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Sachsen droht der Oberlausitz das Geld zu kappen

Ein Experte über zu viel Kirchturmdenken im Tourismus, zu aufwendige Strukturen und zu wenig Gästetaxe.

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Von Anja Beutler

Oberlausitz. Frank Ortmann ist Tourismusexperte im sächsischen Wirtschaftsministerium. Deshalb begleitete der Referatsleiter für Handel, Handwerk, Tourismus und Dienstleistungen „seinen“ Minister Martin Dulig vor wenigen Tagen auf einer Reise durch die Oberlausitz. Beim Besuch des Herrnhuter Kirchensaales erwartete die Dresdner Delegation deutliche Kritik zur Tourismusvermarktung und die Frage, warum das „noch immer nicht richtig funktioniere“. Das Problem liege hier nicht bei Dresden, sondern in der Oberlausitz selbst, erklärte Ortmann daraufhin. Durch die komplizierte Struktur vor Ort falle es der Marketinggesellschaft Oberlausitz (MGO) schwer, die Kriterien einer wettbewerbsfähigen Destination einzuhalten. Im schlechtesten Fall könnte die Oberlausitz den Anspruch auf touristische Höchstförderung verlieren. Frank Ortmann erklärt, was das genau heißt und wo seiner Ansicht nach die Probleme liegen:

Frank Ortmann leitet das Referat Handel, Handwerk, Tourismus, Dienstleistungen im sächsischen Wirtschaftsministerium.
Frank Ortmann leitet das Referat Handel, Handwerk, Tourismus, Dienstleistungen im sächsischen Wirtschaftsministerium. © SMWA

Herr Ortmann, was würde denn passieren, wenn die Oberlausitz nicht mehr den höchsten Fördersatz für Tourismusprojekte bekäme?

Investitionen in Tourismusvorhaben würden teurer werden. In der Förderrichtlinie für touristische Infrastruktur, um zum Beispiel einen Wanderparkplatz oder eine Touristinformation zu bauen, würde der Fördersatz um bis zu 15 Prozent sinken. Bei touristischen Marketingprojekten gibt es für jeden Euro, den die MGO ausgibt, um die Oberlausitz zu bewerben, einen Euro dazu. Die Förderung liegt also bei 50 Prozent. Ohne den Höchstsatz wären es 25.

Wie ist der Tourismus in der Oberlausitz aufgestellt?

Wettbewerbsfähig ist eine Tourismusregion laut Freistaat, wenn sie acht Kriterien erfüllt. Dazu gehören: mehr als 1,5 Millionen Übernachtungen/Jahr, mehr als 15000 Betten, einen Marketingetat von mehr als 40 Prozent des Gesamtbudgets sowie ein Anteil eigenerwirtschafteter Mittel von mindestens 50 Prozent des Gesamtbudgets. Gefordert wird in ländlichen Gebieten, dass mindestens 15 Prozent der Tourismus-Betriebe eine Klassifizierung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) vorweisen müssen, hinzu kommen weitere Qualifikationsmerkmale auch beim Personal der regionalen Marketingorganisation.

Unter Oberlausitz vermarkten sich die Landkreise Bautzen und Görlitz gemeinsam über den Tourismusverband Oberlausitz-Niederschlesien (TVO) und vor allem die Marketing-Gesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien (MGO).

Die MGO ist gewissermaßen das gemeinsame Dach, unter dem alle acht einzelnen lokalen Tourismusorganisationen versammelt sind, die meist als Touristische Gebietsgemeinschaften (TGG) bezeichnet werden, aber verschiedene Organisationsformen gewählt haben.

Diese acht lokalen touristischen Gebiete in der Oberlausitz sind: Neisseland (nördlich von Görlitz bis um den Berzdorfer See); Görlitz; Naturpark Zittauer Gebirge (Gebirge bis Herrnhut); Oberlausitzer Bergland (Bautzener Oberland bis Kottmar); Westlausitz (von Demitz-Thumitz bis Radeberg), Dresdner Heidebogen (von Kamenz bis Königsbrück), Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft (Bautzen und weiter nördlich bis Wittichenau) sowie das Lausitzer Seenland (rund um Hoyerswerda bis nach Brandenburg).

Quellen: SMWA; MGO

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Was macht die Oberlausitz falsch?

In der Oberlausitz denkt man noch viel zu oft an den eigenen Kirchturm und nicht an das große Ganze – die Vermarktung einer Region. Mit der Tourismusstrategie 2020 wollen wir aber genau dieses befördern. Urlaub macht man in der Oberlausitz, in der Sächsischen Schweiz oder im Erzgebirge – nicht im Landkreis Görlitz oder Bautzen.

Das stimmt, aber der Freistaat hat mit seinem neuen Konzept doch Städte und Gemeinden geradezu gezwungen, in Touristische Gebietsgemeinschaften – also kleinere Einheiten – einzutreten. Und das kritisieren Sie jetzt?

