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Obdachlos

Manche Menschen wohnen seit vielen Jahren im Löbauer „Haus Regenbogen“. Für andere ist die Einrichtung nur eine Zwischenstation.

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© Matthias Weber

Von Constanze Junghanß

Zwei einfache Betten, ein Stuhl, Kühl- und Kleiderschrank: Spartanisch ist das Zimmer mit den kahlen Wänden eingerichtet. Keine Atmosphäre zum Wohlfühlen. Und doch ist dieser kleine Raum seit zwei Monaten ein Zuhause. Marcus Grohmann lebt hier. Im Löbauer Obdachlosenheim fand der 27-Jährige ein vorübergehendes Dach über dem Kopf. Träger der Einrichtung ist das Deutsche Rote Kreuz (DRK) Löbau. Wie schnell man plötzlich ohne alles dasteht, hat der gelernte Dachdecker Ende Dezember vorigen Jahres schmerzlich erfahren. Seine Wohnung in Neugersdorf brannte aus. Nichts war mehr zu retten. Die Schadenshöhe lag weit über 10 000 Euro. „Und eine Versicherung habe ich nicht“, erzählt er leise. Momentan lebt Marcus Grohmann von Sozialleistungen. Eine Hartz IV gerechte Wohnung sei nicht so einfach zu finden, zumal ihm vorschwebt, in Zittau Fuß zu fassen und dort auch Arbeit zu bekommen. Lange will er nicht mehr in der Unterkunft auf der Moltke-Straße bleiben, erledigt zahlreiche Ämtergänge, um seine Situation zu verändern. Im erlernten Beruf arbeiten könne er nicht mehr. Ein Job im Lager – Marcus hat einen Staplerschein – wäre sein großer Traum.

Sozialarbeiter Holger Köpp betreut die Obdachlosen in Löbau.
Sozialarbeiter Holger Köpp betreut die Obdachlosen in Löbau. © Matthias Weber

Zukunftsgedanken gibt es nicht bei allen Bewohnern im „Haus Regenbogen“, wie das Heim heißt. Obdachlosigkeit hat viele Gesichter. Und so unterschiedlich diese sind, so sind es auch die Lebensgeschichten, die dahinter stecken. Else Meyer* ist mit ihren 83 Jahren die älteste Bewohnerin. Anderthalb Jahrzehnte Lebenszeit im Obdachlosenheim – eine lange Zeit. Nach einem Krankenhausaufenthalt kam sie in die Einrichtung, erinnert sich Sozialarbeiter Holger Köpp. Da lebte die Rentnerin zuvor schon auf der Straße und musste irgendwohin entlassen werden. Da es niemanden gab, der sich um die betagte Dame kümmerte, war das Obdachlosenheim letzte Zufluchtsstätte. Und wird es bis zu ihrem Lebensende wohl bleiben. „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“, weiß Holger Köpp. Else fand hier ihr Zuhause. Eine Tagespflege kümmert sich um sie. Else ist nicht die einzige Frau im Heim. Anna*, 66 Jahre, lebt ebenfalls schon lange hier. Annas Lieblingsplatz ist der gemeinsame Fernsehraum. Das Flimmern der Kiste stört sie nicht. Anna ist auf dem Sofa eingeschlafen, eingemummt in eine dicke Decke. Schicksalsschläge und Alkohol haben das Leben der Frau, die eine Weile in Frankreich lebte, nach unten gezogen. Aus der Spirale fand sie nicht mehr heraus. Ein Pflegedienst ist mittlerweile eingeschaltet, um notwendige Hilfe zu leisten. Während Anna schläft, schaut im Sessel gegenüber Tommy* einen Film. Plötzlich springt der Mann mit der modernen Gelfrisur auf. Angst in seinen Augen. Tommy fühlt sich verfolgt, schließt sich in sein Zimmer ein. Wie so oft. Eigentlich braucht der junge Mann ärztliche und psychologische Hilfe. Die lehnt er aber ab und dem Sozialarbeiter sind die Hände gebunden. „Bei uns wird jeder Einzelne so angenommen, wie er ist“, betont Holger Köpp. Keine Vorurteile, sondern Akzeptanz seien das A und O.

Die jedoch erwartet das Team auch von den Bewohnern. Im Vorjahr mussten deshalb die Schranken enger gesetzt und die Hausordnung neu geschrieben werden. Alkoholkonsum nahm bei einigen von ihnen überhand. Anwohner klagten über Lärmbelästigungen, wie Herr Köpp sagt. Nun herrscht striktes Alkohol- und selbstverständlich auch Drogenverbot. Wer sich nicht daran hält, darf nicht bleiben. Einigen wenigen musste Köpp die Unterkunft deswegen schon kündigen.

Nicht selten sind es Süchte, die Menschen mit in die Misere treiben. Ausschlaggebend für Obdachlosigkeit sind sie jedoch nicht immer. Oft kommen viele Faktoren zusammen: Vom zerbrochenem familären Umfeld bis hin zu Erkrankungen oder Arbeitsplatzverlust, weiß der Sozialarbeiter. Manche haben einfach viel Pech im Leben. Ebenfalls betroffen sind einige Menschen, die nach einem Gefängnisaufenthalt entwurzelt sind. Das ist in Löbau bei vier der derzeit sieben Bewohner der Fall. 2016 lebten im laufenden Jahr 16 einheimische Obdachlose und zusätzlich bis zu zwölf Asylbewerber mit in der Einrichtung. Der Mietvertrag für die Asylbewerber lief zum Jahresende aus. Einige zogen in andere Städte. Zwei in die Gemeinschaftsunterkunft auf der Bonhoeffer-Straße. Dass im Moment auch weniger Menschen aus der Region hier Schutz und Unterschlupf suchen, hängt mit zwei Faktoren zusammen, wie Heimleiter Köpp weiß. Ein Grund sei allgemeiner Natur: Scham und Schuldgefühle.

Den anderen Grund vermutet der 53-Jährige Sozialarbeiter darin, dass mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen der vergangenen zwei Jahre auch Hartz IV-gerechter Wohnraum für Asylbewerber zur Verfügung stand. Um da kein soziales Ungleichgewicht zu den einheimischen Bedürftigen zu schaffen, setzte sich der Sozialarbeiter dafür ein, mehr Wohnraum auch für Obdachlose bereit zu stellen. Sein Wort kam an bei den zuständigen Ämtern. Etwa die Hälfte der Betroffenen konnte in eigene Wohnungen vermittelt werden. Andere zogen zu Bekannten. Ob es in diesem Jahr wieder einen Anstieg in der Belegung des Obdachlosenheims gibt, wird erst die Zeit zeigen.

Über Zwangsräumungen in den Regionen Löbau, Neugersdorf, Herrnhut und Großschweidnitz wird die Einrichtung informiert. Anfang März steht im Einzugsgebiet wieder eine an. „Und da halten wir für Betroffene den Platz frei.“ Annehmen müssen die Betroffenen ihn aber nicht. Einige finden Unterschlupf im Freundeskreis, seltener landet in der Region tatsächlich ein Mensch auf der Straße.

Die mit * gekennzeichneten Namen sind von der Redaktion geändert

So kann man helfen: Das Obdachlosenheim freut sich über Sachspenden: einflammige Lampen, Töpfe, Pfannen und gut erhaltene Elektrogeräte, gern von Haushaltsauflösungen. Kontakt: Haus Regenbogen, James-von-Moltke-Straße 2, in Löbau