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Wie das Bleischwere  federleicht wird

Der Schriftsteller Sasa Stanisic erhält den Deutschen Buchpreis für sein fabelhaftes, selbstironisches Spiel mit der eigenen Biografie.

Von Karin Großmann
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„Ich bin in einem Land geboren, das es nicht mehr gibt“, sagt Sasa Stanisic.
„Ich bin in einem Land geboren, das es nicht mehr gibt“, sagt Sasa Stanisic. © dpa

Ein Lateinlehrer in der Nazizeit verhilft mit Bienen Juden zur Flucht. Eine österreichische Gräfin beherrscht die Erinnerungen einer ganzen Gemeinde. Eine Studentin bringt den Gefühlshaushalt eines Männerpaars durcheinander. Sechs solche Geschichten waren  nominiert für den Deutschen Buchpreis. Er soll zum fünfzehnten Mal den besten Roman des Jahres ehren, wenngleich jeder weiß, dass es den einen besten Roman nicht gibt.

Es gibt Maßstäbe, das schon. Ein neuer Ton wäre gut, eine überraschende Geschichte, die mitten hinein zielt in den Politklamauk der Gegenwart. Zeitspezifische Relevanz, so heißt das. Verschränkte Perspektiven liegen im Trend, denn das kennt der werte zappende User. Und bitte irgendwas mit Nussschale, also Provinz, in der sich die Welt spiegelt. Migrationshintergrund willkommen.

Der Buchpreis ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert, und weil er vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben wird, sollte der prämierte Titel möglichst nicht wie Blei auf der Ladentheke liegen bleiben.  Und so ist es nur folgerichtig, dass die Jury an diesem Montag aus über 200 Einreichungen und den sechs Finalisten einen kürte, der diesen Erfolg garantieren kann.  Sasa Stanisic, 1978 geboren in Visegrad an der Drina in Bosnien-Herzegowina. Ein großartiger Erzähler voller Witz und Selbstironie. Er trägt den berühmten Mantel der Geschichte so selbstverständlich spazieren wie die Weste überm Oberhemd. Er war 14, als er mit seiner Mutter über mehrere Grenzen nach Deutschland kam, ausgerechnet nach Heidelberg in die Romantikerstadt, und die einzigen deutschen Wörter, die er kannte, waren: danke, bitte und Lothar Matthäus. Inzwischen spricht er ein fabelhaftes Deutsch. Wenn ihn jemand dafür lobt, lobt er zurück: Sie aber auch! 

Wörter und Bohnen

Es ist seinen Sätzen anzumerken, dass er der Sprache etwas ablauscht, was andere längst nicht mehr hören. Das trägt zum Charme seiner Geschichten bei, seit er mit dem Band „Wie der Soldat das Grammophon repariert“ debütierte. Sein zweiter Roman „Vor dem Fest“ erzählt von einem uckermärkischen Dorf auf dem Abstellgleis. Dafür erhielt er vor fünf Jahren den Leipziger Buchpreis. Ein Erzählband folgte. Nun also erhält Sasa Stanisic den Deutschen Buchpreis für den autobiografisch gefärbten Roman „Herkunft“. Er möge sich an die Wörter halten, prophezeite die bosnische Großmutter ihrem Enkel aus einer Handvoll Bohnen. Bohneneintopf war sein Lieblingsessen. Eifrig folgte er ihrem Rat.

Auch mit dem jüngsten, seinem vierten Buch überzeugt Sasa Stanisic als toller Erzähler.
Auch mit dem jüngsten, seinem vierten Buch überzeugt Sasa Stanisic als toller Erzähler. © dpa

Stanisic hat viel gemeinsam mit diesem jungen Mann. In seinem Buch fragt er, was Herkunft bedeutet. Macht der Ort besser, schöner, klüger, aus dem einer kommt? Lassen die Häkchen auf dem Namen Rückschlüsse zu auf den Charakter oder die Lieblingsfarbe? Jemand hat diese Häkchen mal Schmuck genannt, schreibt Stanisic, das hat ihm gefallen. In der Jugendclique, die sich an der Tankstelle trifft, spielt Herkunft ohnehin keine Rolle. „Wir waren Kriminalität, Jugendarbeitslosigkeit, Ausländeranteil“. Das verbindet. Die Schlange an der Supermarktkasse nebenan spricht sieben Sprachen und guckt sonntags „Tatort“. Deutsche Vermieter und Beamte reagieren skeptisch auf die Häkchen, die nicht mal in in jedem ordentlichen deutschen Computerprogramm vorkommen.

Sie schuften sich traurig

Vor einigen Jahren kritisierte der Autor Maxim Biller die deutsche Gegenwartsliteratur als fade und bissarm und warf namentlich Sasa Stanisic vor, er habe sich als Autor mit Migrationshintergrund abdrängen lassen von den eigentlichen Themen hin zum Gefälligen. Das war damals schon Unfug. „Herkunft“ ist das Gegenteil von gefällig, ist intelligent komponiert und gegen den Strich der Chronologie gebürstet. Die politischen Abgründe bleiben sichtbar, die Wunden und Widersprüche. „Sie schuften sich traurig“ heißt es zum Beispiel über die Eltern. Sie schlagen sich in der neuen Heimat irgendwie durch. Der Vater war Betriebswirt und verlegt nun Rohre in Schwarzheide. Die Mutter war Politologin und stirbt tausend heiße Tode in einer Wäscherei. Als beide ihre Aufenthaltserlaubnis verlieren, wandern sie in die USA aus. Der Junge bleibt und sucht eigene Wege. „Meine Rebellion war die Anpassung.“

Hoffnung auf ein Leuchten

Der Autor macht ein bleischweres Thema federleicht, lobt die Jury. „Verschmitzt und behände bleibt der Erzähler stets auf der Hut vor sich selber, mit Klugheit, Humor und Sprachwitz, ohne Zugehörigkeitskitsch und Opferpathos.“ Die Jury hat die richtige Wahl getroffen. Denn so kühn es auch war, drei Debütanten mit ins Romanrennen zu schicken, so zweifelhaft war die Entscheidung auch. Ohnehin dürfte jeder Leser seinen eigenen Favoriten auf der Liste vermissen, Nora Bossong oder Heinrich Steinfest oder Christoph Poschenrieder zum Beispiel.

Vielleicht gelingt es dem Deutschen Buchpreis, die derzeitige Trübsinnsbilanz der Branche etwas aufzuhellen. Gerade die Belletristik schwächelt. In den letzten beiden Monaten sanken die Umsätze, und das wird durch steigende Preise nicht aufgefangen. Krimis mit Titeln wie „Guglhupfgeschwader“ reißen das Ruder nicht um. Von nichts auf null hat sich nun Jojo Mojes an die Spitze der Bestenliste geschrieben. Ihr jüngster Roman sollte als geheime Inschrift über der Buchmesse stehen, die an diesem Dienstag eröffnet wird: „Wie ein Leuchten in tiefer Nacht“.

Buchtipp: Sasa Stanisic: Herkunft. Luchterhand, 355 Seiten, 22 Euro