Moment! Der Freistaat hat nie gesagt, dass es in der Oberlausitz acht solcher touristischer Gebietsgemeinschaften geben muss. Das war die Entscheidung hier vor Ort. In der Tourismuskonzeption 2020 geben wir Kriterien für wettbewerbsfähige Tourismusdestinationen vor. Welche Strukturen dann gewählt werden, können die einzelnen Regionen völlig frei entscheiden. Das Erzgebirge hat beispielsweise die TGGs, also eben diese kleineren Einheiten abgeschafft. Die Kommunen sammeln sich direkt unter dem Dach des Tourismusverbandes, den man professionalisiert und besser ausgestattet hat. In anderen Regionen Sachsens gibt es TGGs, aber nicht so viele wie in der Oberlausitz.

Das Argument in der Oberlausitz ist aber, dass es eben eine so große Vielfalt gibt, die nicht verloren gehen soll ...

Diese Sorgen gibt es anderswo auch und dennoch hat man sich – mitunter nach hartem Ringen – gefunden. Die derzeitige Struktur in der Oberlausitz ist sehr aufwendig und bedarf viel Abstimmung unter vielen Gremien und Vorständen. Hinzu kommt, dass momentan die Finanzierung der übergreifenden Dachorganisation MGO, der Marketing-Gesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien mbH, aus unserer Sicht verbesserungswürdig ist.

Die vielen kleinen TGG-Einheiten kosten also zu viel und für die MGO bleibt nichts übrig?

Man könnte auch sagen, die Oberlausitz erwirtschaftet zu wenig, um diese Struktur zu finanzieren. Hier wird beispielsweise das Instrument der Gästetaxe oder Tourismusabgabe nach Sächsischem Kommunalabgabengesetz mit am schwächsten genutzt. Im Vergleich mit der Sächsischen Schweiz kann man das gut verdeutlichen: Die Oberlausitz hat im Jahr 2016 insgesamt 679719 Gäste und 1837102 Übernachtungen verbucht. Die Einnahmen aus der Gästetaxe beliefen sich auf 127000 Euro, die aus der Tourismusabgabe auf 5000 Euro, macht zusammen 132000 Euro. Die Sächsische Schweiz hat bei 440108 Gästen und 1558794 Übernachtungen 909000 Euro Gästetaxe und 101000 Euro aus der Tourismusabgabe erhalten – also eine reichliche Million Euro. Fazit: Die Sächsische Schweiz erwirtschaftet bei geringerer Zahl der Ankünfte und Übernachtungen gegenüber der Oberlausitz 878000 Euro mehr eigene Einnahmen aus Gästetaxe und Tourismusabgabe. In der Sächsischen Schweiz sind die Kommunen direktes Mitglied im Tourismusverband Sächsische Schweiz.

Gibt es in der Sächsischen Schweiz nicht viel mehr Erholungs- und Kurorte als in der Oberlausitz und damit mehr Kurtaxe?

Die Erhebung einer Gästetaxe und einer Tourismusabgabe – früher Kurtaxe und Fremdenverkehrsabgabe genannt – ist im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern in Sachsen nicht nur an das Prädikat Kur- und Erholungsort gebunden. Alle Gemeinden, die touristischen Aufwand haben, können diese Abgabe erheben. Wir wissen, dass die Gäste stark daran gewöhnt sind, für Leistungen und Qualität auch etwas zu zahlen. In der Oberlausitz ist vieles noch kostenlos. Natürlich würde eine Gästetaxe auch eine Erwartungshaltung an die Kommunen und Gastgeber auslösen, sie in die Pflicht nehmen.

Tourismusanbieter und Gäste mit neuen Abgaben zu belasten, scheuen viele.

Wir erleben häufig, dass alle an einem zu kurzen Betttuch zerren, aber nicht das Geld in die Hand nehmen, um das Tuch größer zu machen. Lieber sucht man sich noch einen, der auf der eigenen Seite mitzieht. Das Geld beim Freistaat ist da, der Landtag hat die Tourismusmittel für die Regionen stetig erhöht, aber vor Ort einmal die Dinge auszukämpfen und sich richtig aufzustellen, ist Pflicht der Regionen. Die Oberlausitz macht es sich selbst schwer.

Apropos Pflicht: Beitrag zahlen müssen die Kommunen in solchen Zusammenschlüssen immer und die acht TGGs bieten offenbar unterschiedliche Preis-Leistungs- und Mitspracheverhältnisse. Wie soll das besser gehen?

Ein gutes Prinzip ist offenbar, den Beitrag an der Einwohner- und an der Gästezahl zu bemessen. Dabei haben in der Regel auch die größten Zahler die meiste Stimmgewalt, wer weniger zahlt, hat weniger Stimmanteil. Einige Regionen in Sachsen haben dabei einen Höchstbeitrag wie das Erzgebirge: Oberwiesenthal zum Beispiel zahlt pro Jahr 20000 Euro, nie mehr. In der Sächsischen Schweiz gibt es keine Höchstgrenze, da stehen für Bad Schandau nach meiner Kenntnis durchaus mehr als 40000 Euro jährlich zu Buche.

Wann fällt die Entscheidung über die Höhe des Fördersatzes?

Wir erarbeiten jetzt die neue Strategie bis zum Herbst. Im kommenden Jahr werden wir dann alle Regionen wieder überprüfen und entscheiden. Das tun wir alle zwei Jahre. Ein Streichen des Höchstsatzes wäre also keine endgültige Entscheidung.