Neun offene Mordfälle

Landkreis. Wie viele Mord- und Totschlagsfälle, auch unaufgeklärte, gibt es im Kreis Meißen? Mord verjährt nicht. Kriminalhauptkommissar Frank Haschke und seine sechs Kollegen sind in der Polizeidirektion Dresden die Ermittler für genau diese Fälle.
Frank Haschke erinnert sich an Geschehnisse, die für viel Aufsehen sorgten – wie den Fall des vor 22 Jahren im Moritzburger Forst erschossenen Ehepaares Adolf, den Mord an Annelie Risse, an ein Brandunglück 2015 in Lommatzsch, bei dem ein Ehepaar im verrauchten Schlafzimmer mysteriös umkam, und den Fall, als im gleichen Jahr eine Mutter in Radeburg erst ihren zehnjährigen Sohn und dann sich selbst umgebracht hat. „In den letzten fünf Jahren haben wir sechs Tötungsdelikte aufgeklärt, auch die genannten“, sagt Haschke, stellvertretender Leiter der Mordkommission.
Seit 2004 gibt es keine unaufgeklärten Fälle mehr in seinem Bereich, der Dresden und das Umland umfasst. Was nicht heißt, dass nichts mehr in der Schublade liegt. Beispielsweise der vom Bauunternehmer Andreas Stegemann, der im Februar 2001 am Rahmenplatz in Großenhain niedergeschossen wurde. Die Kriminalisten vermuten Auftragsmord. Stegemann hatte vor Großenhain eine Automatenfirma in Berlin. An dem Mordmontag früh klingelte bei ihm ein Postbote. Mit einem Revolver wurde er niedergeschossen. Es gibt aber keine Hülse und auch sonst kaum Spuren. Frank Haschkes Männer wissen, dass auf den „Postboten“ drei weitere Männer in einem Auto gewartet haben und dann mit dem Boten davon gefahren sind. Alle komplett unbekannt.
Der Kripomann: „Regelmäßig bitten wir Zeugen von damals erneut zur Vernehmung. Vielleicht gibt es doch noch ein Detail, das bisher nicht bekannt war. Wir geben nicht auf. Nie.“ Inzwischen hat sich vieles verändert in der Arbeit der Mordkommission. Die technischen Hilfsmittel sind viel besser geworden. In der 1980er-Jahren wurde mit der DNA-Analyse ganz langsam begonnen, seit Mitte der 90er-Jahre intensiv bei der Polizei, erinnert sich Haschke. Heute benötigen die Experten im Labor ein Hundertstel der DNA von damals. Eine Hautschuppe reicht oft aus.
Richtig neu sind die Methoden des 3-D-Scans. Sofort, wenn die Kriminalisten vor Ort sind, wird eine besondere Kamera eingesetzt, die den Tatort – im besten Fall mit dem Opfer – aus allen nur möglichen Blickwinkeln rundum aufnimmt. Ähnlich und teils besser, als das Google vermag. Frank Haschke: „So können wir uns zu jeder späteren Zeit Details herauszoomen. Haben den Tatort immer frisch im Bild. Später kann etwa Regen Spuren verwischen.“
Ebenso neu ist das im Bedarfsfall angewandte CD-Scannen im Körper eines Menschen, ohne dass dieser in der Anatomie aufgeschnitten werden muss. Eine Minikamera kann den Schuss- oder Stichkanal nachverfolgen und sich im Körper umschauen. „Wichtige Erkenntnisse zum Vorgehen des Täters, die uns neben den klassischen Spuren, sehr weiterhelfen können.“ sagt der Hauptkommissar. Fingerabdrücke, Fußabdruck, Fasern, Autoreifenspuren sind freilich weiterhin maßgebliche Details, die die Kriminalisten zu einem Verbrechen aufnehmen.
Auf besondere Anforderung von der Mordkommission werden neuerdings auch Blutspuren-Spezialisten vom Landeskriminalamt (LKA) hinzugezogen. Sie fertigen anhand der Blutspritzer oder von Schleifspuren eine Analyse an, die etwa aussagen kann, wie sich Täter und Opfer begegnet sind und bewegt haben.
Frank Haschke erinnert sich an einen Fall in Riesa. Ein Mann war gestürzt, hatte am Kopf eine stark blutende, offene Wunde und noch versucht, sich zum Krankenhaus zu schleppen. Als er merkte, dass er es nicht mehr schafft, ist er zurück zu seiner Wohnung und direkt davor verstorben. Die Blutspuren ließen zuerst ein schlimmes Verbrechen vermuten – bis die Polizisten die ganze Szenerie, die sich abgespielt hatte, nachvollziehen konnten.
Fünf bis zehn Tötungsdelikte gibt es im Bereich der Polizeidirektion Dresden im Jahr, wozu der Kreis Meißen gehört. „Damit sind wir wohl im unteren Viertel in Deutschland“, sagt der Vizechef der Mordkommission. Berlin habe allein acht bis zehn Mordkommissionen.
Mord verjährt nicht. Es gibt den bisher unaufgeklärten Fall von Vera Marotz. Die damals 66-jährige Frau wurde im Oktober 2004 auf der Verbindungsstraße zwischen Nünchritz und Grödel getötet.
Ungeklärt sind auch drei Skelettfunde – angeschwemmte Knochen – aus der Elbe, die sich zwischen 2012 und 2014 ereigneten. Die Identität der Menschen, von denen die Knochen stammen, ist noch nicht bekannt. Frank Haschke: „Das können Selbstmorde sein, Knochen aus Tschechien, Binnenschiffer, die über Bord gegangen sind.“
Und es gibt jahrzehntealte Fälle. Nach den Unterlagen der Mordkommission sind es zwischen 1945 und 1990 vier und ab 1991 bis 2004 fünf Tötungsdelikte mit unbekanntem Täter im jetzigen Landkreis Meißen, so Hauptkommissar Haschke. Wie etwa der Fall der seit 1996 vermissten Sebnitzerin Kerstin Schwindhammer, die vermutlich in den Kreis Meißen geschafft worden ist. Fälle, die immer mal wieder hervorgeholt und auf neue Ermittlungsmöglichkeiten geprüft werden.
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