In einer italienischen Gerberei hatte Bernd Wacker sein Aha-Erlebnis. Eigentlich war er gekommen, um das mittelständische Unternehmen zu beraten. Wie er so viele Firmen dieser Größe unterstützt. Wacker hat zusammen mit seinem Geschäftspartner Wolfgang Coutandin eine Beratungsgesellschaft in Herzogenaurach. Doch dann sah er die Haufen von Lederabfälle. Kleine Lederfasern, die beim Hobeln entstehen, um das Material auf eine gleichmäßige Stärke zu bekommen. Mit den Abfällen weiß bislang niemand etwas anzufangen, sie werden verbrannt.
Zu Hause im bayrischen Herzogenaurach zog sich Wacker in seine Garage zurück und begann zu experimentieren. Das war im Mai vergangenen Jahres. Ein knappes halbes Jahr später hatte er aus den Abfällen einen speziellen Schaumstoff hergestellt, der gut den Schall dämmt und für Polster aller Art zu verwenden geht. Bislang wird dafür vor allem Polyurethan-Schaum verwendet, der auch aus Erdöl besteht und nach seiner Verwendung als Sondermüll zu entsorgen ist. Wackers Schaumsstoff hingegen verspricht umweltfreundlich, recyclingfähig und ökologisch nachhaltig zu sein.
Zusammen mit seinem Geschäftspartner Coutandin gründete er die Eco-Softfibre GmbH & Co KG, die seit ein paar Wochen das erste Start-up auf dem Innovationscampus von Siemens in Görlitz ist. Der Anstoß für den Sprung von Bayern nach Görlitz lieferte dem gebürtigen Zittauer Bernd Wacker ein Anruf bei seiner alten Hochschule. 1992 verließ Wacker als letzter Jahrgang mit dem Abschluss eines Diplom-Elektroingenieurs die Technische Hochschule in Zittau. Seine Eltern wohnen immer noch in der Gegend, so bestand eine Affinität zur Region. In Zittau bekam er nun bei seinem Anruf den Tipp, dass in Görlitz der Innovationscampus für Firmen ein guter Nährboden sein könnte. Das stellte sich als goldrichtig heraus, als er Innovationsmanager Christoph Scholze anrief.
Der freut sich natürlich über Wackers Firma. Und kann ihr auch einige Vorteile einräumen: Niedrige Miete für Labor und Büro im ersten Jahr, Unterstützung bei Personalsuche, Vernetzung mit der Wirtschaftsförderung und lokalen Politik. Für Wacker gab das den Ausschlag nach Görlitz zu kommen.
Für den Innovationscampus ist das nur der Anfang. Hier soll mit dem Innovation Lab eine Art Co-Working-Zone entstehen, wo Wissenschaftler von Institutionen wie Fraunhofer, TU Dresden und Handelshochschule Leipzig mit den Unternehmensgründern Hand in Hand arbeiten. Nach den großen Ankündigungen von Siemens, aber auch der sächsischen Landesregierung im vergangenen Jahr, hat Scholze nun erste Erfolge vorzuweisen. Neben eco-softfibre verhandelt er auch mit weiteren Firmengründungen. "Diese kommen aus der Wasserstoff- und Solar-Branche", sagt Christoph Scholze. Zudem will eine Firma aus London, die sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt, auf den Campus ziehen. Die TU Dresden wiederum plant hier ihren Zweigcampus Anfang nächsten Jahres zu eröffnen.
Bernd Wacker hat jetzt zwei Mitarbeiter eingestellt, mit denen er wie in einer Manufaktur erste Demonstrations-Schaumstoffmatten produzieren wird. Schon jetzt ist er im Gespräch mit Autofirmen, Innenarchitekten und Malern, um an ausgewählten Produkten und Objekten seinen Schaumstoff auszuprobieren und so zu zeigen, dass er wirklich Polyurethan ersetzen kann. Das können beispielsweise alle Räume sein, wo viele Menschen zusammentreffen und daher Schallschutz wichtig ist. Beispielsweise Schwimmhallen, Büros, Cafeterias und Restaurants. Aber auch für Polstermöbel, Matratzen oder Sportartikel sieht Wacker Möglichkeiten für seinen Schaumstoff.
Wird die Wirtschaft auf die Schaumstoffe aufmerksam, dann planen Wacker und sein Geschäftspartner eine kleine Produktion aufzubauen. "In zwei Jahren könnte es soweit sein", schätzt Wacker. Auf 2.000 bis 5.000 Quadratmeter schätzt er die mögliche Jahresproduktion. Das ist nicht viel. Aber in Deutschland gibt es nur rund zehn große Gerbereien. Deren Lederabfälle reichen, um fünf Prozent des Polyurethans zu ersetzen.
Für den Siemens-Campus sind das ermutigende Signale. Davon hörte jetzt auch der Vorstandsvorsitzende von Siemens Energy, Christian Bruch. Der 50-Jährige besuchte auch den Görlitzer Standort im August. Er ist derzeit auf einer Tour durch sein neues Unternehmen, dessen Chef er seit Anfang Mai erst ist. "Ich bin ein großer Freund von Werksbesichtigungen, schließlich wird dort das Geld verdient - oder versenkt", zitiert ihn das Hamburger Magazin "Der Spiegel" in seiner jüngsten Ausgabe. Nach der jüngsten Serie von Betriebsbesichtigungen kündigte Siemens Energy an, die Zahl der Standorte zu verringern. In Weiz (Österreich), wo Siemens große Kraftwerkstransformatoren herstellt, erklärte Bruch dem "Spiegel": "Wir müssen Strukturen verschlanken, die Abläufe straffen und den ineffizienten Ballast aus unseren Prozessen entfernen."
Görlitz aber soll davon nicht betroffen sein. Wer Bruch in Görlitz erlebte, der schildert anschließend einen Unternehmenschef, der sehr genau hinschaute und sich informierte. Görlitz ist die weltweite Zentrale der Industriedampfturbinen. Zugleich baut Siemens mit dem Innovationscampus zusammen mit Partnern neue Produkte und Geschäftsmodelle auf. "Das passt gut in die Philosophie der Neuausrichtung von Siemens Energy", hieß es anschließend aus Unternehmenskreisen.
Um diese Netzwerke weiter auszubauen, finden im September auch spezielle Treffen von Firmengründern sowie sächsischer Industriestandorte beim Innovationscampus statt. Diese Kontakte findet auch Bernd Wacker nützlich. Und wer weiß, vielleicht stellt er eines Tages seine Schaumstoffe tatsächlich in Görlitz her.