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Neues Leben in alter Weberei

Zwei Oberlichtenauer Handwerker möbeln den verfallenen Industriebau auf. Auch Wohnungen sind entstanden.

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© René Plaul

Von Reiner Hanke

Über der alten Bandweberei Schäfer in Oberlichtenau an der Pulsnitzer Straße braut sich gerade ein Unwetter zusammen. Heftiger Regen prasselt aus schwarzen Wolken aufs Dach. Vor drei Jahren wäre das Wasser noch in die Etagen darunter geplätschert und hätte sein Zerstörungswerk fortgesetzt. Doch die alte Weberei ist jetzt ganz und gar nicht mehr alt, sondern ein modernes Firmengebäude mit Wohnungen in den Obergeschossen. Vor zweieinhalb Jahren begannen die beiden Sanitär- und Heizungsspezialisten Matthias Thomschke und Kai Lunze mit der Sanierung, um sich für ihre Haustechnik-Firma nach zwölf Jahren endlich einen repräsentativen Stammsitz zu schaffen. Wenn die Chefs Fotos vom Bau vor sich ausbreiten, dann ist nur noch schwer vorstellbar, wie es hier einmal aussah. Die einst graue Fassade erstrahlt in einem kräftigen Rotton. Dort, wo einmal der Material-Aufzug an der Fassade klebte, befinden sich nun auffällige runde Fenster. Ein anthrazitfarbener Streifen erinnert noch an den Bereich, an dem sich der Lift einst befand. Matthias Thomschke weiß noch, wie er hoch droben im Schacht an der Seilsicherung hing: „Mit dem Brennschneider habe ich damals die Konstruktion zerlegt.“ Oft seien ehemalige Webereimitarbeiter vorbeigekommen, um Erinnerungen auszutauschen. Die Produktion endete schon kurz nach der politischen Wende 1990.

Ein kräftiger Rot-Ton ist das Markenzeichen des neuen Firmengebäudes von Kai Lunze und Matthias Thomschke in Oberlichtenau an der Pulsnitzer Straße.
Ein kräftiger Rot-Ton ist das Markenzeichen des neuen Firmengebäudes von Kai Lunze und Matthias Thomschke in Oberlichtenau an der Pulsnitzer Straße. © René Plaul

Kai Lunze deutet auch auf die 18 Meter hohe Esse auf dem Foto. Die ist auch längst verschwunden, ebenso wie die Lieferrampe und das alte Heizhaus mit der Kohlefeuerung. Eine moderne Pelletheizung sorgt jetzt für Wärme. Die wird mit Solarmodulen auf dem neuen Dach ergänzt und einem Lüftungssystem mit Wärmerückgewinnung, um Energie zu sparen. Für Heizungsexperten sei das eine Ehrensache.

Schritt in die Selbstständigkeit nie bereut

Selbstständig machten sich die beiden Oberlichtenauer schon Anfang des vorigen Jahrzehnts. Zuvor arbeiteten beide bei einem anderen Sanitärunternehmen im Ort: „Wenn einem der Schuh zu eng wird, muss man ihn wechseln“, sagt Kai Lunze schlicht, um den Neustart zu begründen. Den Schritt in die Selbstständigkeit hätten sie bisher nicht bereut, sagt der 45-Jährige: „Wir wollten aber unbedingt in der Region bleiben.“ Durch einen Tipp seien sie nach langer Suche schließlich auf die Fabrik gestoßen. Nach einer Insolvenz schlummerte das Objekt bei einer Bank als „Schrottimmobilie“ ganz unten in der Schublade. Die beiden Investoren rüttelten es wach und bewiesen, was sich daraus machen lässt. 2008 war der Kauf perfekt. Vor drei Jahren, war dann alles so weit, um loslegen zu können. Die Geschäftsführer wollten auch nicht mehr länger auf Fördermittel für bestimmte denkmalpflegerische Arbeiten warten. Es wäre ja schön gewesen. „Aber das Dach war so kaputt, wir mussten loslegen, um schlimmere Schäden zu verhindern“, sagt Matthias Thomschke. Der Dachstuhl aus dem Jahr 1906 fiel quasi auseinander.

Bis zum Umzug jetzt „hatten wir das Büro bei uns im Keller, im Musikzimmer“, sagt Kai Lunze. Die Musiker der Familie mussten also etwas zurückstecken. Aber nicht nur in der Beziehung musste die Familie, die Frau und die zwei Kinder, zurückstecken. Das ging Kompagnon Thomschke nicht anders: Die Aufträge, Büroarbeit, der Bau – da blieb wenig Zeit, sagt der 52-Jährige. Ebenfalls Familienvater mit drei Jungs. Auch die Wochenenden waren teilweise mit Arbeit verplant. Wenn Kai Lunze zum Beispiel Aufträge ranschaffte, schuftete Matthias Thomschke auf dem Bau.

Zwölf Jahre Provisorium

Die Material-Lager waren jahrelang auf mehrere Standorte verstreut: „Endlich haben wir alles hier zentral, mit Werkstatt“, sagt Matthias Thomschke heute, „Jetzt genügt ein Griff.“ Rund zwölf harte Jahre dauerte das Provisorium. Seitdem kamen fast jedes Jahr Mitarbeiter dazu, auch Lehrlinge. „Auf den Berufsnachwuchs legen wir viel wert“, so Lunze. Sechs Leute gehören nun zur Stammbelegschaft. Größtes Projekt in der Zeit war wohl die Mitarbeit bei der Sanierung eines Kempinski-Luxus-Hotels bei Frankfurt/Main mit 38 Bädern und einer Suite. Auch das automatische Hightech-Melkkarussell in Gersdorf, das erste in Sachsen, montierten die Oberlichtenauer, 1,6 Kilometer Rohre inklusive. Derzeit betreten sie Neuland in Hosena mit einem Dampferzeuger für eine Kelterei. Für die Planungen und Kundengespräche haben sich die Geschäftsleute nun auch repräsentative Räume geschaffen: schlicht und doch elegant – in Anthrazit und Lichtgrau. Der Fußboden als Reverenz an die Region in Granit. Der große Websaal musste freilich geteilt werden, etwas vom Charme des Industriegebäudes ist aber auch geblieben. Davon erzählen Details, wie die gusseisernen Säulen, Lichtleisten, die die Decke tragen und dezent angestrahlt werden.

Die zwei Wohnungen wurden bereits im Vorjahr fertig. Jetzt geht der Bau auch in den Firmenräumen dem Ende entgegen. Im Pausenraum liegen an dem Tag noch Hammer und Schraubendreher. Dort müssen die Stühle montiert werden. Das Schild am Büro der Chefs ist noch anzuschrauben. Eine siebenstellige Summe floss mittlerweile in den Bau. Pünktlich zum zwölfjährigen Jubiläum sind sie fertig geworden. Den Hof wollen die beiden Handwerker noch aufmöbeln und perspektivisch auch das Wohngebäude zur Pulsnitzer Straße. „Das haben wir später hinzugekauft“, sagt Matthias Thomschke. Noch sieht es so grau aus, wie früher die Fabrik. Es soll entkernt und mit Wohnungen ausgebaut werden.