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Schloss mit lustig

Gert Leo Lippold war schon Anarchist und Millionär. Heute ist er irgendwie beides und leitet das Schloss Scharfenberg bei Meißen als Familienunternehmen.

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© Robert Michael

Von Henry Berndt und Robert Michael

Gestatten, das Hochzeitszimmer. Hier spürt man noch die Aura des 18. Jahrhunderts, als wäre die Adelsdame persönlich soeben dem Bette entstiegen und drehte sich elegant vor dem prunkvollen Spiegel. Der Spiegel ist allerdings selbst gebaut und nicht mal 15 Jahre alt. Das Bett von Ikea, die Teppiche von Ebay, die Badezimmertüren lagen in Amsterdam schon als Sperrmüll auf der Straße, und die Schranktüren, die staubten unlängst noch in einer Fabrikruine in Frankreich vor sich hin. „Meine Familie war nicht gerade begeistert, als ich die auf dem Heimweg mitgenommen habe“, sagt Gert Lippold.

Schloss Scharfenberg ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt für seine romantische Anziehungskraft.
Schloss Scharfenberg ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt für seine romantische Anziehungskraft. © Jürgen M. Schulter

Genannt wird er Leo, ein gut gebräunter Herr im weißen Hemd, 60 Jahre ist er alt und Schlossherr von Beruf. Vor 17 Jahren kaufte er sich Schloss Scharfenberg, das bei Meißen auf einem Felsvorsprung über der Elbe thront. Es fällt schwer, sich zu entscheiden, ob man lieber die Geschichte dieses Schlosses, die Geschichte von Lippold oder die Geschichte von Lippold in seinem Schloss erzählen will. Irgendwie braucht es alles, um das große Ganze verstehen zu können.

Zum einen ist da also dieses Schloss, 1227 erstmals urkundlich erwähnt. Seit dem 14. Jahrhundert war Scharfenberg im Besitz der sächsischen Adelsfamilie von Miltitz. Zerstört im und wiederaufgebaut nach dem Dreißigjährigen Krieg war Scharfenberg Anfang des 19. Jahrhunderts bekannt für seine romantische Anziehungskraft. Illustre Zeitgenossen wie Novalis, E.T.A. Hoffmann und Caspar David Friedrich gingen hier kurzzeitig ein und aus. Das war es dann aber auch mit der Herrlichkeit. Im 20. Jahrhundert ging es rapide bergab für das Schloss, bis es zu DDR-Zeiten nur noch ein notdürftig gesicherter Steinhaufen war.

Gert Lippold stammt aus Thalheim im Erzgebirge. Nach seiner Tischlerlehre wurde er, wie er selbst sagt, „asozial“. Für diese DDR wollte er nicht arbeiten. Er zog in die Dresdner Neustadt, doch bald hatte die DDR kein Interesse mehr an diesem „nutzlosen Subjekt“. Sein erster Ausreiseantrag wurde schon nach einem Jahr genehmigt.

Lippold sah sich in dieser Zeit als Künstler, malte abstrakten Expressionismus. „Alles geklaut, nur Gemache“, sagt er heute. Im Westen ließ er sich ein paar Mal im Häuserkampf windelweich prügeln, dann ging er nach Amsterdam. Vom Hausbesetzer wurde er hier zum Galeristen. „Wenn schon nicht Anarchist, dann wenigstens Millionär“, hat Lippold mal gesagt. Und so ist es gekommen. Bald arbeitete er mit den bedeutendsten Künstlern dieser Zeit und ging auf die angesagtesten Kunstmessen. Das Geld floss reichlich, aber irgendwann hatte er trotzdem keine Lust mehr. Ein Schloss in Frankreich sollte es jetzt sein. Die Anzahlung war schon weg, da verschwand auch der Makler.

Und nun sitzt er also hier in der sächsischen Provinz. Klipphausen. „Ich kannte Schloss Scharfenberg schon aus den 70ern. Da habe ich mal einen Sommer lang zusammen mit anderen Künstlern hier gearbeitet.“ Ganz die Anarchisten, hielten junge Leute damals die Ruine besetzt und sicherten sie vor dem endgültigen Verfall. Zwanzig Jahre später stieß Lippold in einem Buch über bedrohte Schlösser in Sachsen wieder auf Scharfenberg. Das gehörte inzwischen den Nachkommen eines Berliner Fabrikanten. „Sie wollten drei Millionen Mark“, erinnert sich Lippold. „Viel zu viel, aber ich hatte mich in die Anlage verliebt.“ Für 100 Mark im Monat mietete er sich 1996 zunächst für ein Jahr provisorisch im Schloss sein. Er zog in ein kleines Zimmer im Erdgeschoss. Damit besiegelte er die Trennung von seiner damaligen holländischen Lebensgefährtin, die in der Großstadt blieb. Lippold war wieder Einzelkämpfer, wie meistens in seinem Leben.

In jenem Jahr war er verblüfft, wie viele Besucher den Weg hoch in den Wald fanden. Zum Tag des offenen Denkmals 1997 kamen mehr als 1 000 Leute. „Scharfenberg hatte so eine magische Anziehungskraft. Schon damals habe ich gewusst, davon kann man leben.“ Dabei glich das, was sich damals Schloss nannte, eher einer hoffnungslosen Bauruine. Das Gras stand kniehoch im Hof und umwucherte Stapel von Dachziegeln. Die fehlten dafür auf den Dächern, durch die es an allen Ecken und Enden reinregnete. Mauern und ganze Etagen waren eingestürzt und lagen als tonnenschwerer Schutt am Hang.

