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Mein lieber Schwan!

Werner Bitterlich verantwortete als Bürgermeister 1982 die Neueröffnung des Wagner-Museums in Graupa.

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Von Thomas Morgenroth

Leb wohl! Leb wohl! Leb wohl, mein süßes Weib! Leb wohl! Mir zürnt der Gral, wenn ich noch bleib!“ Lohengrin küsst seine Frau Elsa, die sich an ihn klammert, dann eilt er zum Ufer, zu seinem Nachen, der auf den Wellen schaukelt, und dem weißen Schwan. Dort erlöst er den Vogel, aus ihm wird ein Jüngling, Gottfried, der Erbe von Brabant. Er wird neu geboren, dafür stirbt Elsa, weil ihr Gatte entschwindet, Lohengrin, der weiße Ritter. Ein echter Wagner eben, ausgedacht in Graupa.

Werner Bitterlich, von 1971 bis 1985 Bürgermeister der Gemeinde Graupa, steht in Raum 4 des neuen Richard-Wagner-Museums im Jagdschloss, der damals sein Dienstzimmer war. Der 76-Jährige, der die Neueröffnung des Museums im Jahre 1982 im Lohengrinhaus vera
Werner Bitterlich, von 1971 bis 1985 Bürgermeister der Gemeinde Graupa, steht in Raum 4 des neuen Richard-Wagner-Museums im Jagdschloss, der damals sein Dienstzimmer war. Der 76-Jährige, der die Neueröffnung des Museums im Jahre 1982 im Lohengrinhaus vera © Norbert Millauer

Im Jagdschloss des jetzt zu Pirna gehörenden Ortes ist die Schlussszene der 1850 uraufgeführten Oper seit Januar als dreidimensionale Projektion zu erleben, als Holographie. In Raum 4 des Richard-Wagner-Museums, der mit „Theater und Bühne“ thematisch überschrieben ist. Das wäre wahrscheinlich schon vor vierzig Jahren ein passender Name für das Zimmer mit dem schönen Kreuzgewölbe gewesen.

Werner Bitterlich lacht. Von seinem Schreibtisch aus hätte er damals den besten Blick auf den mit „Lohengrin“ oder auch dem „Fliegenden Holländer“ illuminierten Glaskasten gehabt. „Genau hier habe ich gesessen“, sagt er und deutet auf die bequeme Sitzbank, die jetzt die Besucher zum Fernsehen einlädt. Und hatte freilich nur einen Stuhl unterm Hintern und vor sich Aktenberge und die Tür zum Sekretariat: Von 1971 bis 1985 lenkte Bitterlich als Bürgermeister die Geschicke der Gemeinde. Und dachte „nicht im Traum daran“, dass aus der Amtsstube dereinst ein Teil des Wagner-Museums werden wird.

An Wagner aber dachte der gebürtige Graupaer schon. Und das nicht nur ein bisschen. „Das Museum im Schäferschen Gut war eigentlich keines“, erinnert sich der Rentner. Es gab im Obergeschoss nur zwei Gedenkräume, die seit ihrer Eröffnung im Jahre 1907 weitgehend unverändert waren. Der heutige Saal im Erdgeschoss, der einstige Stall, mit seinen Sandsteinsäulen und den interessanten Kappengewölben war durch Zwischenwände geteilt, die aus statischen Gründen vollkommen unnötig waren, und zudem vollgestellt mit landwirtschaftlichem Gerät. Für Veranstaltungen oder Ausstellungen war dieser also vollkommen verloren.

„Ich wollte aber ein Museum haben, das lebt und atmet“, sagt Bitterlich. „In das man immer wieder kommt und Neues erleben kann.“ Nur so, dachte Bitterlich, könne man Wagner wirklich ehren. Und er beließ es nicht bei Gedankenspielen. Mit dem Gemeinderat im Rücken, mit Unterstützung des Instituts für Denkmalpflege Dresden machte sich die Gemeinde ab 1977 an die Sanierung und Neugestaltung des Museums. Trennwände fielen, Fachwerk wurde frei-, Mauern wurden trockengelegt, Fenster erneuert, der Hof gestaltet. Aber der Charme des alten Bauernhauses, vor allem innen, blieb erhalten: schiefe Wände, enger Treppenabsatz im Obergeschoss, ausgetretene Stufen. Spuren der Zeit und des Lebens, die heute leider alle getilgt sind.

So einfach war es damals natürlich nicht mit solch umfangreichen Baumaßnahmen. Material und Handwerker waren Mangelware und alle bilanziert, für volkswirtschaftlich wichtige Vorhaben. Dazu zählte das Museum nicht, es spielte auch keine Rolle, dass es das Einzige zu Ehren Wagners in der ganzen DDR war. „Ich musste schon meine Beziehungen nutzen“, meint Werner Bitterlich. Zum Wohle der Gemeinde, nicht zu seinem eigenen, wie er betont. Eine VMI-Brigade, zu der er selbst gehörte, erledigte nach Feierabend und am Wochenende alle Arbeiten, für die es keines Fachmanns bedurfte.

Die Einrichtung des Wagner-Museums allerdings lag dann in den Händen von Wissenschaftlern der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ in Dresden. Von Gerd Schönfelder zum Beispiel, dem späteren Intendanten der 1985 wiedereröffneten Semperoper. Vor allem aber setzte Jörg Heyne, der dann auch die Leitung des Museums übernahm, inhaltliche Schwerpunkte. Er rückte Wagners Dresdner Jahre in den Mittelpunkt, und zwar so fundiert und erstaunlich frei von ideologischem Schmus, dass die am 15. August 1982 eröffnete Ausstellung im Grunde bis heute Bestand hat. Im Lohengrinhaus bis zur Schließung Ende 2005, dann im Interim in der Alten Schule, nun in Teilen wieder im Schloss und im Lohengrinhaus. Selbst das damals erschienene Buch von Heyne könne man weiter uneingeschränkt als Lektüre empfehlen, meint Museumsmitarbeiter Christian Mühne, der seit 1987 in Graupa ist.

Das hört Werner Bitterlich gerne. Bestärkt es ihn doch, damals die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Wer weiß, ob es das Museum ohne diese grundsätzliche Umgestaltung und Belebung durch Konzerte, Vorträge und Tagungen überhaupt noch geben würde. Wenn man so will, hat Bitterlich vor 31 Jahren den Grundstein für die heutigen Wagner-Stätten gelegt. Zu deren Eröffnung am 13. Januar 2013 allerdings war er nicht eingeladen.

„Weh! Weh!“, ruft das Volk im Hologramm des Raumes 4 dem forteilenden Lohengrin zu. „Das muss ich nun endlich auch mal sehen“, sagt Werner Bitterlich. Wie? Der Wagner-Fan, der Erneuerer des Wagner-Museums, der in Graupa auf der Lohengrinstraße wohnt, hat schon viele Opern Wagners gesehen – nur „Lohengrin“ noch nicht? Bitterlich zuckt mit den Schultern: „Schade, ja, ich weiß, aber es ergab sich bisher einfach nicht.“ Dann sollte der 76-Jährige vielleicht im Dezember mal nach Hamburg reisen, um dort an der Staatsoper den berühmtesten Satz des Gralsritters auch einmal auf der Bühne zu hören: „Mein lieber Schwan!“

Die Wagner-Stätten in Graupa sind Di-Fr von 12-18 Uhr, Sa, So und an Feiertagen von 10-18 Uhr geöffnet; 23.8., 20 Uhr, Konzert Meisterkurs der Dresdner Musikhochschule, 31.8., 16 Uhr, Konzert Gürzenich-Quartett.