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Schwerstarbeit für Sumo

Es ist neun Jahre her, dass sich die Kolosse in Riesa duellierten. Die einstigen Macher leben nun in Thailand und Florida.

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Von Michaela Widder

Fünf menschengroße Plastiken vor der Sachsen-Arena erinnern noch an die Glanzzeiten des Sumos in Riesa. Die Kolosse sind allerdings in die Jahre gekommen; einem fehlt seine Querflöte, die er bei seiner Entstehung 1999 in der Hand hielt. Damals boomt Sumo. Zwei Welt- und vier Europameisterschaften erlebt Riesa in einem Jahrzehnt. Doch die letzten Auftritte der Sumotori liegen nun schon neun Jahre zurück. Eine vergilbte Eintrittskarte oder ein Foto mit den Schwergewichten findet vielleicht mancher Fan noch in einer Kiste.

Tatsächlich geblieben sind die Erinnerungen an eine verrückte Zeit mit einem sportbegeisterten Bürgermeister. Wolfram Köhler holte Veranstaltungen in die Stadt, für die entweder anderswo kein Geld da war oder die kaum jemand kannte. Sumo-Ringen passte da ins Bild – auch für die sächsische Olympia-Bewerbung

Japans Nationalsport bietet Klamauk. Wie praktisch, dass dazu mit Günther Romenath der damalige Präsident der Europäischen Sumo-Union (ESU) ein Deutscher ist, der dazu noch fließend japanisch spricht. Ohne ihn, ist die einhellige Meinung, hätte es die Sumo-Veranstaltungen hierzulande nicht gegeben. Der ehemalige Judoka hat gute Kontakte nach Japan – und bald auch nach Riesa. Und Bürgermeister Köhler, nebenbei auch Songschreiber für Heino und Manager für Boxer Axel Schulz, war sowieso im Showgeschäft gut vernetzt.

Zwei umtriebige Männer haben sich also gefunden und veranstalten in der ehemaligen Stahlstadt 1997 und 1998 Europameisterschaften. Die Japaner sind zu Gast und staunen über die Top-Bedingungen mit einem extra angefertigten Kampfring aus 40 Tonnen Lehm. Der Weltverband, der seinen Sport gern 2008 bei Olympia gesehen hätte, ist zu dieser Zeit noch auf Expansion bedacht und vergibt die WM 1999 bewusst nach Europa.

Bei den ersten Sumo-Welttitelkämpfen jenseits des Mutterlandes kämpfen knapp 200 Athleten aus 39 Ländern um Titel. „Die WM 1999 war ein großer Erfolg – mit vielen Zuschauern, und auch die mediale Präsenz war hervorragend“, sagt Dirk Mühlstedt. Als einer der wenigen hat der Veranstaltungsmanager der Sachsen-Arena die Entwicklung des Sumos in Riesa von Anfang an miterlebt – bei der WM-Premiere noch als Cateringchef. 13 Fernsehstationen und 110 Journalisten berichten damals über die Duelle und noch lieber über das Drumherum. Die fülligen Herren mit ihren Schwabbelbäuchen, für die sogar Kleinbusse umgebaut und Toilettenbecken extra überprüft werden, machen viel her.

Auch die deutschen Sender zeigen großes Interesse, weil es Erfolge zu vermelden gibt. Der Bekannteste ist Jörg Brümmer – der Henry Maske des Sumos. Als erster Deutscher wird der frühere Weltklasse-Judoka 1998 in Tokio Amateurweltmeister, die EM-Premiere in Riesa hatte er zuvor auch gewonnen. Er tingelt durch Talkshows – von Arabella Kiesbauer bis Margarethe Schreinemakers oder Pfarrer Fliege.

„Das war eine kurze Zeit. Aber es ist nichts mehr so, wie es mal war. Das ist halt so. Wenn der Nachwuchs fehlt, was will man da machen?“, fragt sich Brümmer und klingt ernüchtert. „Wenn sich nichts ändert, werden wir in der Versenkung verschwinden“, meinte Brümmer schon 2008.

Vom Talkgast zum Erzieher

Zu dieser Zeit war er noch Bundestrainer, ehrenamtlich. Heute arbeitet der 51-Jährige als Erzieher in Frankfurt/Main. Mit Sumo hat er so gut wie nichts mehr am Hut.

Schon bevor Brümmer 2004 zurücktrat, war der Hype am Abklingen. Nur noch die Hälfte der Zuschauer kamen zur zweiten WM. „Die mediale Aufmerksamkeit war geschrumpft, und Sponsoren zogen sich zurück“, erläutert Mühlstedt. Initiator Köhler war auch längst nicht mehr in Riesa, er arbeitete nun als Staatssekretär für die sächsische Olympiabewerbung. An die letzte EM 2006 kann sich Mühlstedt kaum noch erinnern. Riesa war kurzfristig als Austragungsort eingesprungen, da der bulgarische Verband die kontinentalen Titelkämpfe zurückgegeben hatte.

Eine Neu-Auflage einer EM oder WM ist nicht geplant. „Es gibt keine Anfrage vom deutschen Verband“, erklärt der Veranstaltungschef – „und auch keinen Kontakt.“ Romenath sei die treibende Feder gewesen, betont Mühlstedt, und als sich dieser 2008 vom Präsidentenamt zurückzog, sei Sumo „relativ schnell eingeschlafen“. Mittlerweile ist Romenath nach Thailand ausgewandert und Köhler nach Florida. Auch in den besten Jahren gab es in Sachsen nie einen Sumo-Verein, lediglich der deutsche Verband hatte mal seine Geschäftsstelle in Riesa. Auf der spärlich gepflegten Internetseite erinnert nur im Impressum ein Auszug aus dem Vereinsregister an Riesa.

Weltweit hat der Ruf des Sumosports in den vergangenen Jahren mächtig gelitten. Üble Gewalt- und Wettskandale in Japan sorgen mehr und mehr für Negativschlagzeilen. Und in Europa kriselt es ebenso. Zwei konkurrierende Verbände tragen ihre eigenen kontinentalen Meisterschaften aus, für Außenstehende ist da kaum durchzublicken. „Aus der ganzen Zankerei halte ich mich komplett raus“, erklärt Ex-Sumotori Brümmer.

Die nackten Pobacken ziehen nicht mehr. Und in Riesa scheint sie auch niemand so richtig zu vermissen.