Von Daniela Pfeiffer
Hässlich, mit Graffiti beschmiert, halb zerfallen. Vor allem: völlig unscheinbar. Doch die kleine Hütte, die versteckt hinter der Görlitzer Synagoge und Heilig-Kreuz-Kirche steht, ist ein Zeitzeuge von unschätzbarem Wert. Wie bislang nur wenige in Görlitz wussten, ist sie das das einzige Gebäude, das vom einstigen KZ im Biesnitzer Grund übrig geblieben ist. Hier litten zwischen 1944 und 1945 mehr als 1 500 vornehmlich jüdische Gefangene aus ganz Europa. „Es war das größte Außenlager des KZ Groß-Rosen“, sagt Niels Seidel aus Berthelsdorf, der die Geschichte des Lagers erforscht und 2008 das Buch „Die KZ-Außenlager Görlitz und Rennersdorf 1944/45 “ publiziert hat.

Obwohl die Bedeutung des Gebäudes Baracke im Görlitzer Rathaus nicht ganz unbekannt ist, hat auch Niels Seidel erst jetzt davon erfahren. Albrecht Goetze, kürzlich zurückgetretener Initiator des Messiaen-Zentrums, war durch Zufall darauf gestoßen und hatte Seidel davon berichtet. Für Goetze ist diese „Entdeckung“ unglaublich, wie er mehrfach betonte. „Es war für mich immer traurig, dass es für das KZ keine echte Gedenkstätte gibt“, so Goetze. Bisher gibt es lediglich einen Gedenkstein auf der Fröbelstraße. „Deshalb ist diese Baracke jetzt ein echtes Geschenk.“
Dabei hat sie wohl zumindest aus ihren Anfangsjahren nicht viel Erfreuliches zu erzählen. Denn das Gebäude war eine von zwei Kranken-Baracken des Konzentrationslagers. Man muss davon ausgehen, dass hier viele Leute Qualen litten oder sogar gestorben sind. Niels Seidel hat recherchiert, wie es früher innen aussah: Es gab eine Trennwand, das haben die Häftlingsärzte nach dem Krieg bestätigt. Demnach lagen im größeren Raum die Kranken. Da das Lager unter einer gewissen Selbstverwaltung stand, hatte in dem zweiten Raum der Lagerälteste Hermann Czech sein eigenes kleines Quartier. „Er war ebenfalls ein Häftling, aber mit einigen Privilegien. Doch er war im Lager sehr unbeliebt“, so Niels Seidel. Von den übrigen Lagerinsassen ist bekannt, dass sie vor allem aus den Niederlanden, Griechenland, Rumänien und Ungarn kamen.
Errichten lassen hatte das Lager die Waggon- und Maschinenbau AG (Wumag) Görlitz, für die die meisten Insassen auch arbeiten mussten und die somit „im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie für die Kriegsproduktion ausgebeutet wurden“, wie Seidel in seinem Buch schreibt. Hart und unmenschlich sei die Arbeit gewesen – nicht selten ein Grund für Krankheit und Tod von Häftlingen. Auch wenn es eine Sanitätsbaracke gab, so waren die medizinische Versorgung mangelhaft und die hygienischen Zustände katastrophal.
Nach dem Krieg wurden die Lagergebäude nicht sofort abgerissen. Später entstand hier die Kleingartenanlage „Biesnitzer Grund“. Lauben wurden zum Teil auf dem Fundamenten der früheren KZ-Hütten errichtet. Die Sanitätsbaracke ist 1950 an den jetzigen Standort transportiert worden. „Dafür gibt es noch lebende Augenzeugen“, so Niels Seidel. „Sie waren damals Kinder, die beim Abladen der Teile vom Lkw geholfen haben.“
Auf dem Gelände der Heilig-Kreuz-Kirche diente die Baracke in den nächsten Jahrzehnten als Gemeinde- und Jugendhaus. Unter dem Namen „Don Bosco“ wurde sie als solches geweiht, berichtet Niels Seidel. Bis in die 1970er Jahre hinein fanden hier verschiedene Gemeindeveranstaltungen statt: Faschingsabende, Jugendblasorchester-Konzerte, Kommunionsunterricht. Als die beiden Kaplane und auch der Küster abgezogen wurden und ihre beiden Wohnungen in der Pfarrei frei wurden, hielt man die Veranstaltungen der Gemeinde fortan nicht mehr in der Baracke, sondern in der Pfarrei ab. Dies war in den 1970er Jahren. Seither wird die Hütte als Abstellmöglichkeit, etwa für Gartengeräte, genutzt.
Inzwischen hat der Zahn der Zeit sehr an ihr genagt, und sie droht zu verfallen. 2006 erwischte sie obendrein beim Durchzug des Sturms Kyrill ein Baum. „Unser oberstes Ziel ist zunächst, die Baracke zu erhalten“, sagt Niels Seidel. Die städtische Denkmalbehörde hat immerhin versprochen, das Gebäude winterfest zu machen. Wie es mit dem denkmalgeschützten Haus dann weitergeht, ist noch unklar.
Albrecht Goetzes und Niels Seidels Vision ist, hier eine Begegnungsstätte einzurichten. Einen öffentlichen Ort zu schaffen, an dem die KZ-Geschichte dokumentiert ist. Die Dreierkonstellation Synagoge, Kirche und Baracke sei geradezu prädestiniert für ein solches Vorhaben. „Die Baracke hat ja indirekt sogar eine Verbindung zur jüdischen Gemeinde“, so Seidel. Albrecht Goetze sagte kurz vor seinem Rückzug: „Wir würden der Stadt mit so einer Gedenkstätt e ein riesiges Geschenk machen. Die Achtung vor der Stadt Görlitz würde sicher steigen, hätte sie neben einer sanierten Synagoge auch noch einen solchen Begegnungsort.“
Niels Seidel: „Die KZ-Außenlager Görlitz und Rennersdorf 1944/45. Ein Beitrag zur Aufarbeitung der Geschehnisse im KZ Groß-Rosen“
Zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus findet am 27. Januar um 13 Uhr am Mahnmal auf dem Wilhelmsplatz eine Kranzniederlegung statt. Dazu laden die Stadt Görlitz und der Verband der Verfolgten des Naziregimes (VVN) ein.