Trotzdem kaufte Lippold das Schloss dann doch. „Ich kam auf die Idee, eine Art Sommerferienlager zu veranstalten mit Studenten aus Tschechien und der Slowakei – für freie Kost und Logis plus Taschengeld.“ Gemeinsam räumten sie den schlimmsten Schutt beiseite. „Wir haben einfach losgemacht. Das war für mich eine riesige Spielwiese.“ Er nahm sich weder einen Architekten noch einen Statiker oder Landschaftsgärtner an die Seite. Stattdessen ging er auf den Dachboden und malte ein paar Skizzen, wie das alles mal aussehen könnte. Bald waren die ersten Gästezimmer eingerichtet, der Pensionsbetrieb begann. Das ging noch frei Schnauze, doch dann kam das Ordnungsamt. Und der Brandschutz. Und die Hygiene. „Wenn ich von Anfang an gewusst hätte, was mich da erwartet, hätte ich es gleich sein gelassen“, sagt Lippold heute. Fluchtwege, luftdicht schließende Metalltüren – das ist nicht so einfach in einem Schloss. Erst als Lippold droht hinzuschmeißen, entwickelt sich doch noch eine produktive Kooperation mit den Behörden.

Heute liegt das Management in den Händen seiner Lebensgefährtin Jurate Neimantiné. Seit sieben Jahren ist Leo Lippold mit der gebürtigen Litauerin liiert, die die Söhne Nojus (18) und Ugnius (15) mit auf das Schloss brachte. Komplettiert wird die Familie durch Thomas, den herzallerliebsten Schlosshund. Jeder hat hier seine Aufgabe. Nojus etwa führt die Gesellschaften durch das Schloss. Sechs Stunden in der Woche sollen auch die Söhne ihren „gesellschaftlichen Beitrag“ liefern: Holz spalten, Hof kehren, Tische stellen.

Das kleine Familienunternehmen hat sich auf Scharfenberg nach und nach ein wildromantisches Hotel aufgebaut, das inzwischen 15 Zimmer hat. Das Luisenzimmer zum Beispiel, das Turmzimmer oder die Kastellanwohnung. Alles frei erfunden. Ein Zimmer benannte Leo auch nach seiner einzigen leiblichen Tochter Maxi, die immer noch im Amsterdam wohnt. Und dann ist da natürlich noch das Hochzeitszimmer. Von April bis Oktober steigen auf dem Schloss jedes Wochenende zwei Hochzeiten. Alle Zimmer sind dann belegt. Die Hochzeiten sind die Haupteinnahmequelle. Bis 2016 sind fast alle Sonnabende ausgebucht. Dazu kommen andere Familienfeiern, Tagungen und Klassentreffen.

Ab November bietet Lippold erstmals Betriebsweihnachtsfeiern mit „stilvollem Kulturprogramm“ an. Reich mache das alles aber niemanden. Nach Abzug von Energie- und Personalkosten bleibe am Ende meist wenig übrig. Aber was ist schon Geld? Ein wenig ist Leo noch der Anarchist von früher. Wo andere jahrelang planen würden, lässt er einfach den nächsten Turm hochziehen. Jetzt kann auch die Schlossfamilie standesgemäß ihre Wohnung unter dem Dach verlassen, ohne über ein Gerüst über den seit 30 Jahren nicht mehr überdachten Rittersaal absteigen zu müssen.

Als Lippold nach Scharfenberg kam, fand er dort kein einziges Stück Inneneinrichtung mehr. In den 80er-Jahren waren hier auch noch die letzten Bleiglasfenster gestohlen worden. Heute ist jeder der 30 Räume eingerichtet, als hätte er nie anders ausgesehen. „Das hier ist mein Gesamtkunstwerk. Man muss sich einfach kümmern.“ Für die erste Hochzeit holte er 100 Metallstühle aus einer alten Russenkaserne und strich sie im Hof. Als Tische dienten alte Türplatten auf Holzböcken. „Die Leute waren begeistert und dachten, ich hätte das speziell so inszeniert.“

Mit Unterstützung zweier Künstler, die seit Jahren mit im Schloss wohnen, entstanden unzählige Gemälde und Bilderrahmen, die bei Bedarf noch ein wenig abgeratzt wurden, damit sie nach Historie aussehen. Auf Schnäppchenjagd bei Ebay hat Lippold schon etliche antike Stühle und Kronleuchter ersteigert. Ein herrlicher Lehnsessel im Musiksalon stand einst in Amsterdam auf der Straße. Der prächtige goldene Spiegel daneben gehörte früher schon zum Schloss und kam auf Umwegen über das Heimatmuseum und einen tiefen Keller zurück. Und dann gibt es da natürlich noch Andenken von Urlaubsreisen.

„Ich betrachte das Ganze auch immer mit einer gewissen ironischen Distanz“, sagt Lippold und drückt seine zehnte Zigarette innerhalb von zwei Stunden aus. Da hängt eben auch mal ein goldenes Hirschgeweih oder ein König Edward II. als Ölgemälde über einer Tür, obwohl der vermutlich nie in seinem Leben etwas von Schloss Scharfenberg gehört hat.

Fertig wird Lippold mit seinem Schloss nie sein, das weiß er. Womöglich will er später mal in einer Hütte in Südfrankreich friedlich mit Strohhut in der Hängematte einschlafen. Pläne hat er wie immer keine. Pfeifend und singend läuft Lippold durch die Flure seines Schlosses. Am Morgen nach dem Zeitunglesen hat er wieder seine Runde durch den Garten gemacht. Vorbei am Karpfenteich, am Swimmingpool und an den Gemüsebeeten. Hier hat er ein bisschen Salat geerntet, dort ein wenig gegossen, da ein paar Rosen verschnitten und die Handwerker angewiesen. „Das ist mein Leben. Könnte schlimmer sein, oder?“