Olbersdorfer Künstlerin packt die Koffer
Von Jan Lange
Überall in der Wohnung stehen gepackte Kisten und Koffer. 25 Stück hat Evelyn Klaar bereits voll. Noch einmal so viele werden dazukommen. Die Olbersdorfer Künstlerin will ihre Wahlheimat Oberlausitz verlassen. 1999 war sie in den südöstlichsten Zipfel des Freistaates gekommen, damals mit 40 voll gepackten Kisten und Koffern. In 17 Jahren ist eine ganze Menge dazugekommen. Und so muss sich die Malerin von vielen Dingen trennen. So schenkte sie der polnischen Reha-Klinik in Swieradow Zdroj (Bad Flinsberg) 140 großformatige Bilder. Als sich Evelyn Klaar vor Jahren selbst in dieser Klinik erholte, fielen ihr sofort die leeren Wände ins Auge. Hier müssen Bilder her, dachte sie sich damals und brachte die ersten Exemplare nach Polen. Jetzt ist noch einmal ein ganzer Schwung nach Swieradow Zdroj gegangen.
Von ihren Bildern will sie sich aber nicht trennen. Jene Kunstwerke, die in den Wohnräumen hängen, sollen auch künftig ihr Zuhause verschönern. Das befindet sich in Mülheim an der Ruhr. In der Stadt im Ruhrpott lebte Evelyn Klaar über 40 Jahre, bevor sie nach Olbersdorf kam. Damals habe sie auf dem Eichenberg, im Mülheimer Zentrum, gewohnt. Nun fand sie ganz in der Nähe, am Fuße des Eichenbergs eine neue Wohnung, erzählt die Künstlerin. Ab November wird sie hier leben. Seit einiger Zeit sucht sie deshalb einen Käufer für ihr Haus in Olbersdorf. Es gebe Interessenten, sagt Frau Klaar, aber ein neuer Besitzer habe sich noch nicht gefunden. Falls sich kein Käufer findet, könnte sie sich auch vorstellen, das Haus zu vermieten. Einen Teil hat sie bereits seit Jahren untervermietet.
Das Haus unweit der Ortsgrenze zu Oybin erbte ihr Sohn von den Großeltern väterlicherseits. Er wollte das alte Haus aber nicht haben. Denn Mitte der 1990er Jahre sah es so schlecht aus, dass man es eigentlich nur noch abreißen konnte. Evelyn Klaar tut aber jedes alte Gebäude leid, das der Spitzhacke zum Opfer fällt. Sie sei eine treue Seele, die alte Werte schätzt und erhalten will.
Auch das Haus der Oma sollte in ihren Augen erhalten bleiben. Und so entschied sie sich, es zu erneuern. Drei Viertel des Hauses seien neu gebaut worden. Zuerst wollte sie hier nur ein Atelier einrichten, dann zog sie aber doch mit Sack und Pack ein. Die Entscheidung, Olbersdorferin zu werden, habe sie innerhalb einer halben Stunde getroffen.
Die Wahlheimat zu verlassen, falle ihr da schon schwerer, meint die 84-Jährige. Seit einem Jahr habe sie sich mit dem Gedanken vertraut gemacht. Immer wieder hatten sich ihre Enkel für einen Umzug ausgesprochen. „Sie wollten ihre Oma gern wiederhaben“, sagt Evelyn Klaar. Bisher konnte sie den Sohn und die Enkel nur zwei- bis dreimal pro Jahr besuchen. Olbersdorf ist von deren Heimat fast 700 Kilometer entfernt. Sohn Helmar wohnt in Hamm, die drei Enkeltöchter in Essen, Düsseldorf und Oldenburg. Und so ist die eigene Familie der Hauptgrund für den Umzug. Aber auch das Alter. „In meinem Alter ist es besser, jemanden in der Nähe zu haben“, findet die Malerin. Eine ihre Enkelinnen sei Ärztin und könne sich bei Bedarf um sie kümmern, meint Frau Klaar. Sie zieht zwar nicht mit der Familie unter ein Dach, aber die neue Wohnung ist nicht mehr so weit entfernt wie Olbersdorf. Von Mülheim an der Ruhr bis nach Essen sind es gerade mal gut zwölf Kilometer, auch Düsseldorf liegt nur knapp 30 Kilometer weg.
Ihre Jugend hatte sie auch in der Oberlausitz verbracht: Geboren wurde Evelyn Klaar in Hoyerswerda. Bereits als junges Mädchen habe sie ihre Heimatstadt verlassen und ist später in den Westen gegangen. An der renommierten Folkwang-Schule in Essen studierte sie im Bereich Kunst und Design. Sie malt seit vielen Jahren Aquarelle, Seidenmalereien, Tusche- und Federzeichnungen. Aber auch über die Malerei hinaus war sie tätig: Ihr größtes Projekt war 1985 bis 1988 eine Aktion der Stadt Oberhausen zur Renaturierung einer Industriebrache.
In der Oberlausitz war sie ebenfalls nicht nur als Malerin bekannt. So entwarf sie spezielle Stühle für Kleinkinder, erfand das sogenannte Dreiländereck-Haus, dessen Realisierung allerdings an den fehlenden Geldgebern scheiterte, und engagierte sich in zahlreichen Vereinen – so auch bei den „Freunden des Zittauer Theaters“. Denen will sie auch treu bleiben. Und mindestens einmal im Jahr die Oberlausitz besuchen, verspricht die 84-Jährige und setzt das Packen der Kisten und Koffer fort.