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Schlaflose Nächte an der Neiße

Die Ostritzer leiden unter der Grenz-Kriminalität und fordern mehr Schutz. Doch die Polizei hat ein anderes Konzept.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Mara Mertin

Normalerweise nutzt Alexander Olonczik sein Schweißgerät, um Autos zu zerlegen. Im Sommer 2013 hat der 30-Jährige damit die Hintertür seiner Werkstatt dicht gemacht. Die Fenster verrammelten er und Freunde mit Balken. Dann legten sich die Hobby-Schrauber auf die Lauer, begannen nachts, mit dem Auto durch den Ort zu patrouillieren – wenn in Ostritz an der deutsch-polnischen Grenze die Straßen scheinbar menschenleer sind.

Der Ostritzer Bahnhof liegt auf polnischer Seite. Eine Brücke führt in die Stadt. Der Grenzübertritt ist heutzutage eine wenig aufregende Angelegenheit. Foto: Friedemann Knoblich
Der Ostritzer Bahnhof liegt auf polnischer Seite. Eine Brücke führt in die Stadt. Der Grenzübertritt ist heutzutage eine wenig aufregende Angelegenheit. Foto: Friedemann Knoblich © ta

Seit Jahren häufen sich in Ostritz die Diebstähle. Die Polizei erfasste 126 Einbrüche 2013, knapp ein Drittel mehr als 2012. Die Aufklärungsquote ist gering. Voriges Jahr lag sie bei 18 Prozent: In 23 Fällen fanden die Beamten die Täter. Meist sind es kleine Dinge, die wegkommen. Doch die Unruhe in der 2600-Seelen-Stadt wächst. Die Diebe kommen über die Neiße, heißt es. Eine Fußgängerbrücke führt nach Polen, zum Ostritzer Bahnhof. „Willkommen im Land der Einbrüche und der Hochwasseropfer“, steht auf Plakaten. Aufgehängt hat sie Hartmut Ehrentraut, Betriebsleiter des Hotels „Neißeblick“. Aus Frust, wie er sagt. Mehr als ein Dutzend Mal sei eingebrochen worden. „Der Wert alleine ist es nicht“, klagt der 59-Jährige. „Es ist die Angst, die vor allem ältere Leute bedrückt. Manche wollen schon gar nicht mehr abends aus dem Haus gehen.“ Das Hotel wird mittlerweile in Ruhe gelassen. Es gebe nichts mehr zu holen, sagt er. Nach dem Hochwasser 2010 investiert der Eigentümer nicht mehr.

Auch andere sind von Diebstählen betroffen wie Frank Konewka. „Der Schaden für mich ist gewesen, dass ich nächtelang nicht schlafen konnte, weil ich auf diese Idioten gewartet habe“, sagt er. Das Anwesen des Steuerberaters liegt in Leuba. Zwanzig Jahre blieben Gutshaus und Ställe, Dachrinnen und Fallrohren aus Kupfer unbemerkt. Erst ein Baugerüst machte auf den Hof aufmerksam. Es waren die Nächte Ende Juni, als die Diebe das Kupfer abmontierten. Die Dreistigkeit vor allem belaste die Menschen, sagt der 36-Jährige. In der ersten Nacht brachen die Diebe in den Stall ein, versuchten, den Trecker zu stehlen. Das gelang nicht. In der Nacht darauf brachen sie die Tür zur Kanzlei auf, stahlen Werkzeug und Dachrinnen – 50 Kilo Kupfer. „Das muss man sich einmal vorstellen“, schimpft Konewka. Die Stücke hätten sie herausgeschnitten, platt gedrückt und für den Abtransport bereitgelegt. Das Kupfer fand er am nächsten Tag in einem Steinbruch hinter dem Stall. „In der dritten Nacht legten wir uns auf die Lauer.“ Freunde, Schwiegervater – sechs Leute insgesamt. Die Polizei wusste davon. „Als die beiden Diebe auf den Hof schlichen, rutschte mir das Herz in die Hose. Es war das Adrenalin. Ich war wie fremdgesteuert, als ich die Polizei rief.“ Der Streifenwagen fuhr auf den Hof. Die Diebe verschwanden. „Gegen 4 Uhr war die Polizei weg, halb 5 waren die Kerle wieder da.“ Die Einwohner zählten in der Nacht 16 Einbrüche. Die intakten Dachrinnen hat Konewka abgemacht und welche aus Plastik angeschraubt.

