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Neue Einblicke in der Neißstraße

Die Sanierung des Hauses 28 in Görlitz ist fast geschafft. Jetzt fehlt noch ein Mieter für das besondere Restaurant auf zwei Etagen.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Görlitz. Beim Rundgang durch die 161-Quadratmeter-Maisonette-Wohnung im Dachgeschoss der Neißstraße 28 muss Peter Michel selbst staunen, was er hier geschaffen hat. Große, helle Zimmer in beide Richtungen, eine offene Küche, dazwischen zwei Bäder und noch ein kleines Gäste-WC sind hier in den vergangenen Monaten entstanden. Erreichbar ist die Wohnung auch per Aufzug. „So nobel habe ich es zu Hause selbst nicht“, sagt der 55-jährige Eigentümer des Gebäudes. Jetzt will er die Wohnung für stolze 6,95 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter vermieten, also für reichlich 1 100 Euro kalt. Mieter hat er noch nicht gefunden – aber bisher auch noch nicht allzu intensiv gesucht. Doch jetzt, wo fast alles fertig ist, will er loslegen: „Ab 1. April ist die Wohnung bezugsfertig.“

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Viel Pracht steckt im Detail.
Viel Pracht steckt im Detail. © nikolaischmidt.de
Eigentümer Peter Michel steht am offenen Fenster der Dachgeschosswohnung des Hauses Neißstraße 28. Hier gibt es zwar keinen Balkon, aber zumindest viel Licht und einen schönen Blick in den Hinterhof zwischen Handwerk, Kränzel-, Neiß- und Weberstraße.
Eigentümer Peter Michel steht am offenen Fenster der Dachgeschosswohnung des Hauses Neißstraße 28. Hier gibt es zwar keinen Balkon, aber zumindest viel Licht und einen schönen Blick in den Hinterhof zwischen Handwerk, Kränzel-, Neiß- und Weberstraße. © nikolaischmidt.de
Beim Restaurant sind selbst die frisch gefliesten Toilettenräume ein Hingucker. Die Wände sind noch nicht fertig.
Beim Restaurant sind selbst die frisch gefliesten Toilettenräume ein Hingucker. Die Wände sind noch nicht fertig. © nikolaischmidt.de

Michel stammt ursprünglich aus Ostritz, zog aber schon mit 18 Jahren nach Erfurt und acht Jahre später in den Raum Meiningen in Südthüringen, wo er bis heute lebt, für das Gericht arbeitet – und für die eigene Altersvorsorge ein paar Gründerzeit- und Jugendstilhäuser in Meiningen und Hildburghausen saniert hat. Den Bezug zur alten Heimat aber hat er nie verloren, sein Sohn Franz-Josef studierte sogar für einige Jahre in Görlitz. Und irgendwie wünschte sich Peter Michel auch in der alten Heimat ein eigenes Haus, auf jeden Fall ein historisches. Eines, in dem er eine Wohnung nutzen kann, wenn er hier zu Besuch ist – und in dem er den Rest vermieten kann. Auf die Neißstraße 28 wurde Franz-Josef Michel aufmerksam. Die Vorbesitzer wollten das unsanierte Gebäude loswerden. Der damalige Student zeigte es seinem Vater. Und der sagte sich: „Wenn ich hier einen Fahrstuhl einbauen darf, dann kaufe und saniere ich es.“

Er durfte. Und so begann er im Sommer 2016 mit der Sanierung des alten Hauses. Viele neue Ein- und Ausblicke sind seither entstanden: Die großen Fenster lassen viel Licht hinein, bieten den Bewohnern aber auch eine gute Aussicht. Innerhalb der nächsten zwei Wochen sollen an der Hofseite noch Stahlbalkone von 1,70 mal zwei Metern Größe montiert werden.

Drinnen gibt es nun drei Wohnungen: Neben der Maisonette im Dachgeschoss noch jeweils eine im zweiten und dritten Stock. „Die untere nutze ich selbst, wenn ich in Görlitz bin, vermiete sie aber ansonsten auch als Ferienwohnung“, sagt Michel. In die obere hingegen ziehen ältere Leute ein, Zuzügler von außerhalb. Teilweise hat Michel in den Wohnungen bewusst ein paar Akzente gesetzt, die auf die Geschichte des Hauses hinweisen: Einen unverputzten Wandabschnitt hier, ein paar uralte Terrakotta-Bodenfliesen dort. Andererseits setzt er auch auf moderne Elemente, nicht nur den Aufzug, sondern auch Fußbodenheizungen oder freistehende Badewannen.

Im Parterre, da wo einst Zigaretten hergestellt und verkauft wurden, entsteht ein Restaurant. Es soll auch die erste Etage mit einnehmen. Mit den aufwendig bemalten Holzbalkendecken ist es wohl die schönste Etage. „Das sind zusammen 180 Quadratmeter, also 80 bis 85 Plätze“, sagt der Bauherr. Die Gasträume auf beiden Etagen sind jeweils straßenseitig untergebracht. Hofseitig gibt es im Parterre die Küche, im ersten Stock die auffällig gefliesten Toiletten. Der Hof misst ganze drei Quadratmeter.

Insgesamt eine Million Euro hat Michel in das Haus investiert. Eine große Herausforderung bei der Sanierung waren die Grundrisse: Das Haus ist vorn 8,50 Meter breit, hinten nur 6,20 Meter. Dazwischen ist es sehr tief. Früher gab es zwei Wohnungen pro Etage und viele fensterlose Räume. Michel hat jetzt einige Wände entfernt, sodass die hellen Räume vorn und hinten deutlich größer geworden sind. Ansonsten liegen im fensterlosen Mittelteil des Hauses vor allem Treppenhaus, Fahrstuhl, Bäder und Toiletten.

Für die beiden unteren Etagen wünscht er sich etwas Ausgefallenes, vielleicht ein südamerikanisches oder irisches Restaurant, hat aber noch keinen Mieter gefunden. „Ich hatte einen Peruaner und seine deutsche Frau als Interessenten“, sagt er. Das hätte ihm gefallen, weil es eine neue Facette in die Görlitzer Gastronomielandschaft gebracht hätte, doch leider sei das Paar aus familiären Gründen abgesprungen. Jetzt hofft Michel, einen anderen Betreiber zu finden, der etwas Besonderes eröffnen will, kein Null-acht-15-Restaurant.

Das würde nicht zu dem einzigartigen Gebäude passen. „Mein Keller stammt aus dem 14., das Haus eventuell aus dem 15. Jahrhundert“, sagt Michel. Die bemalten Holzbalkendecken könnten Spätrenaissance oder Frühbarock sein, also um das Jahr 1600 entstanden. „Offenbar war das Haus nicht vom großen Stadtbrand 1717 betroffen, sonst wären die Decken nicht mehr da“, sagt Michel. Im Jahr 1846 wurde das Haus um zwei Etagen aufgestockt. Eine davon wurde aber in den 1960er Jahren wieder abgetragen. „Es war das höchste Haus in der Straße“, sagt Michel. Doch auch jetzt ist es noch hoch, entsprechend gut ist die Aussicht vom Dachgeschoss in alle Richtungen. „Bis Juni werden auch die beiden Restaurant-Etagen fertig sein“, sagt der Hausbesitzer. Mit der Sanierung blüht eines der letzten unsanierten Häuser der Neißstraße nach langem Leerstand wieder auf. So richtig unsaniert ist dann eigentlich nur noch der Braune Hirsch, direkt gegenüber. Aber der hat seine offizielle Postanschrift ja am Untermarkt 26.