SZ +
Merken

Noch 1 000 freie Lehrstellen in der Oberlausitz

Zugleich haben ebenso viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Emely Zobel von der Arbeitsagentur kennt die Gründe.

Teilen
Folgen
NEU!
© dpa

Die Bürotür ist geschlossen. Nur Stimmen sind zu hören. Ein junger Mann hat auf einem Stuhl Platz genommen, der im langen Flur steht. Seine Mutter begleitet ihn. Sie warten vor dem Büro von Emily Zobel. Die Mitarbeiterin der Agentur für Arbeit in Bautzen ist für die Berufsberatung zuständig. Ihr Terminkalender ist voll. Im Stundentakt kommen jetzt die Jugendlichen, die noch keine Ausbildungsstelle gefunden haben. Viel Zeit bleibt nicht mehr, startet die Ausbildung doch meist schon im September. Doch die Berufsberaterin kann die Jugendlichen beruhigen. Viele Unternehmen suchen noch händeringend nach Azubis. Auch in Bischofswerda und Umgebung. In einer Serie seit Juli hat die SZ die hier noch suchenden Firmen mit ihren Berufsausbildungsmöglichkeiten vorgestellt. Die Stadt hatte gemeinsam mit Unternehmen eine Ausbildungsinitiative gestartet.

Frau Zobel, die meisten Jugendlichen haben ihren Ausbildungsvertrag in der Tasche. Da müssten Sie als Berufsberaterin doch durchatmen können?

Nicht wirklich. Arbeit gibt es nach wie vor genug. Ganz intensiv beschäftige ich mich zusammen mit meinen Kollegen derzeit mit jenen, die noch keinen Ausbildungsplatz für dieses Jahr gefunden haben. Bis Ende September sollen im besten Fall alle ausbildungsreifen und motivierten Jugendlichen mit einer Lehrstelle versorgt sein. Auch jetzt können sich gern noch interessierte Jugendliche bei uns in der Berufsberatung für eine Ausbildung in diesem Jahr anmelden. Sogar ohne Termin kann man da vorbeikommen.

Wer jammert denn mehr: Die Jugendlichen, die noch keine Lehrstelle haben, oder die Betriebe, denen Azubis fehlen?

Beide. Die Betriebe und die Jugendlichen haben natürlich ihre Wünsche und Vorstellung. Doch wenn beide Seiten die Erwartung ein wenig nach unten korrigieren, dann ist in diesem Jahr noch etwas möglich. Den Jugendlichen raten wir, sich regelmäßig auf der Internetseite der Bautzener Agentur für Arbeit zu informieren. Dort gibt es eine Liste mit allen noch freien Lehrstellen im Landkreis. Diese wird monatlich aktualisiert.

Noch sind 1000 Lehrstellen in der Oberlausitz frei. Zugleich haben genauso viele Jugendliche noch keinen Platz. Das geht doch auf, oder?

Ja, theoretisch schon. Jeder Jugendlicher könnte einen Ausbildungsplatz bekommen. Aber natürlich müssen auch die Interessen und Stärken der Jugendlichen berücksichtigt werden. Und auch die Betriebe haben klare Anforderungen. Für die jungen Leute ist das Angebot groß. In den vergangenen Jahren sind sogar viele Ausbildungsplätze hinzugekommen.

Woran liegt das?

Die Unternehmen wissen, dass sie sich ihr eigenes Personal selbst ausbilden müssen, wenn sie in Zukunft noch qualifizierte Mitarbeiter haben wollen. Da spielt natürlich der Fachkräftebedarf der Zukunft eine wichtige Rolle.

Die Liste mit den Ausbildungsplätzen ist lang. Wie soll man sich als Jugendlicher da entscheiden?

Mit der Berufsorientierung beginnen wir Berufsberater bereits in den siebten und achten Klassen der Oberschulen und in den neunten Klassen der Gymnasien. Auch ein Praktikum ist immer eine gute Entscheidungshilfe oder ein Besuch im Betrieb. Bei manchen Berufen können sich die angehenden Azubis einfach gar nicht vorstellen, was sich dahinter verbirgt. Da klären wir auf. Aber einen Blick in die Glaskugel können wir nicht geben.

Was meinen Sie damit?

Wenn der Jugendliche zur Beratung kommt, dann muss er sich zumindest schon ein wenig mit sich selbst beschäftigt haben. Er sollte seine Stärken und Schwächen kennen. Nur so können wir den passenden Beruf finden. Manchmal hilft es da auch, Freunde oder die Familie zu fragen. Die meisten Jugendlichen können sich nur schwer einschätzen. Dabei soll doch die Wahl des eigenen Berufes im besten Fall eine Entscheidung für das ganze Leben sein.

Das wollen auch die Eltern. Welche Rolle spielen die bei der Berufswahl?

Eine ganz entscheidende. Und es ist wichtig, dass sie sich dieser Verantwortung auch bewusst sind. Die wenigsten Jugendlichen schaffen den Sprung von der Schule ins Berufsleben allein. Viele nehmen die Ratschläge der Eltern dankbar an. Manchmal kommt es natürlich auch vor, dass die Vorstellungen weit auseinandergehen. Dann muss ein Kompromiss her.

Die Eltern fragen bestimmt nach den Zukunftschancen. Aber auf was achten die jungen Leute?

Für die Jugendlichen steht an erster Stelle, dass der Job Spaß macht. Den Weitblick haben sie oft noch nicht. Tatsächlich sind es mehr die Eltern, die nach Übernahmechancen und den Finanzen fragen. Erstaunlicherweise ist das Ergebnis am Ende immer ziemlich gleich. Ein Großteil der Mädchen interessiert sich vor allem für Gesundheits- oder kaufmännische Berufe, Jungen wollen in die handwerklich-technische Branche. Daran hat sich seit Jahren nichts geändert.

Dabei wird einiges getan, um dieses starre Bild aufzulösen. Projekte sollen Frauen in Männer- und Männer in Frauenberufe locken. Ein Erfolg?

Momentan noch nicht. Das klassische Rollenbild ist noch stark verfestigt. Ein Umdenken findet nur ganz langsam statt. Wir beobachten aber, dass sich auch Jungen zunehmend für die Gesundheitsberufe sowie den Handel interessieren. Und auch einige wenige Mädchen fragen nach gewerblich-technischen Berufen.Auf ein Wort

Das Gespräch führte Marleen Hollenbach.