Das ist in Ostritz an vielen Gebäuden zu sehen. Auch beim Kloster St. Marienthal. „Seitdem war keiner mehr da“, sagt Hausmeister Wolfgang Axt. Die Diebe kommen über die Neiße, meint er. Das sieht auch Leubas Ortsvorsteher Norbert Kern so. Im Sommer führe der Fluss wenig Wasser und es sei besonders gefährlich, sagt er. Die Schuppen auf seinem Grundstück hat Kern mit Schlössern gesichert, nachdem ein 20-Liter-Kanister mit Benzin wegkam. Es geschah 16 Uhr und der Enkel sah den Fremden. Seit dem Tag wolle der Junge nicht mehr im Erdgeschoss schlafen, so Kern. Der Nachbar hat inzwischen eine Kamera im Garten.

Jeder im Ort ist mit den Einbrüchen konfrontiert. „Wenn in Ostritz ein Auto geklaut wird, haben wir de facto 2600 Opfer. Wenn das Gleiche in Dresden passiert, haben wir eine Parklücke“, spitzt es der Präsident der Polizeidirektion Görlitz Conny Stiehl zu. Aber natürlich sei der Ort im Verhältnis Einwohner zu Straftaten stark belastet. „Man kann nicht sagen, das waren immer nur Polen“, betont er. Allerdings: In den vergangenen fünf Jahren waren laut Kriminalstatistik 72 bis 100 Prozent der Tatverdächtigen Ausländer. „Hinzu kommen aber die, die wir nicht geschnappt haben. Das können alles Deutsche sein“, sagt Stiehl und räumt ein: „Das soziale Gefälle zwischen Deutschland und Polen ist eben groß. Die Kleinkriminellen, die hierherkommen, um zu stehlen, tun dies für den Lebensunterhalt.“ Beim Schrotthändler erhält man 3,50 Euro für ein Kilo Kupfer laut Martin Arnold, der mit Olonczik in der Hobby-Werkstatt schraubt. „Mit fünf Kilo Dachrinnen kommst du über den Tag.“

Dabei stellt Stiehl klar: Nicht nur die deutsche Seite haben unter dem Problem zu leiden. „In den Grenzstädten auf polnischer Seite wird genauso gemaust, aber da schützen sich die Menschen besser“, sagt er. „Viele haben einen Hund und Alarmanlagen“, bestätigt Katarzyna Urban, Angestellte bei Konewka. Die Polin lebt in Bogatynia. „Vorurteile gegenüber uns Polen gibt es schon“, meint die 40-Jährige. „Aber es ist viel besser geworden.“ Haben die Beamten einen Täter erwischt, notieren sie sich die Personalien und lassen ihn ohne Diebesgut laufen. Dann erstellen sie eine Strafanzeige, befragen Zeugen. Der Rest obliegt der Staatsanwaltschaft. „Dafür herrscht viel Unverständnis“ , sagt Stiehl. „Aber, sofern ein fester Wohnsitz besteht, gibt es keinen Grund, einen Dieb festzuhalten. Egal, woher er kommt.“ Für eine Festnahme wegen Wiederholungsgefahr müsse man sich schon einiges leisten.

Und so stellt auch Arnold fest, dass ergriffene Diebe freigelassen werden, oder man sie zwei Monate später wieder auf freiem Fuß sieht. Die Schrauber haben die Jagd nach Dieben aufgegeben. Drei konnten sie festhalten, bis die Polizei kam. „Das ist der Frust der Leute hier“, sagt Ehrentraut. Mit einem Brief hat sich Konewka an Sachsens Innenminister gewandt. Ihn schockiere, wie deprimiert die Polizei sei, schrieb er. Man arbeite auf und habe doch nichts in der Hand. „Aber das ist kein Problem der Polizei, sondern unserer Gesetze.“

Stiehl sieht das anders. „Dass die Polizei frustriert ist, halte ich für eine Mär.“. Die Polizei reagiert, nur nicht unbedingt mit höhere Präsenz vor Ort. „Damit kann man einen Dieb nicht vom Mausen abhalten. Dann maust er im Nachbarort. Wir wollen Täter ertappen und nicht verjagen.“ Man setzt auf Zusammenarbeit. Zwanzig Mann bilden die deutsch-polnische „Einsatzgruppe Neiße“. „Wir kommen bis zu 25 Kilometer nach Polen rein, wo die Diebe das Gut verstecken oder verkaufen“, sagt der Polizeipräsident. Erste Erfolge stellen sich ein. Vorigen Frühsommer wurde eine Bande geschnappt, die Schülern am Ostritzer Bahnhof Handys und Geldbörsen abnahm. „Wir wollen, dass die Menschen wieder gern in Ostritz leben“, sagt Stiehl. „Das können wir nur miteinander.“

Für Recherche und Text haben die Volontäre der Thüringer Allgemeinen im Sommer eine Woche im Dreiländereck verbracht, zu ihrem Abschlussprojekt „Grenzgänger