„Darum bin ich ausgetreten“

Sein Name wird nicht genannt. Doch er ist so präsent, als wäre er körperlich anwesend: Roland Wöller. Am sächsischen Innenminister scheiden sich in der Pressekonferenz am Freitag die Geister. Uwe Rumberg, Peter Pfitzenreiter und Martin Rülke sitzen vor zehn Journalisten. Für Freitaler Verhältnisse schon fast ein Medienrummel. Sie wollen endlich persönlich erklären, warum sie aus der CDU ausgetreten sind – eine Woche nach ihrer aufsehenerregenden Entscheidung.
Was sie sagen, bleibt wenig konkret. Von mangelnder Diskussionskultur ist die Rede. Es sei innerhalb der CDU nicht mehr möglich, mit seiner Meinung Gehör zu finden. Das jedenfalls ist die Wahrnehmung der drei und ihrer sechs ebenfalls ausgetretenen Mitstreiter. So weit, so bekannt.
Konkreter wird Rumberg, als er seinen persönlichen Weg in der CDU gedanklich nachvollzieht. Entscheidungen in der Zeit rund um 2015, als viele Geflüchtete kamen, haben ihn geärgert. Auch die abrupte Wende in der Energiepolitik und jetzt auch in Bezug auf die Priorisierung der Elektromobilität. Dazu komme nun das Agieren in der Corona-Krise. „Wir haben jetzt offiziell keine Infizierten mehr in unserem Landkreis, aber die Eltern müssen früh am Kindergarten Schlange stehen, weil das Einhalten der Hygienevorschriften so viel Zeit kostet, weil man quasi nur einzeln eintreten darf.“
Doch seine Kritik ist nicht nur inhaltlicher Natur. Viel mehr noch, so scheint es, missfällt ihm die Art und Weise, wie entschieden wird. Zu abrupt, zu widersprüchlich, findet er. Er selbst sei ja auch für eine saubere Umwelt und selbstverständlich auch für eine lebenswerte Zukunft. Er habe selber sechs Enkelkinder. Dennoch sei es ja so, dass die Industrie wie beispielsweise das Edelstahlwerk in Freital Zeit brauche, um sich auf veränderte Bedingungen einzustellen. Ansonsten hätte Deutschland als Industrienation auch keine Zukunft, sagt Rumberg.
Wer hat sich verändert?
Das alles zeigt: Freitals Oberbürgermeister hadert schon länger mit seiner CDU, die nun nicht mehr seine ist. Wer hat sich verändert – er oder die Partei? Aus seiner Sicht sind es die Strukturen in der Partei und eben die dort handelnden Personen, die eine offene Diskussionskultur verhindern. Dies habe sich dann an jenem 2. Juni in der Vorstandssitzung des Freitaler Stadtverbandes wieder so sehr offenbart, dass er dort in trauter Runde – der Vorstand hat insgesamt 14 Mitglieder – laut über einen Rücktritt nachdachte.
„Daraufhin wurde mir gesagt, dass das Konsequenzen für mich persönlich und für die Stadt haben werde.“ Von wem, das lässt Rumberg offen. „Ich gehe allerdings davon aus und hoffe, dass das in der Situation Gesagte, mit etwas Abstand wieder in Vergessenheit gerät“, so Rumberg.
Nach seiner Austrittsankündigung habe er erwartet, dass ihn die CDU-Führung kontaktiere und er wenigstens ein Gespräch bekomme. Tatsächlich habe ihn der stellvertretende Vorsitzende des Stadtverbandes – gemeint ist Wöller – auch angerufen, doch gerade da habe die Stadtratssitzung begonnen, das Gespräch sei sehr kurz gewesen. Wer wen hinterher zurückrufen wollte, dazu gibt es von den Beteiligten unterschiedliche Aussagen. Dass es nicht zu einem weiteren Kontakt gekommen ist, spricht aber für sich. Einer wollte gehen, der andere wollte ihn nicht aufhalten – so wirkt es zumindest.
