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„Miesepeter nützen uns gar nichts“

Michael Kretschmer beschwor die Chancen des Strukturwandels – und die Geduld der Mühlroser.

Von Constanze Knappe
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Michael Kretschmer ist von den Möglichkeiten des Strukturwandels in der Lausitz überzeugt. Allerdings bedarf das auch der Macher vor Ort.
Michael Kretschmer ist von den Möglichkeiten des Strukturwandels in der Lausitz überzeugt. Allerdings bedarf das auch der Macher vor Ort. © Foto: Joachim Rehle

Weißwasser. Mit dem ICE von Berlin nach Weißwasser in einer Dreiviertelstunde. Es ist eine der Visionen von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) für den Strukturwandel im Lausitzer Revier. Weißwassers Oberbürgermeister Torsten Pötzsch (Klartext) pflichtete ihm bei: „In Berlin ist es nahezu unmöglich, einen Kleingarten zu bekommen, aber viele Hauptstädter sind auf der Suche danach.“ In Weißwasser gibt es genug davon. Nach den Vorstellungen des OB könnten am Freitagabend die Hauptstädter in einer Stunde in Weißwasser sein, sich in ihrem Garten erholen, hier auch Geld ausgeben und am Sonntagabend wieder nach Hause fahren…

Aufbruchstimmung eingefordert

Neue Jobs bringt das nicht, aber es ist eine von vielen Ideen für die Zukunft der Lausitz, wie sie jetzt beim Bürgerforum des Ministerpräsidenten im Lichtsaal der Telux in Weißwasser zur Sprache kamen. „Es ist unsere gemeinsame Heimat. Bei alldem, was wir hier tun, soll das Leben danach besser sein“, sagte Michael Kretschmer.

Die mehr als 300 Plätze waren nahezu alle besetzt. Wie beim Bürgerforum in Trebendorf war auch diesmal der Kohleausstieg das maßgebliche Thema. Nur, dass es jetzt mit 2038 ein Datum dafür gibt. Bis dahin werde 2023, 2026, 2029 und 2032 geprüft, inwieweit mit den alternativen Energien Versorgungssicherheit und bezahlbare Strompreise zu gewährleisten sind. „Mit diesem Sicherheitsnetz bleibt ein Zeitraum von 20 Jahren für die Strukturentwicklung“, so Michael Kretschmer. Von den dafür vorgesehenen 40 Milliarden Euro sollen 18 Milliarden in die Lausitz fließen. „So viel Geld wird es dann nicht wieder geben und die damit verbundenen Chancen in den nächsten 300 Jahren nicht mehr“, ergänzte Weißwassers OB.

Dann sprach Michael Kretschmer von eben jener ICE-Strecke von Berlin nach Görlitz, von der Elektrifizierung und dem zweiten Gleis für den Regionalverkehr, von ausgebauten Straßen. Dass die Lausitz in der Infrastruktur großen Nachholbedarf habe, liege an den bisherigen Regeln. „Da fallen alle unsere Projekte hinten runter. Fast 30 Jahre war das so“, sagte er. Das werde jetzt anders. Mit dem Planungsbeschleunigungsgesetz. Wenn den Kohlegegnern der Ausstieg so wichtig sei, dann müssten sie an anderer Stelle zurückstecken, so der Ministerpräsident. Für jedes der vier Braunkohlereviere in Deutschland sind 1000 öffentliche Arbeitsplätze zugesichert. Dafür sei die ehemalige Ingenieurschule für Glastechnik in Weißwasser genau richtig. Fördergelder zu besseren Konditionen soll es für mittelständische Unternehmen geben, weitere mit dem Ausbau der Infrastruktur angelockt werden.

