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Raus aufs Land

Familie Freudrich ist aus der Südstadt nach Ludwigsdorf gezogen. Für die Söhne war das zuerst schwer. Am Ende aber gut.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Ludwigsdorf/Görlitz. Hannes hat die alte Scheune für sich entdeckt. „Hier habe ich ganz viele Geheimverstecke“, sagt der aufgeweckte Sechsjährige – und steigt auch schon eine Holzleiter empor, um anschließend von oben in einen unten liegenden Strohballen zu springen. Und wenn sie zur Nachbarstochter auf das übernächste Grundstück wollen, dann haben Hannes und sein achtjähriger Bruder Gregor ihre eigenen kurzen Wege durch Schuppen und quer über den Hof, der dazwischen liegt. So müssen sie nicht über die Hauptstraße gehen.

Dieser alte Pferdeschlitten (l.) hängt in einem Nebengebäude. Schon beim Kauf des Hofes war er dort.
Dieser alte Pferdeschlitten (l.) hängt in einem Nebengebäude. Schon beim Kauf des Hofes war er dort. © Pawel Sosnowski/80studio.net
Die Schablonenmalerei hat Christian Freudrich an einer Wand im ersten Stock entdeckt. Ein befreundeter Restaurator hat die Malerei nachgearbeitet.
Die Schablonenmalerei hat Christian Freudrich an einer Wand im ersten Stock entdeckt. Ein befreundeter Restaurator hat die Malerei nachgearbeitet. © Pawel Sosnowski/80studio.net

Maria und Christian Freudrich, die Eltern der beiden Jungs, freuen sich über so viel Entdeckerdrang: „Am Anfang war es für die beiden gar nicht so einfach hier draußen in Ludwigsdorf.“ Aus der 80-Quadratmeter-Wohnung in der Südstadt waren sie es gewohnt, dass die Eltern immer in der Nähe sind. „Hier auf dem Hof müssen sie uns manchmal suchen“, sagt Maria Freudrich. Zum Glück hat die Familie auf dem Grundstück eine alte Glocke gefunden. Die ist zur Essensglocke geworden: Wenn es läutet, kommen alle zusammen. Doch auch sonst schätzen die Kinder das Landleben inzwischen, haben im Dorf Freunde gefunden – und erleben hautnah, wo das Essen herkommt. Früchte sammeln sie direkt vom Beet oder Strauch in den Mund. „Gerade bei Erdbeeren und Himbeeren ist das schön“, sagt die 36-Jährige.

Sie stammt aus Neinstedt im Harz, ist einst für die Ausbildung nach Görlitz gekommen – und geblieben. Ihren Mann lernte sie über die Posaunenchöre kennen, in denen beide aktiv sind. Christian Freudrich stammt aus Zodel, ist auch mit viel Natur groß geworden. Als die beiden vor fast neun Jahren heirateten, war bald klar, dass sie nicht für immer in einer Mietwohnung leben wollen. Sie schauten sich einiges an. Den Hof an der Rothenburger Landstraße in Ludwigsdorf wollten sie eigentlich nicht besichtigen: „Der schien uns zu groß.“ Doch dann bekamen sie den Tipp, es doch zu tun. Sie folgten dem Rat, machten danach eine Woche Urlaub – und entschieden sich dafür. Christian Freudrich hat der Blick in Richtung Neiße begeistert mit Wiesen, Bäumen, Landwirtschaft, einer Eiche in der Ferne. Noch heute schwärmt er von den Raumbeziehungen – und freut sich, dass der Blick aus Hochwasserschutzgründen nicht zugebaut werden darf.

Im Herbst 2010 kauften sie den Hof, der Preis war günstig. Schon im November pflanzten sie die ersten Obstbäume. Äpfel, Birnen, Pflaumen, sogar eine Walnuss und eine Esskastanie, von jedem etwas. „Und möglichst alte Sorten“, sagt Maria Freudrich. Während die Bäume anwuchsen, begannen sie mit der Sanierung des Wohnhauses. Es hatte seit dem Tod des Vorbesitzers ein Jahr leer gestanden. Der Mann hatte in einfachen Verhältnissen gelebt, nur auf zwei Zimmern. Zum Glück war er Dachdecker, so war das Dach dicht. Trotzdem war viel zu tun, der Giebel hatte einen riesigen Riss über die volle Höhe und drohte abzusacken. Damit fingen die Freudrichs an. Die Alu-Fenster aus den 1990er-Jahren bauten sie aus und gaben dem Gebäude mit Holzfenstern ein freundliches Gesicht.

Sie installierten eine Pellet-Heizung, erneuerten die Elektrik, die alten Dielenböden, dämmten die Fassade des nicht denkmalgeschützten Gebäudes – und zogen schließlich im Juni 2012 ein. Möglich war all das nur dank des ländlichen Entwicklungsprogramms Ile. Mit dem Ziel, junge Familien aufs Land zu holen, wurden Projekte dort mit 45 Prozent der kalkulierten Kosten gefördert. Hätte es diese Möglichkeit nicht gegeben, hätten sie den Hof trotzdem gekauft, sagt Christian Freudrich, der bei der Stadtverwaltung im Tiefbau- und Grünflächenamt für Spielplätze und Parks zuständig ist. Allerdings hätten sie nicht vor dem Einzug so viel bauen können. „Stattdessen hätten wir wohl nervenaufreibend und mit viel Dreck Raum für Raum hergerichtet“, sagt der 43-Jährige.

Klar, so eine Förderung habe auch ihre Nachteile, vor allem die aufwendige Bürokratie. Einmal ist ihnen ein Fehler in der Abrechnung passiert, sagt seine Frau: „Hätte es eine Sanktion gegeben, wäre das unser Ruin gewesen.“ Doch letztlich sei alles gutgegangen und sie haben weder den Kauf noch die Förderung bereut. Bei kniffligen Fragen seien sie vom Landkreis gut beraten worden. „Wir können diese Möglichkeit weiterempfehlen“, sagt die Heilpädagogin, die in Görlitz in einer betreuten Wohngruppe des Rothenburger Martinshofes arbeitet. Den Bezug zur Stadt haben sie auch sonst nicht verloren, sind weiter in der evangelischen Innenstadtgemeinde aktiv und in ihren Posaunenchören.

Doch der Umzug aufs Land hat Veränderungen gebracht, die sie nicht mehr hergeben möchten. Zur Familie gehört seit einem halben Jahr der dritte Sohn Konrad – und draußen auf den Wiesen sowie im Stall leben ein paar Schafe. „Pommernschafe, eine bedrohte alte Hausrasse“, betont Christian Freudrich. Er hat den alten Hühnerstall zum Schafstall umgebaut. Der Sonnabend, sagt er, sei früher ein Familientag gewesen. Auf dem Hof ist er zum Arbeitstag geworden. Doch das sei in Ordnung, die Arbeit draußen ein guter Ausgleich zum Beruf. Auf einem großen Hof sei eben alles mit viel Zeitaufwand verbunden, Rasenmähen ist eine Ganztagsaktion, und wenn er mit dem Zaunbau anfängt, muss er eben gleich 200 Meter machen. Ob es gelingen wird, alle Nebengebäude zu erhalten, werde die Zeit zeigen. Sicher ist das nicht. Der Aufwand ist groß, zeitlich wie finanziell. Hannes ist derweil schon wieder weggerannt. Er hat ein neues Versteck gefunden. Plätze gibt es hier genug.