Das umstrittene Zehn-Punkte-Papier
Entzündet hatte sich der Streit an einem Zehn-Punkte-Papier, dass Peter Pfitzenreiter als CDU-Stadtchef in die Sitzung mitgebracht hatte. Das Thesenpapier beinhaltete Vorwürfe und Anschuldigungen in Richtung der Regierenden, aber auch konkrete Vorschläge zu Steuerentlastungen.
„Willst du wirklich darüber diskutieren?“, sei die erste Reaktion gewesen, berichtet Pfitzenreiter am Freitag und dieses Mal ist wohl ausnahmsweise nicht Wöller gemeint, dem dieser Satz zugeschrieben wird. Dennoch habe er sich sehr darüber geärgert, so Pfitzenreiter. Man müsse doch intern erst einmal über alles diskutieren können. „Selbstverständlich“, sei deshalb seine Antwort gewesen.
Nach Aussage verbliebener CDU-Mitglieder wurde anschließend auch mehr als zwei Stunden über die zehn Punkte gesprochen, teilweise in hitziger Atmosphäre. Das bestreitet auch Pfitzenreiter nicht. Es gab aber keine Einigung. Am 19. Juni sollte es deshalb die nächste Sitzung geben, die der Vorsitzende einberufen hatte. Zuvor legte Wöller gemeinsam mit weiteren Vorstandsmitgliedern wie Sebastian Handke einen Kompromissvorschlag vor.
Der wurde von den anderen aber offenbar eher als Gegenentwurf gewertet. „Dieses Papier ging völlig unkritisch mit der Situation um“, sagt Martin Rülke im Nachgang. Doch letztlich, und das betonen alle drei immer wieder, sei der Austritt nicht wegen des Inhalts passiert, sondern wegen der Art und Weise des Umgangs damit und miteinander.
Noch bevor am 19. Juni abends die Sitzung stattfand, verschickten sieben Mitglieder des Stadtvorstandes E-Mails, in denen sie ihren Austritt aus der CDU erklärten. Die restlichen trafen sich dennoch, um zu beraten, wie man jetzt mit der Situation umgehen sollte.
Die AfD ist keine Option
Nun stehen alle Beteiligten vor dem Scherbenhaufen, den sie angerichtet haben. Oberbürgermeister Uwe Rumberg hat damit zunächst wahrscheinlich das geringste Problem. Seine Amtszeit läuft noch bis 2022. Dann sei er 63 und könne sich durchaus vorstellen, noch einmal zur Wahl anzutreten. Entschieden habe er sich aber noch nicht. „Und ob ich dann wieder ins Amt kommen darf, entscheiden ja die Freitalerinnen und Freitaler.“ Für Pfitzenreiter und Rülke wird es schon schwieriger. Beide sind noch keine 40, haben ihre politische Karriere eigentlich noch vor sich.
„Wir bleiben politische Menschen und politisch aktiv“, sagt Rülke. Einen Eintritt in die AfD schließt er explizit aus. Das tun auch Rumberg und Pfitzenreiter. Alles andere sei noch nicht entschieden. Ob Martin Rülke in der Fraktion bleibt, ob er auch Vorsitzender der Fraktion bleibt? Er kann es sich vorstellen. „Wir haben uns am Dienstag in der Stadtratsfraktion dazu verständigt, dass wir uns die Sommerpause Zeit geben und danach eine Entscheidung treffen, wie es weitergeht“, so Rülke.
Und Roland Wöller? „Ich sehe nicht, dass wir eine schlechte Diskussionskultur haben“, sagt er am Telefon. Man habe über die zehn Punkte lange diskutiert, einen Kompromissvorschlag erarbeitet, über den man wiederum diskutieren wollte. „Zudem hatten wir vorgeschlagen, alle Mitglieder dazu zu befragen, das Thema also nicht nur im Vorstand zu belassen.“ Doch die jetzt Ausgetretenen hätten daran wohl kein Interesse gehabt, sonst hätten sie ja die Sitzung noch abwarten können.
Es entsteht der Eindruck, dass sich da schon länger Positionen verhärtet hatten. Und doch lässt eine Bemerkung am Rande von Peter Pfitzenreiter aufhorchen: „Ein Anruf von Michael Kretschmer hätte vielleicht noch einmal etwas bewegt.“
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