Nach seiner Philosophie ist die Lausitz „von unten nach oben aufzubauen“. In jener Aufbruchstimmung, wie sie einst herrschte, als für Mitarbeiter der Tagebaue und des Kraftwerks Wohnblöcke in Hoyerswerda und Weißwasser hochgezogen wurden. Deshalb brauche es jetzt Leute, die Ideen haben und auch mal querdenken können. „Miesepeter nützen uns gar nichts“, sagte Michael Kretschmer. Für den weiteren Fahrplan nannte er ein Maßnahmegesetz des Bunds, ein 150-Millionen-Euro-Sofortprogramm und einen Mitmachfonds des Freistaats Sachsen „für die kleinen Dinge, die Mut machen“. Die 171 Maßnahmen aus dem dicken Ordner der Kohlekommission werden vom Freistaat geprüft. Gemeinsam mit dem Landkreis Görlitz soll daraus eine Prioritätenliste erstellt werden. „Alle konkreten Dinge, die wir machen können, werden wir tun“, versprach er.

Mühlroser wollen Umsiedlung

Daran klammern sich die Mühlroser. Von den 200 Einwohnern waren mehr als 30 gekommen, um ihrer Forderung nach Umsiedlung Nachdruck zu verleihen. In einer Petition an den Landtag haben sie das bereits getan. „Unsere Lebensbedingungen sind so katastrophal, dass die Umsiedlung notwendig ist“, erklärte Wolfgang Martin, Mitglied des Beirats Umsiedlung Mühlrose. Ob die Einwohner des Orts tatsächlich bei ihrer Entscheidung bleiben, wollte Kretschmer daraufhin wissen – und bekam ein deutlich zu vernehmendes Ja zu hören. Die Chefs der Lausitz Energie Bergbau AG (Leag) aus Prag hätten ihm gesagt, wenn die Mühlroser es wollen, dann macht die Leag das, „selbst wenn die Umweltlobby deswegen über sie herfallen wird“. Im März steht die Entscheidung im Aufsichtsrat an. Bis dahin bitte er die Mühlroser „noch um etwas Geduld“. Dem widersprach eine Mühlroserin, die Bürger hätten seit 15 Jahren Geduld bewiesen. „Wir wollen nicht die Umsiedlung, wir fordern sie“, erklärte sie mit Verweis darauf, dass die Jugend davonläuft, man ja auch nach der Umsiedlung in der Heimat bleibe. Dass die Mühlroser mit ihren Nerven am Ende sind, sieht auch Kretschmer so. „Mitte März ist die Sache erledigt oder ich komme bei Ihnen vorbei“, versprach er.

Wie Robert Kuhnert sind viele Menschen „entsetzt, dass eine nichtstaatliche Organisation wie die Deutsche Umwelthilfe über das Wohl und Wehe einer ganzen Nation entscheidet“. Der Ministerpräsident verwies erneut auf den Kompromiss zum Kohleausstieg, das sei nun mal Demokratie. Scharf verurteilte er diejenigen, die mit der Besetzung von Tagebaugeräten diesen Kompromiss unterlaufen.

Standortfaktor Kinderbetreuung

In der Fragerunde ging es außerdem um Investitionen des Freistaats in Bad Muskau, um die Entlohnung für Musikschullehrer, um die Unterstützung für die Gründer einer freien alternativen Grundschule in Weißwasser und um Elternbeiträge für Kitas. Der Freistaat plant, dass Kommunen selbst darüber befinden, ob sie die Elternbeiträge auf 15 Prozent absenken. „Das würden wir ja gerne, aber die Haushaltslage in der Konsolidierung lässt das nicht zu“, so eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Weißwasser. Sie kritisierte, dass durch solche Spielräume die Ungleichheit zwischen den Kommunen geschürt werde, wo doch die Kinderbetreuung ein Standortfaktor sei. Eine Feuerwehrabgabe als Pflichtsteuer und das seit langem geplanten Fahrgastschiff auf dem Bärwalder See waren weitere Themen. Eine Dreiviertelstunde länger als vorgesehen stand Michael Kretschmer Rede und Antwort. Um, wie er selbst sagte, zu vermitteln, dass er persönlich an den Prozess des Strukturwandels glaube. Und auch nach dem offiziellen Teil war er noch lange dicht umringt.