbe abwärts nach Pirna-Bonnewitz. Für Tereza Kazdová beginnt nächste Woche das Abenteuer Sachsen. © Steffen Neumann

Ein bisschen aufgeregt ist Tereza Kazdová nun doch. In wenigen Tagen packt sie ihre Reisetasche und zieht nicht nur bei ihren Eltern aus, sondern geht gleich ins Ausland. Ziel ihres Umzugs ist Bonnewitz, ein Ortsteil von Pirna und nur wenige Kilometer von der Stadtgrenze zu Dresden entfernt. 

In der dortigen Heilpädagogischen Schule verbringt sie ab September ihr Freiwilliges Jahr. Das klingt nicht weit, für die Studentin der Universität Ústí nad Labem (Aussig) ist es dennoch ein großer Schritt. „Ich bin eher ein häuslicher Typ. Der Weggang von meinen Eltern fällt mir schwer“, gibt Kazdová offen zu.

Bei allem Abschied freut sie sich aber schon auf ihre neues Leben. „Ich werde einer Klasse zugeteilt und mich speziell um ein Mädchen kümmern“, erzählt sie von ihrer künftigen Tätigkeit. Damit wird die 20-Jährige gut ausgelastet sein. Denn an der Schule lernen Kinder mit teils schwerer Behinderung, was eine sehr intensive Betreuung erfordert. Der Anspruch der Schule mit einer anthroposophischen Heilpädagogik ist eine individuell an den Bedürfnissen der Schüler ausgerichtete Förderung. Für Kazdová ist es zugleich Praxiserfahrung, denn sie studiert schon ein Jahr Sozialarbeit. Vor allem freut sich Kazdová aber, selbständig zu werden und ihr Deutsch zu verbessern. In Tisá (Tyssa) an der Grenze zu Sachsen zu Hause stand für sie die Entscheidung für die deutsche Sprache nie infrage. Eher wunderte sie sich, dass das Erlernen der Sprache der Nachbarn für ihre Mitschüler nicht selbstverständlich ist. Die konzentrierten sich eher auf Englisch. „Im Studium waren wir nur drei, die sich für Deutsch entschieden.“ Geholfen hatte ihr das Gymnasium in Ústí, das bereits ab der sechsten Klasse intensiv Deutsch unterrichtet hat.

„Ich kann natürlich Englisch. Aber für mich ist das nur die Sprache, die man können muss, weil sie international ist. Dass ich in absehbarer Zeit im englischen Sprachraum lebe, ist aber nicht zu erwarten“, sagt sie bestimmt. Die deutsche Sprache ist dagegen eine Herzensangelegenheit für sie. Dabei war das im Elternhaus nicht angelegt. „Meine Eltern sprechen kein Deutsch. Aber sie freuen sich jetzt für mich, dass ich das intensivieren kann.“

Trotz ihrer Heimatverbundenheit stand für sie immer fest, irgendwann in Deutschland zu arbeiten. Dass es so schnell ging, hat sie dem deutsch-tschechischen Freiwilligenaustausch des Dobrovolnické centrum (Freiwilligenzentrum) in Ústí zu verdanken, der mit dem Paritätischen Freiwilligendienst Sachsen kooperiert. „Ich wurde durch einen Flyer aufmerksam.“ Als sie erfuhr, dass es um ein ganzes Jahr geht, schreckte sie das zunächst ab. „Das war mir eigentlich zu lang.“ Doch das Freiwilligenprogramm vermittelt ausschließlich an Einrichtungen im Grenzgebiet. Die Nähe zur Heimat kam ihr entgegen, also ließ sie sich überzeugen. Daran hatte auch Anna Käsche einen Anteil. Käsche war selbst vor einigen Jahren als Freiwillige beim Freiwilligenzentrum in Ústí und dann geblieben. Auch sie stammt aus der Region. Inzwischen spricht sie fließend Tschechisch und berät Interessenten an einem freiwilligen Jahr wie Tereza Kazdová.

Käsches Erfahrung als ehemalige Freiwillige ist wertvoll: „Bei meiner Vorgeschichte kann ich die vielen Fragezeichen in den Gesichtern der jungen Menschen, die nach Deutschland gehen wollen, sehr gut verstehen. Es ist beruhigend für sie, wenn ich ihnen sage, dass ich mich auf den gleichen Weg gemacht habe und dass Deutsch lernen nicht so schlimm sein kann, ich habe es mit dem Tschechischen schließlich auch geschafft“, sagt sie.

Käsche ist längst kein Einzelfall, sagt Gernot Mosig, der das deutsch-tschechische Programm für die Paritätische Freiwilligendienste Sachsen leitet. Knapp über 100 Freiwillige wurden seit 2014 von und nach Tschechien vermittelt. Weitere 142 junge Polen und Deutsche gingen seit 2010 ins Nachbarland. „Davon gibt es in jedem Jahr ein bis zwei, die nach dem Jahr in ihrer Einsatzstelle einen Job bekommen“, sagt Mosig. Andere hat das Jahr motiviert, die Sprache des Gastlandes zu studieren.

Die Arbeit der Freiwilligen beschränkt sich nicht nur auf ein Jahr und wirkt in die gesamte Grenzregion hinein. „Sie unterstützen in tschechischen Schulen den Deutsch-Unterricht, machen in Dresdner Kitas die Kinder auf die Sprache der Nachbarländer Tschechien und Polen aufmerksam oder organisieren beim School_lab der TU Dresden Ferienprogramme im Nachbarland“, sagt Mosig.

Ab nächster Woche gehört auch Tereza Kazdová zum wachsenden Netzwerk der Freiwilligen. Sie ist gespannt, wie sie alles schaffen wird: die fremde Umgebung, die Arbeit und die Sprache. Aber inzwischen kann sie sich sogar vorstellen, nach ihrem Studium für noch länger nach Deutschland zu gehen.