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Rentner drohen bis zu sechs Monate Beugehaft

Ein Putzkauer lässt seit Jahren Behörden ins Leere laufen. Nun wurde er von Polizisten überrumpelt.

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© Steffen Unger

Von Ingolf Reinsch

Putzkau. Es hat etwas von einem Katz- und Maus-Spiel, das sich der Putzkauer Erich Kaiser seit Längerem mit den Ämtern liefert. Irgendwie fand der Rentner, den man wohlwollend als schlitzohrig, kritisch als aufmüpfig beschreiben kann, bisher meist einen (Aus-)Weg. Doch kürzlich schlug die Falle zu. Unter dem Vorwand, er wolle von ihm die Kette einer Säge schärfen lassen, schaffte es ein Polizeibeamter in Zivil, den 80-Jährigen aus seinem Haus zu locken. Was danach passierte, beschreiben die Beteiligten unterschiedlich. Erich Kaiser sagt, mehrere Polizisten hätten ihn sofort wie einen Schwerverbrecher überwältigt. Insgesamt seien es fünf oder sechs gewesen. Zwei in Zivil, die anderen in Uniform.

Statt in den Knast ins Krankenhaus

Thomas Knaup, Pressesprecher der Polizeidirektion Görlitz, bestätigt auf Anfrage den Einsatz am Vormittag des 12. September. Zwei Streifen des Bautzener Reviers seien eingesetzt worden, um bei dem Putzkauer zwei Erzwingungshaftbeschlüsse zu vollstrecken. Das geschah auf Grundlage der Festlegung eines Richters. Nachdem der Senior mehrfach angemahnt worden war, ausstehende Bußgelder in Höhe von insgesamt 550 Euro zu bezahlen, hatte ein Richter diese Beschlüsse erlassen. „Die Polizei wird in solchen Fällen in Amtshilfe für die Justiz tätig. Sie hat die Aufgabe, die Festlegungen der Justiz durchzusetzen. Da vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind, obliegt es den ausführenden Beamten nicht, beispielsweise aufgrund des Alters der betroffenen Person oder seiner Lebensumstände diesen Auftrag entgegen der richterlichen Festlegung nicht auszuführen“, sagt Thomas Knaup. Da die Polizisten aus früheren Einsätzen bereits darauf vorbereitet waren, dass der 80-Jährige wahrscheinlich wenig kooperativ sein wird, veranlassten sie den Rentner unter Nutzung einer Legende, seine Haustür zu öffnen. Anschließend erklärten sie ihm den Grund des Erscheinens, eröffneten ihm die vorliegenden Vollstreckungshaftbefehle und erläuterten ihm seine zwei Handlungsmöglichkeiten: Entweder er begleicht die ausstehenden Bußgelder im Beisein der Beamten oder er wird zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe in Haft genommen, sagt der Polizeisprecher. Weder der Senior noch seine Frau seien trotz mehrfacher Erklärungen auf die Hinweise eingegangen. „Unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit führten die Polizisten den nicht kooperativen Mann schließlich ab. Dabei erlitt er möglicherweise ein gesundheitliches Problem, sodass die Polizisten den Rettungsdienst zur Behandlung des Mannes alarmierten“, erklärt Thomas Knaup.

Erich Kaiser, dem sein Hausarzt in der Vergangenheit mehrfach attestierte, haftunfähig zu sein, verlor das Bewusstsein. „Hier hat er gelegen“, sagt seine Ehefrau und zeigt auf die Fliesen im Hausflur. Sie selbst rief – parallel zum Rettungsdienst – den Hausarzt. Der hatte bei seinem Patienten schon in einem ähnlichen Fall zu Jahresbeginn extremen Bluthochdruck festgestellt – Lebensgefahr! Statt in die Justizvollzugsanstalt Görlitz ging es damals für Erich Kaiser ins Krankenhaus. Dort wurde er auch jetzt eingewiesen und nach drei Tagen wieder nach Hause entlassen.

Der Putzkauer ist kein Reichsbürger. Doch er kämpft an mehreren Fronten gegen Behörden und Unternehmen, wo allgemein geltende Bestimmungen seinen Lebensgewohnheiten zuwider laufen. Er liegt mit der Wasserversorgung über Kreuz, weil er, wie seine Vorfahren, ausschließlich Wasser aus seinem Hausbrunnen verbraucht, statt aus dem öffentlichen Netz, obwohl es einen „Anschluss- und Benutzungszwang“ gibt. Er ging über Jahre auf Aufforderungen nicht ein, seine Kläranlage auf den heutigen Stand zu bringen. In diesem Sommer griff das Landratsamt, erstmals im Kreis, zu einer harten Maßnahme: Es ließ den Abfluss der Dreikammerkläranlage von einem Fachbetrieb verschließen, sodass Erich Kaiser sie nur noch als abflusslose Grube nutzen kann, die er mehrmals im Jahr leeren muss. Auch einen Bußgeldbescheid fürs Verbrennen von Gartenabfällen auf seinem Grundstück, was im Landkreis Bautzen verboten ist, ließ der Putzkauer unbeantwortet. Erich Kaiser argumentiert, ihm fehle das Geld, das teure Trinkwasser zu kaufen und seine Klärgrube zu modernisieren. Er verweist auf sein Pfändungsschutzkonto, das am Monatsende Null ausweist, einen Schufa-Eintrag und eine eidesstattliche Vermögensauskunft, die er vor einigen Jahren abgab.

Offenbarungseid als Rettungsanker

Aufgrund der ausstehenden Strafgelder drohte ihm eine Gerichtsvollzieherin kürzlich eine bis zu sechsmonatige Beugehaft an, wenn er nicht zahlt oder seine Vermögensverhältnisse in ihrem Büro offenlegt. Der Putzkauer ließ auch diesen Termin verstreichen. Die angedrohten sechs Monate Beugehaft sind das Maximale, das das Gesetz in so einem Fall vorsieht. Die Justizbehörden werden hier im Auftrag der Gläubiger tätig, sagt der Direktor des Bautzener Amtsgerichtes Markus Kadenbach. Die sechs Monate müssen bei Weitem nicht ausgeschöpft werden. Sobald der Betroffene Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse erteilt oder zahlt, kommt er wieder frei. Eine einmal erteilte Vermögensauskunft gilt für zwei Jahre, sagt Markus Kadenbach. Danach kann sie ein Gläubiger erneut fordern. Für den Fall, dass sich die Einkommensverhältnisse in diesen zwei Jahren ändern – zum Beispiel wenn ein Arbeitsloser einen Job findet – können Gläubiger auch schon früher erneut Auskunft verlangen.

Der Putzkauer Rentner ist ein Einzelfall. „Nach Rücksprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft und einer erneuten Entscheidung dieser Behörde wurde die Vollstreckung der Haftbefehle mit Blick auf seinen mutmaßlich schlechten Gesundheitszustand vorübergehend ausgesetzt“, sagt Polizeisprecher Thomas Knaup. Über den weiteren Fortgang des Verfahrens habe die Justiz zu befinden.