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Papa ist schuld

Mit neun Jahren flüchtet Akaki Gogia aus Georgien. Sein Vater verpasst Dynamos Neuzugang einen anderen Vornamen.

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© Robert Michael

Von Daniel Klein

Bis Mittwoch ist noch Zeit, aber sehr wahrscheinlich bleibt Akaki Gogia Dynamos letzter Neuzugang in diesem Sommer. Der Transfer war ein irgendwie seltsamer, bereits die Verhandlungen mit dem englischen Zweitligisten FC Brentford hatten die Dresdner per Pressemitteilung offiziell gemacht. Normalerweise fällt Derartiges unter die höchste Geheimhaltungsstufe. Noch vor der Unterschrift saß Gogia beim Vorbereitungsturnier im DDV-Stadion auf der Tribüne, unterhielt sich mit den künftigen Kollegen. Recht ungewöhnlich.

Genauso wie die Wortwahl, als die einjährige Ausleihe inklusive Kaufoption nach dem Saisonauftakt gegen Nürnberg endlich perfekt war. Sportdirektor Ralf Minge sprach von einer „echten Verstärkung für unser Offensivspiel“, eine allseits gebräuchliche Formel in solchen Fällen. Doch dann schob er noch nach, es sei eine „absolute Überzeugungstat“ gewesen.

Man könnte den in Zusammenhang mit Verpflichtungen eher selten verwendeten Terminus auch einfach mit Wunschspieler übersetzen. Ob Gogia der Lobhudelei gerecht wird, muss sich noch zeigen. Seine 32 Minuten dauernde Premiere bei den Schwarz-Gelben im Pokalspiel gegen RB Leipzig endete jedenfalls mit einem verwandelten Elfmeter – und einem Sieg. „Mit so einem Spiel fällt der Einstieg natürlich leichter“, erklärt er.

Die Fans müssen sich bei der Mannschaftsvorstellung also an einen weiteren neuen Namen gewöhnen, bekommen bei der Aussprache jedoch Hilfe. Akaki können sie durch Andy ersetzen, so wird er seit Kindheitstagen gerufen. „Mein Papa hat mich so genannt, weil mein Vorname immer falsch ausgesprochen wurde“, sagt er.

Für deutsche Kinder ist das schon ein Zungenbrecher. 2002 kam er mit seinen Eltern nach Halle, aufgewachsen ist er in Rustawi, der viertgrößten Stadt in Georgien, die 25 Kilometer südöstlich von Tiflis liegt. „Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, weiß, wo wir gewohnt haben, wo ich zur Schule ging, wie warm es immer war und wie gut das Essen schmeckte.“

Als er neun war, entschieden die Eltern, nach Deutschland zu gehen. „In meiner Heimat ging alles drunter und drüber“, erzählt Gogia. Nach der Unabhängigkeit Georgiens von der Sowjetunion stiegen die Arbeitslosenzahlen stetig an, Konflikte mit den Regionen Abchasien, Südossetien und Adscharien endeten schließlich im Kaukasuskrieg. „Mein Papa wollte, dass ich eine vernünftige Zukunft habe“, erzählt er. Das hat bisher ganz gut geklappt.

Bis auf die Eltern, die inzwischen in Augsburg leben, ist der Rest der Familie in Georgien geblieben. Das letzte Mal sei er vor drei oder vier Jahren dort gewesen. „Wenn ich dahin fliege, möchte ich viele Leute sehen. Deshalb müssten es schon drei Wochen am Stück sein, und das ist schwierig.“ Unterhalten kann er sich noch auf Georgisch, lesen und schreiben „geht nicht mehr“, sagt er.

Nach seiner Umsiedlung spielte er zunächst beim FSV 67 Halle, wechselte dann in die Nachwuchsabteilungen von Hannover 96 und dem VfL Wolfsburg. Als er 2011 zum FC Augsburg verliehen wurde, war Gogia in der Bundesliga angekommen, absolvierte zwölf Spiele, blieb dort aber nicht lange. Über Zweitligist St. Pauli ging es zum Halleschen FC und damit in die 3. Liga. Rein sportlich gesehen ein Abstieg.

„Ja, es ging abwärts“, bestätigt er. „Ich habe ein paar Schritte nach hinten gemacht, um wieder nach vorn zu kommen.“ So sieht er es rückblickend, gibt sich an der Entwicklung jedoch auch selbst die Schuld. „Ich war noch jung, habe viele Fehler gemacht, sie aber eingesehen und damit abgeschlossen.“

Dazu gehört auch die Episode bei St. Pauli, als er für die U23 spielen sollte und sich krank meldete. Danach hatte er bei Trainer Michael Frontzeck einen schweren Stand. An die Zeit beim Kiez-Klub, der am Sonntag (Anstoß 13.30 Uhr) nach Dresden kommt, erinnert er sich trotzdem gern. „Die Fans dort sind auch positiv Verrückte, aber bei Dynamo ist es noch extremer.“

Das vergangene Jahr beim Londoner Zweitligisten Brentford ordnet er unter Lebenserfahrung ein. Ein anderes Land, eine andere Sprache, weit weg von Familie und Freundin Andrea, die ebenfalls in Augsburg wohnt und dort als Lehrerin arbeitet. Sportlich lief es nur anfangs, dann wurde zum ersten Mal der Trainer gewechselt, der ein anderes System einführte. Plötzlich pendelte Gogia zwischen Bank und Tribüne. „So läuft es eben manchmal im Fußball. Deshalb musste eine Lösung her.“

Und die heißt Dynamo. „Ich wollte unbedingt wieder spielen“, sagt er. Wann er das erste Mal in der Startelf steht, darüber will er nicht spekulieren, keine Forderungen stellen. „Der Trainer wird schon den richtigen Weg für mich finden“, sagt er. Gogia hat offensichtlich aus seinen Fehlern gelernt.