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"Meine Chancen sind nicht schlecht"

Marie Mühlich tritt im Zittauer Wahlkreis für Bündnis 90/Die Grünen als Direktkandidatin an und sagt im SZ-Gespräch, was sie sich vorgenommen hat.

Von Thomas Mielke
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Marie Mühlich.
Marie Mühlich. © Rafael Sampedro/SZ-Bildstelle

Am 1. September wird ein neuer sächsischer Landtag gewählt. Die SZ stellt die Kandidaten im Zittauer Wahlkreis vor. Heute: Marie Mühlich (Grüne)

Frau Mühlich, Sie beschreiben sich selber als "jung und grün hinter den Ohren". Und so jemand will die Region im Landtag vertreten?

Ein bisschen Revolution tut doch gut. Aber im Ernst: "Grün hinter den Ohren" meint eher: Das ist mein Lebensweg. Ich möchte frischen Wind reinbringen. 

Sie sind jung und Grüne, die meisten Menschen hier eher älter und konservativ. Welche Chancen rechnen Sie sich aus?

Ich sehe das positiv und denke, dass die Chancen nicht schlecht sind. Ich habe in den persönlichen Gesprächen keine Hemmungen mir gegenüber als Person erlebt. Außerdem liegen mir auch die Wünsche der anderen Altersgruppen am Herzen. Meine Großeltern, die ich schon früher oft besucht habe, leben ja auch hier.

Warum sind Sie zu den Grünen gegangen?

Ich hatte es satt, nur zuzusehen. Ich will selber aktiv werden und Verantwortung übernehmen, um für meine ungeborenen Kinder und meine Geschwister eine grüne Zukunft zu schaffen. 

Das ginge bei anderen Parteien auch. Warum bei den Grünen?

Ich möchte gern das grüne Wissen, das ich beim Studium lerne, in leicht verständlicher Form in die Bevölkerung tragen. Ein Beispiel: Unsere Dozenten bringen uns bei, dass der Klimawandel ein natürlicher Prozess ist, den wir Menschen aber enorm beschleunigen. Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen. 

Wofür steht Bündnis 90/Die Grünen außer für Umweltschutz? Bitte nennen Sie drei Schlagworte.

Soziale Verträglichkeit und Weltoffenheit. Außerdem tragen die Grünen, die ich getroffen habe, ihr Herz offen und verschließen sich neuen Ideen nicht.

Altkanzler Kohl hat uns "blühende Landschaften" versprochen. Angesichts der De-Industrialisierung gibt es manchem hier schon zu viel Natur. Reicht das nicht aus?

Nein. Die Diversität fehlt. Viele Pflanzen und Tiere verschwinden, weil die Bestäuber fehlen oder ein paar Feldraine als Lebensraum nicht ausreichen. Trotzdem hatte es die Region wirtschaftlich natürlich schwer. Diese Entwicklung behalten wir Grünen im Auge.  Ich bin selbst davon betroffen. In einem Jahr werde ich mit dem Studium fertig sein und suche dann - wenn ich nicht in den Landtag gewählt werde - einen Job. Ein Beispiel für die vom Kohleausstieg betroffenen Fachkräfte: der mindestens 40 Jahre dauernde Ausstieg funktioniert unter Mitnahme der Fachkräfte - und braucht wahrscheinlich noch weiterer Menschen. Die Kriterien dafür müssen ökologisch, sozial und ökonomisch sein.

Wie wollen Sie denn Kohlekraftwerker in eine Zeit ohne Kohlekraftwerke mitnehmen?

Sie haben technisches und fachliches KnowHow, sind schlaue und aktive Menschen, die anpacken können. Sie werden auch künftig gebraucht, zum Beispiel für die Renaturierung. Natürlich müssen sie gemäß ihrer Stärken und Schwächen spezielle Schulungen erhalten.  

Wie könnte die wirtschaftliche Zukunft der Region Ihrer Meinung nach aussehen?

Sie könnte in der ökologischen Landwirtschaft und der Konzentration auf regionale Kreisläufe liegen. 

Werden die Lebensmittel da nicht ganz schön teuer? 

Nein, die Preise würden in etwa stabil bleiben. Da es keine großen Lieferketten mehr gibt, sinken die Transportkosten deutlich. Auf der anderen Seite haben aber die Bauern mehr im Portemonnaie.

Wie wollen Sie das den marktbeherrschenden Discountern wie Lidl & Co. mit ihrem Kampf um immer billigere Produkte schmackhaft machen?

Rewe ist doch schon ein Vorreiter, sucht die Zusammenarbeit und bietet viele regionale Produkte an. Dadurch werden viele Arbeitsplätze erhalten oder entstehen sogar neue, denn der ökologische Landbau braucht mehr Mitarbeiter als der konventionelle. Außerdem wollen wir als zweiten Zweig für eine solide wirtschaftliche Zukunft Gründungen wie zum Beispiel "Aurelie" - den Unverpakt-Laden neben der Zittauer Post - unterstützen. Ich kenne viele junge Menschen, die gründen wollen. Sie scheitern oft an der Finanzierung oder am Umfeld, das sagt: Das schaffst du nicht. 

