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„Meine Karriere begann in Riesa“

Karl Döring kam 1967 ins Stahlwerk. Fortan ging es für ihn steil bergauf – bis zum stellvertretenden DDR-Minister.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Eine Runde um den alten Wohnblock an der Dresdener Straße in Weida drehen – das wollten sich Dr. Karl Döring und seine Frau Swetlana nicht entgehen lassen. In der vorigen Woche waren sie zu Gast in der Stahlstadt. Zeitsprung ins Jahr 1967: Das junge Paar Döring zieht samt Töchterchen Katja nach Riesa. Karl Döring hat eine Stelle in der Forschungsdirektion im Stahl- und Walzwerk Riesa ergattert. Er kann in dem Bereich arbeiten, über den er auch seine Doktorarbeit verfasst hat: die Strangguss-Technologie. „In Riesa stand die erste industrielle Strangguss-Anlage in der DDR.“ Mit daran zu arbeiten, die neue Technik ans Laufen zu bekommen, war damals eine Riesenchance für Döring. Mit dem Lohn, den man ihm anbot, war er allerdings weniger zufrieden. 870 DDR-Mark im Monat – Ende der Durchsage. „Aber mein Spezialgebiet zu vertiefen, war mir wichtiger als das Geld“, erzählt er. Ein „Trostpflaster“ war auch jene Neubauwohnung in Weida, die die junge Familie beziehen durfte. „Zwei Räume, Küche, Bad – wir waren glücklich!“, erinnert sich der heute 79-Jährige.

Das Stahl- und Walzwerk Riesa um das Jahr 1970: Zu dieser Zeit arbeitete dort auch Dr. Karl Döring.
Das Stahl- und Walzwerk Riesa um das Jahr 1970: Zu dieser Zeit arbeitete dort auch Dr. Karl Döring. © Stadtmuseum Riesa

Im Werk stieß der hochmotivierte Jung-Ingenieur jedoch gleich auf ein Problem: den Forschungsdirektor. „Er wollte die neue sowjetische Strangguss-Anlage nicht. Er bevorzugte eine aus dem Westen. Doch was sollten wir machen? Jetzt war die Anlage nun einmal da.“ Döring hatte Erfahrung mit der Technik aus dem Osten –  immerhin hatte er sieben Jahre lang Eisenhüttenkunde in Moskau studiert. Zu dieser Zeit in Russland lernte er auch seine Frau Swetlana kennen. Gegen den Widerstand ihrer eigenen Familie hatte sie sich entschieden, mit ihm nach Deutschland zu kommen. „Unsere Hochzeit hat die Wogen dann aber geglättet“, erzählt Döring.

Zurück ins Stahlwerk Ende der 60er: Dass es Anlaufschwierigkeiten mit der neuen Anlage gab, blieb auch der Werksleitung nicht verborgen. „Ich wurde eines Tages zur Seite genommen und gefragt: Was sollen wir jetzt machen?“ Eine gute Frage, auf die Döring nur eine Antwort wusste: „Wir müssen den Döring an die Spitze setzen.“ Ganz schön keck für einen der jüngsten Forschungsingenieure im Werk. „Ich hatte fortan freie Hand – aber auch die volle Verantwortung“, erzählt er. Sein Ziel: einwandfreies Vormaterial für die Rohrproduktion herzustellen. Döring war fortan „Tag und Nacht auf den Beinen“, wie er sagt. „Dem Familienleben war das nicht unbedingt zuträglich“, gesteht er im Nachhinein. „Ich hatte wenig Zeit für die Kinder. Vor allem für meine Frau war das nicht einfach. Sie musste ja auch erst einmal Deutsch lernen.“ Schließlich konnte sich Swetlana Döring aber auch im Beruflichen durchsetzen. „Als Chemikerin wurde sie als Frau in einer Männer-Domäne allerdings sehr genau beobachtet.“

So rar die gemeinsame Freizeit war – Karl Döring erinnert er sich lebhaft an die gemeinsamen Ausflüge mit den sowjetischen Spezialisten im Werk – nach Dresden, in den Spreewald oder Leipzig. „In dieser Gemeinschaft haben wir uns sehr wohl gefühlt. Es waren Swetas Landsleute und mir ist Russland zu einer zweiten Heimat geworden.“

Die Mühen im Werk haben sich für Karl Döring schließlich ausgezahlt – irgendwann lief sie, die neue sowjetische Anlage. 1972 bekam er dafür den Nationalpreis zweiter Klasse. „Auf ein Bild von der Preisverleihung warte ich bis heute“, sagt Döring lachend.

In Riesa hatte er es inzwischen bis zum Produktionsdirektor geschafft. „Wir hatten uns gerade richtig eingelebt, als mich das Ministerium ins Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf schickte.“ Die Freude darüber habe sich in Grenzen gehalten. „Sweta hatte gerade ihre neue Stelle. Doch private Befindlichkeiten spielten in dieser Zeit überhaupt keine Rolle.“ Also ging es für die Familie nach Brandenburg.

Fünf bis sechs Jahre war die damals übliche Zeitspanne, die Döring an einer Arbeitsstelle verbrachte. Von Hennigsdorf aus wurde er zum stellvertretenden Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali nach Berlin berufen. Nach weiteren sechs Jahren landete er endlich dort, wo er immer hin wollte: in Eisenhüttenstadt. „Seit den 60er Jahren hatte ich den Vorvertrag in der Tasche. Doch es ist bis 1985 nie zu einem Arbeitsverhältnis gekommen. Das Werk ging erst 1984 in Betrieb – viel später als ursprünglich geplant.“ So ist es letztlich der DDR-Mangelwirtschaft zu verdanken, dass Döring seine Karriere in Riesa startete.

Dr. Karl Döring hat ein Buch über seine Arbeit und sein Leben geschrieben. Ein Kapitel darin befasst sich darin auch mit Riesa. „Eko – Stahl für die DDR – Stahl für die Welt“ ist 2015 im Verlag Edition Berolina erschienen und kostet 9,99 Euro.