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Offen sein – Schuld anerkennen

Fehler einzugestehen ist gleichzeitig ein Neuanfang und eine Chance.

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Von Jörg Naumann

Es ist im Großen wie im Kleinen – wir machen uns gegenseitig viel zu viel vor und dadurch das Leben schwer. Dabei könnte uns so viel an Versöhnung gelingen, wenn wir mit offenen Karten spielten. Selbst die Kirche hat das immer wieder zu lernen: Seit Christus uns Schuld vergibt, müssen wir anderen Menschen nicht mehr vorspielen, wie perfekt wir seien. Vielmehr ist es möglich und als befreiend erlebt, Fehler zuzugeben, Schuld anzuerkennen, weil wir neu beginnen dürfen: Christen räumen sich das gegenseitig und anderen gegenüber ein. Wir sind befreit davon, mit Masken herumzulaufen, dies ist die großartige und reinigende Wirkung, die uns angeboten ist. Einen solchen mutigen Schritt ist die neugegründete Evangelische Kirche Deutschlands sehr bald nach dem Zweiten Weltkrieg gegangen. Sie hatte allen Grund dazu – wie fast alle anderen deutschen Institutionen und die Deutschen persönlich ebenfalls.

Mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis (auch: Schulderklärung der evangelischen Christenheit Deutschlands) bekannte die nach dem Zweiten Weltkrieg neu gebildete Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erstmals eine Mitschuld evangelischer Christen an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Erklärung wurde von den EKD-Ratsmitgliedern Hans Christian Asmussen, Otto Dibelius und Martin Niemöller auf einer Ratstagung in Stuttgart gemeinsam verfasst und dort am 19. Oktober 1945 verlesen. Der Text war ein Kompromiss aus vorherigen persönlichen Schulderklärungen und Vorentwürfen der Autoren. Sie wollten zuerst ihre eigene Schuld, dann die der evangelischen Christen, dann auch die der Deutschen benennen.

Leider hat sich dieses Schuldbekenntnis, so offen es war, nicht wirklich durchgesetzt. Bis heute gehört es nicht zu den wesentlichen Bekenntnissen, die im Evangelischen Gesangbuch abgedruckt sind: So wichtig es ist – dort fehlt es bis heute. Auch die Kirche tut sich schwer damit, eigene Fehler und Schuld einzugestehen; dies galt sowohl für die Zeit nach 1945 wie es gilt für die Zeit nach 1989. Leider sind auch Pfarrer schuldig geworden und einige haben – als inoffizielle Mitarbeiter – mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet und die Kraft für einen Neuanfang nicht aufgebracht. Unserer Kirche wird ein neuer Anfang geschenkt, wenn sie sich ernsthaft reformieren will. So klingt 2013 das Stuttgarter Schuldbekenntnis hochaktuell, aus dem ich hier abschließend zitiere:

„Wir hoffen zu Gott, daß durch den gemeinsamen Dienst der Kirchen, dem Geist der Gewalt und der Vergeltung, der heute von neuem mächtig werden will, in aller Welt gesteuert werde und der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann.

So bitten wir in einer Stunde, in der die ganze Welt einen neuen Anfang braucht: Veni, creator spiritus.“