Da sehe ich ein riesengroßes Potenzial für die Landespolitik. Sie kann auf die eine oder andere Weise die Unsicherheiten nehmen. Dazu gehört aber auch, dass die neuen und alten Firmen ökologische Kriterien erfüllen, sozial sein und Tariflöhne zahlen müssen. Ich kann mir vorstellen, dass man das auch in einer Sonderwirtschaftszone testet. Was ich dagegen nicht möchte, ist, dass sich Firmen wie Monsanto ansiedeln. Das könnte ich moralisch nicht verantworten. Ein weiteres unserer Steckenpferde ist der Öko-Tourismus. Der bietet sich für unsere Region an.

Warum?

Die Region hier ist noch relativ undurchfurcht von Straßen und die Leute, die herkommen, sind begeistert. Wir leben da, wo andere Urlaub machen. Das sollten wir unbedingt erhalten und nicht durch große Industrieansiedlungen zerstören. Außerdem möchte ich gern ein Kompetenzzentrum für ökologische Landwirtschaft in Zittau ansiedeln und damit die Stadt als Bildungsstandort stärken. 

Auf welche Schwerpunkte konzentrieren Sie sich, wenn Sie gewählt werden?

Stadt- und Raumentwicklung unter dem Einsatz ökosystemarer Dienstleistungen. Das studiere ich, da bin ich vom Fach. Außerdem möchte ich die Kommunikation zwischen Bürgern und Landtag verbessern und zum Beispiel über soziale Plattformen mehr Transparenz schaffen. Da sehe ich mich als Vermittlerin. Außerdem würde ich mich stark dafür einsetzen, dass das Kompetenzzentrum hierher kommt. Mir ist es auch wichtig, die Vereinsstruktur - ich bin Mitglied in mehreren Vereinen - zu stärken. Ich kenne die finanziellen und sprachlichen Hürden. Ich möchte auch Franziska Schubert, die ich ein bisschen als meine Mentorin sehe, unterstützen. Sie will erreichen, dass die Kommunen mehr Geld als Basis bekommen.  

Was möchten Sie bis 2024 unbedingt umgesetzt sehen?

Die bessere Finanzausstattung der Kommunen, den Beschluss für die Ansiedlung des Kompetenzzentrums in Zittau und einen ordentlichen Plan für den Umbau des Waldes in Mischwald.

Hier? Die Stadt Zittau als größter kommunaler Waldbesitzer Sachsens hat doch schon vor Jahren damit begonnen.

Ja - überall in Sachsen - aber zu langsam. Ich setze mich dafür ein, dass der Prozess beschleunigt wird. Der Freistaat kann die Waldbesitzer dabei noch besser unterstützen, zum Beispiel mit finanziellen Anreizen. Außerdem sollte der ÖPNV gestärkt sein. Dazu gehört zum Beispiel der Ausbau des Radwegenetzes. Dafür könnte man auch Geld aus dem Finanzpaket für den Strukturwandel nehmen. Prinzipiell sollte er aber so gestaltet werden, dass viel Geld zu Menschen fließt, die ökologisch-soziale Projekte in die Hand nehmen und die Zukunft selber gestalten wollen. Als Hilfe zur Selbsthilfe sozusagen.

Wie wollen Sie die Milliardenhilfen auf einzelne Menschen verteilen?

Wie bei jedem anderen Projekt auch: über die Beantragung. Langfristig - nach Stärken der Kommunen - über die Beantragung bei den Kommunen. Damit der Kontakt zu und zwischen den Menschen erhalten bleibt.

Wenn Sie in den Landtag einziehen, müssen Sie oft in Dresden arbeiten. Ziehen Sie dann zurück in die Landeshauptstadt?

Nein, ich bleibe hier, auch wenn meine Eltern in Dresden leben. Sonst würde ich die Bedürfnisse der Menschen hier nicht mehr wahrnehmen können. Das passt nicht in mein logisches Denken.

 

Marie Mühlich im Internet: Kandidatenvorstellung

Marie Mühlich ist 28 Jahre alt, in Dresden geboren und aufgewachsen, hat aber familiäre Bindungen nach Zittau. Seit 2011 lebt sie in Zittau, studierte erst an der Hochschule Zittau/Görlitz "Ökologie und Umweltschutz" und studiert nun nach dem erfolgreichen Bachelor-Abschluss am Internationalen Hochschulinstitut Zittau (TU Dresden) "Ecosystem Services (Ökosystemare Dienstleistungen). Sie ist seit 2018 Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen, nicht verheiratet und hat keine Kinder.

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