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Preisgekrönte Kurven

Der Tharandter Holzgestalter Jon Lister baut ungewöhnliche Möbelstücke. Aus Esche und Nussbaum – oder Algen.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Thomas Morgenroth

Tharandt. Es ist eine Lust, dem Lauf der Bögen und Schwingungen mit den Augen zu folgen, den Kurven, die sich formvollendet zu einem sowohl stabilen als auch grazil wirkenden Gestell fügen. Alles ist harmonisch aufeinander abgestimmt, schlank und rank sind Beine und Füße, die dennoch bis zu dreihundert Kilogramm Last tragen können. Ein Drittel davon bringt allein die dicke Glasplatte auf die Waage, die lose auf dem frei gebogenen Eschenholz aufliegt.

Diese Vasen bestehen aus gebürsteten Eichenholz-Lamellen.
Diese Vasen bestehen aus gebürsteten Eichenholz-Lamellen. © Karl-Ludwig Oberthür
Der „Orchid Table“ bekam den Bayerischen Staatspreis.
Der „Orchid Table“ bekam den Bayerischen Staatspreis. © Sven Döring

Dieser Esstisch, 2,50 Meter mal 1,06 Meter groß, ist eine Augenweide, ein Kunstwerk, ideenreich gestaltet und handwerklich perfekt hergestellt. Das fanden auch die Juroren auf der Internationalen Handwerksmesse Ende Februar in München, die dem Tharandter Holzgestalter Jon Lister für seinen „Orchid Table“ den Bayerischen Staatspreis 2016 in der Kategorie „Gestaltung“ zuerkannten. 5 000 Euro Preisgeld sind damit verbunden, die der 38-jährige Existenzgründer gut gebrauchen kann, wie auch den Erlös aus dem Verkauf des „Orchideen-Tisches“, der jetzt eine moderne Münchner Villa schmückt.

Tischlerlehre in Rabenau

Über Monate baute Lister in der Sitzmöbelwerkstatt von Winfried Reuter in Rabenau an seinem Tisch. Er ist sein Meisterstück, wenn man so will, lernte er doch dort, beim Vater seiner Partnerin Biggi Reuter, den Beruf eines Tischlers mit dem Schwerpunkt Stuhlbau. „Der Tisch sollte mein Gesellenstück werden, das aber wurde abgelehnt“, sagt er. „Es fehlten Schubladen, also habe ich Schränkchen gebaut.“

Und den Tisch trotzdem, der eher Listers Intentionen von seinem Beruf entspricht. Er sägte die Eschebohlen in Stücke, um sie anschließend in halben Spiralen wieder zusammenzusetzen, und zwar so, dass es aussieht, als bestünden sie aus massivem Holz. Ein Kunststück, das kaum einer kann, und das ihm auch Anfragen von den Deutschen Werkstätten Hellerau einbringt. „Ich bin neugierig, experimentiere gern und mache die Ausnahme zur Regel“, sagt Lister, der keine klassischen Möbel oder Küchen aus Spanplatten bauen will. „Ich liebe Vollholz“, sagt er. „Mehr künstlerisch verspielt“, sollen seine Tische und Schränke sein. „Mein Umgang mit Holz ist fast bildhauerisch“, meint er.

Das ist keinesfalls übertrieben. Auf der Messe in München zum Beispiel zeigte Jon Lister zwei Vasen, die aus jeweils sechzig fächerartig zusammengefügten Lamellen aus gebürsteter Eiche bestehen. Sie sind mehr Kunstobjekte als Behältnisse für Blumen, wobei sie durchaus auch dafür taugen: Im Inneren befinden sich schlanke Reagenzgläser für das Wasser. Auch der Kronleuchter, an dem er gerade baut, besteht aus 62 Einzelteilen. Lister verleimt Esche und Stirnholz vom amerikanischen Nussbaum schichtweise miteinander, um daraus schließlich Blätter unterschiedlicher Größe zu schnitzen, die dann als Skulptur mit einem Durchmesser von zweieinhalb Metern von der Decke hängen. Und die mit den eingebauten Lampen natürlich auch den Raum beleuchtet.

Vor einem Jahr hat sich Jon Lister als Holzgestalter selbstständig gemacht. Er teilt sich mit dem Ausstellungsgestalter und Kulissenbauer Jan Dunkel die Kreativwerkstatt II im Technologiezentrum Freital. Nach und nach schaffen sie sich die nötigen Maschinen für ihre Arbeit an, „so wie Geld reinkommt“, sagt Lister. Einen Kredit will er nicht aufnehmen. Das meiste, sagt er, bleibt ohnehin Handarbeit.

Wie das Furnieren von dickem Sperrholz mit Algen, die Lister in getrocknetem Zustand bekommt und erst einmal in der Badewanne einweichen muss. Kombu heißt der Seetang, der in Ostasien als Nahrungsmittel weit verbreitet ist und nun zu Möbeln wird. Lister arbeitet dabei mit der Hamburger Designerin Julia Lohmann zusammen, die das natürliche Material zu großen Skulpturen oder auch Kleidungsstücken zusammenfügt.

Von Neuseeland nach Sachsen

Jon Lister glaubt, nun seinen Beruf und seine Berufung gefunden zu haben. Der Vater von zwei Kindern stammt aus Neuseeland, ist dort, in Australien und Bangladesch aufgewachsen und machte schließlich in Indien sein Abitur. „Mein Vater war selbstständiger Ingenieur. Unsere Familie reiste mit ihm zu seinen Projekten“, sagt Lister.

Er kam 1999 mit Biggi Reuter, die er in Neuseeland kennenlernte, nach Sachsen und brachte die Open Mic Night mit, die 2002 das erste Mal in der Spielbühne Freital stattfand. Lister studierte Politikwissenschaft, arbeitete als Industrieelektriker und Tischler und arbeitet im Sommer noch immer als Gastronom, seit acht Jahren im Bahnwärterhäuschen in Tharandt, dessen Innenausstattung, wie Tresen und Treppen, er selbst entworfen und gebaut hat.

Nun klebt er Nussbaum und Esche Schicht auf Schicht für seinen nächsten Tisch. Kleiner soll er werden als der preisgekrönte. „Ich will Produkte entwickeln, die allgemein zugänglich sind“, sagt Jon Lister. Und erschwinglich. Qualitative Abstriche will er deshalb keine machen, weder am Material noch an den Kurven.

www.jonlisterstudio.com