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Sitzen die Falschen im Stadtrat?

Nach der Wahl gibt es einige kritische Stimmen. Das Wahlsystem sei ungerecht, heißt es.

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Von Jens Fritzsche

Am Ende tat er irgendwie allen leid. Philipp Schnabel, der bei der Radeberger Stadtratswahl für die Piraten angetreten war, hatte immerhin 723 Stimmen bekommen – und doch keinen Sitz im neuen Stadtrat. Und sowohl Detlev Dauphin, der Chef der Freien Wähler, wie auch Radebergs OB Gerhard Lemm (SPD) meldeten sich nach der Wahl bei Philipp Schnabel und trösteten ihn. „Er hat sich wirklich sehr engagiert, um ihn tut es mir richtig leid“, sagte Dauphin nach der Wahl zur SZ.

Was viele Wähler verwundert: der Pirat sitzt mit 723 Stimmen nicht im Stadtrat, aber zum Beispiel Andreas Känner für die CDU-Fraktion schon – obwohl er „nur“ 180 Stimmen auf sich vereinen konnte. Wie überhaupt Philipp Schnabel nach Stimmen gerechnet auf Platz 7 rangiert –  heißt, die übergroße Mehrheit derjenigen, die künftig im Stadtrat sitzen werden, haben weniger Stimmen als er erzielt. Ein Thema, das aber nicht nur im Stadtrat eine Rolle spielt. Auch in den Ortschaftsräten zeigt sich ein ähnliches Bild: So bekam beispielsweise Dr. Cordula Heß von der SPD in Großerkmannsdorf 222 Stimmen und trotzdem keinen Platz im Ortschaftsrat. Die zehn zu vergebenden Sitze gingen allesamt an die Freien Wähler. Und so sitzen dort beispielsweise Thomas Müller, Norbert Muschter und Jan Pospischil, die zusammen nur wenig mehr Stimmen als Cordula Heß alleine erhielt…

„Schuld“ an diesen Ergebnissen ist das Wahlsystem in Sachsen. Das rechnet auch bei einer Personenwahl wie der Stadtratswahl quasi dennoch alle Stimmen für eine Partei oder Wählervereinigung zusammen, und zählt dann aus, wie viele Sitze diese Summe für jede Partei ausmacht. Und diese Sitze gehen dann an die Kandidaten der Parteien, die innerhalb ihrer Wahlliste die meisten Stimmen bekommen haben. Heißt, weil der Pirat in Radeberg als Einzelkämpfer an den Start gegangen war, konnten für ihn nur seine Stimmen gezählt werden. Bei den anderen zählten alle Stimmen, die für die jeweiligen Kandidaten der einzelnen Parteien abgegeben wurden. So reicht es eben beispielsweise für Rolf Daehne von den Grünen mit 690 Stimmen für einen Sitz – weil die Grünen mit vier Kandidaten ins Rennen gegangen sind und insgesamt 1 267 Stimmen holten. Das sind letztlich eben tatsächlich 544 „grüne“ Stimmen mehr als jene 723 „Piraten-Stimmen“. Und im Großerkmannsdorfer Ortschaftsrat gab‘s für alle 14 Kandidaten der Freien Wähler insgesamt 2 424 Stimmen – also im Prinzip elf Mal mehr als für die eine SPD-Kandidatin.

So gesehen ist die Sitzverteilung zumindest mit Blick auf die für die Parteien abgegebenen Stimmen doch gerecht. Die CDU kam dabei auf 8 062 Stimmen, die Freien Wähler auf 4 655 Stimmen, die SPD auf 4 553 Stimmen, die Linken auf 2 964 Stimmen und die Grünen auf 1 267 Stimmen. Das macht zehn Sitze für die CDU, jeweils sechs für die Freien Wähler und SPD, drei für die Linken und einen für die Grünen. Würde man nur die Stimmen für jeden einzelnen Stadtratskandidaten im Blick haben, würden ja quasi jede Menge für die Parteien insgesamt abgegebene Stimmen unter den Tisch fallen. Auch das wäre ja nicht wirklich gerecht, kontern die Befürworter des aktuellen Wahlsystems. Zudem, sagen sie, stehe es ja schließlich jeder Partei frei, möglichst viele – und zudem möglichst bekannte – Kandidaten aufzustellen. Immerhin muss beim Blick auf das Thema eingeräumt werden, dass CDU-Spitzenkandidat Frank-Peter Wieth mit seinen 2 281 Stimmen fast allein so viele Stimmen hatte wie die beiden besten SPD-Leute Karin Saupe und Gabor Kühnapfel zusammen…