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Eine Frau mit vielen Geschichten

Vor 16 Jahren kam Reinhild Schultes zurück in ihre Heimat. Sie wollte ihren Traum verwirklichen – auf 386 Seiten.

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Von Dorit Oehme

Das Hochzeitsbild ist jung, die Wohnung modern eingerichtet. Eine Frank-Sinatra-CD liegt im Hifi-Regal obenauf. Reinhild Schultes bittet zu den Korbstühlen und dem runden Tisch auf der Veranda. „Hier arbeite ich am Vormittag an meinem Laptop“, erzählt die Autorin. Sie reicht über der gläsernen Tischplatte Leseproben ihres fertigen Roman-Manuskriptes herüber. Auf jedes DIN-A4-Blatt sind zwei künftige Buchseiten gedruckt.

Die Arbeit am Rechner ist die 71-Jährige gewohnt. „Bis zum Jahr 2000 war ich in der Marketingabteilung eines weltweit agierenden Konzerns in Stuttgart tätig. Das war eine gute Basis, als ich 2011 mit dem Schreiben meiner Autobiografie begann“, sagt Reinhild Schultes. Sie fügt an: „Schon mit zehn habe ich mehr gelesen als gespielt. ‚Wenn ich groß bin, werde ich Schriftstellerin‘ – hab ich geträumt. Doch wäre mein Leben nur im Gleichklang und in der Normalität verlaufen, hätte das in mir wohl nichts ausgelöst.“

Ein wiederkehrendes Thema der heutigen Bannewitzerin sind Menschen, die scheitern und immer wieder aufs Neue ihr Glück suchen. Bereits in ihrer Autobiografie „Das alte, einsame Bahnwärterhaus“ von 2013, in der sie ihre Kindheit und Jugend in Kleinnaundorf schildert. Wie auch in „Akzente der Bitternis“ vom Frühjahr 2014, wo die Autorin das Leben ihrer Großmutter und Mutter beschreibt.

Nun liegt auf dem Glastisch der hellen Veranda ein biografisch inspirierter Romanstoff: Frieder liebt Hanna, hat aber die Tochter seines Meisters geheiratet. Damit hat er eine sichere Existenz, ist aber nicht mehr er selbst. Hanna wiederum ist liiert mit dem früheren Mann ihrer Schwester Cecilie, die kurz nach der Geburt ihrer Zwillinge verstarb. Hanna sprang ein, zog den Jungen und das Mädchen auf. Glücklich ist auch sie nicht. Ihr schöner, charismatischer Partner konnte als Apotheker zwar schon ihrer Schwester Annehmlichkeiten bis hin zur Parisreise bieten – und das zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Doch nebenher betrog er sie, wie nun Hanna, mit zahlreichen Affären…

Die Handlung spielt hauptsächlich in den heutigen Bannewitzer Ortsteilen Possendorf, Wilmsdorf und Welschhufe. Die frühere Poisenschänke und der Poisenwald kommen darin vor. Fünf Monate lang hat Reinhild Schultes an dem Text gearbeitet, gut sechs Stunden täglich. „Es hat mich fasziniert, Figuren zum Leben zu erwecken, mit einem Erscheinungsbild auszustatten und Situationen zuzuführen. Die Dinge sich entwickeln zu lassen, positiv wie negativ.“ „Die Facette einer Lüge“ hat Reinhild Schultes ihren gut 300-seitigen, ersten Roman genannt. „Mein persönliches Ziel ist, dass er im Frühjahr zur Leipziger Buchmesse erscheint. Ich versuche diesmal auch, das Manuskript größeren Verlagen vorzulegen“, erklärt sie.

Ihre beiden bisherigen Titel hat die Bannewitzerin im Eigenverlag über die Edition Winterwork veröffentlicht. Auf die Anschreiben an Verlage setzt sie gern ein Zitat von Vaclav Havel: „Die Hoffnung, im Gegensatz zum Optimismus, ist nicht die Erwartung, dass es gut ausgeht, sondern das Engagement in Gewissheit, dass es Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Die beiden Hauptfiguren ihres Romans treffen sich nach Jahrzehnten ausgerechnet auf dem Friedhof wieder.

Der Ernst des Lebens hat sie sehr verändert. Beide leben wieder allein – Frieders Frau ist tragisch ums Leben gekommen. Hanna hat sich von ihrem Partner getrennt. Sie schreibt an einem Buch mit dem Titel „Das, was uns bleibt“.

Zu Reinhild Schultes Lesungen, wie zuletzt bei den Freitaler Kultur(all)tagen, sitzt übrigens ihr Mann Peter Schultes mit im Publikum. Sie waren Klassenkameraden, vor vier Jahren haben sie geheiratet. „Mein Mann ist sehr geradlinig. Endlich habe ich die Geborgenheit und die starke Schulter zum Anlehnen gefunden, nach der ich mein Leben lang gesucht hab“, offenbart sie. Schon 1957 war Reinhild Schultes mit der Mutter und dem Stiefvater nach Dresden gezogen. 1984 reiste sie nach Westdeutschland aus. Als 55-Jährige kehrte sie zurück.

Für ihre Tochter und die beiden Enkeltöchter hat Reinhild Schultes ihre Familiengeschichte zuerst aufgeschrieben. Doch ihre Milieuschilderungen und generationsübergreifenden Erzählungen berühren übers Private hinaus.