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Shakespeare winkt mit dem Grenzpfahl

Das Sommertheater im Bärenzwinger lockt mit den „Sündigen Hexen“ Liebhaber der gewitzten Sprache.

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Sie deklamieren mit Wortwitz: Vier Schauspielerinnen und ein Schauspieler wechseln mehrfach die Rollen in den „Sündigen Hexen“ im Dresdner Bärenzwinger.
Sie deklamieren mit Wortwitz: Vier Schauspielerinnen und ein Schauspieler wechseln mehrfach die Rollen in den „Sündigen Hexen“ im Dresdner Bärenzwinger. © Sommertheater Dresden

Von Alexander Stark

Die politische Korrektheit hat in der Hölle Einzug gehalten. Fluchen ist nur noch bedingt erlaubt, statt „gottverdammte Scheiße“ hat man jetzt „hochverdammte Scheiße“ zu grummeln. Außerdem ist der Teufel auch noch mit einer Sinnkrise belastet, er versagt an dem Leistungsdruck „überdämonisch“ zu sein und kann sich der romantischen Gefühle einer Hexe immer weniger erwehren. Und dann soll er auch noch ein ganzes Land ins Chaos stürzen. Chaos wird es auf allen Seiten geben beim Sommertheater im Dresdner Bärenzwinger.

Ein Genuss sind die Monologe

Das Bühnengeschehen, welches Regisseur Peter Förster lose aus Shakespeares „König Lear“ adaptiert, bezieht seine Qualitäten vor allem aus der Sprache. Die Dialoge, oft in Reimform vorgetragen, laden Literaturkenner zu einer kleinen Schatzsuche ein. „Sie hört nur mit dem Herzen, nicht mit dem Verstand“ erklingt als eine Gegenthese, die Kant dem kleinen Prinzen vorlegen könnte, und die „schöne neue Hölle“ vollführt den Schulterschluss mit Huxleys Dystopie. 

Doch die Teufel und Hexen sehen sich nicht in ihren finsteren Machenschaften behindert. Der englische König gedenkt die Krone abzulegen, um in Rente zu gehen, statt in den Dolch eines Attentäters zu laufen. Er muss aus seinen Töchtern eine Nachfolgerin erwählen und trifft die schlechteste Entscheidung: 

Die ihn liebende Cordelia schickt er ins Exil, die machtbesessenen Schwestern Goneril und Regan müssen sich die Herrschaft teilen, woran das Reich zu zerreißen droht. Und die Wahl des Teufels zum Speaker ist mehr als kontraproduktiv.

Leider ist der Abend zu zurückhaltend inszeniert. Es gibt nur wenig Aktion, die Akteure stehen meist starr zum Publikum gewandt, die Blicke über dessen Köpfe gerichtet. Zudem wirken manche Szenen, als wären sie einzig ein Intermezzo, um dem Ensemble hinter der Bühne Zeit für das Umkleiden zu verschaffen. 

Die vier Darstellerinnen und der für die Männerquote sorgende Simon Fleischhacker springen zwischen jeweils drei verschiedenen Rollen überzeugend umher. Vor allem Anna Trimper begeistert mit Wandlungsfähigkeit. Säuselt sie als kindliche Hexe noch mit hoher Stimme, bricht später aus ihrem König ein tiefes Gebrüll hervor, welches sie vor Jähzorn zitternd auf die Töchter niederspuckt. 

Doch der Witz zeigt sich leider vor allem in der Sprache und nicht im Spiel. Komödien mit ihrer Verpflichtung für Lacher sind prädestiniert für einen rein vom Geschmack abhängenden Erfolg, und es hätte auch die „Sündigen Hexen“ erwischen können.

So zwängt sich Anne Grünig ständig durch eine enge Burgpforte, die mit einer Ausbuchtung für das Gesäß ausgestattet ist. Für einige Zuschauer funktioniert diese eigentlich doch nur infantile Idee tatsächlich als Running Gag.

Aber Regisseur Peter Förster hütet sich davor, nur eine Humorzone zu bedienen. Ein echter Genuss sind die Monologe, die ein ausgiebiges Bad in der deutschen Sprache nehmen. Grünigs Regan erhebt sich beispielsweise in einer erotischen Erörterung zum Thema „es flutscht“ in die Höhen sinnlicher Eloquenz.

Zu oft zu nah am Kabarett

Sommertheater hin oder her: Leider geraten die Dialoge häufig zum Kabarett, gespickt mit zahlreichen Querverweisen auf das aktuelle Zeitgeschehen. Die Geschichte über ein Großbritannien, welches sich nationalistisch von der Außenwelt abschottet, ist ein großzügig bedienter Wink mit dem Grenzpfahl. Das Stück ist im Grundton proeuropäisch und schlussendlich ein Appell an die Vernunft. Die Aufklärung findet nicht für die pubertierende Junghexe statt, auch die absolutistisch denkende Königsfamilie wird über die Philosophie einer weltoffenen Regierung unterrichtet.

„Sündige Hexen“ im Bärenzwinger Dresden bis 15. 8. und vom 20. 8. bis 1. 9. täglich außer Montag, 20 Uhr, Kartentel.: 0351 2126 723