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So brennt die Hölle

Wer schafft das schärfste Chili? Unser Autor stellt sich beim Wettbewerb in einem Dresdner Restaurant.

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© Wolfgang Wittchen

Von Tobias Wolf (Text) und Wolfgang Wittchen (Fotos)

Die Augen tränen, aus der Stirn bricht ein Wasserfall hervor. Nur langsam weicht die bleierne Taubheit aus der Zunge. Tapfer führe ich den Löffel wieder an die Lippen. Wie glühendes Eisen tropft die Kürbissuppe im Rachen hinab. Egal, Augen zu und durch. Nach dem vierten Löffel beschleichen mich ernste Zweifel. War das eine gute Idee, beim 7. Scharf-Ess-Wettbewerb im Dresdner Restaurant Devils Kitchen (Teufels Küche) mitzumachen und dabei ein Sechs-Gänge-Menü zu verspeisen? Klar, Chilis sind was Feines, beim Thailänder gibt es immer Gerichte mit den härtesten Schoten. Ist ja gut für die Gesundheit.

Gang eins: Es fing an mit einem Salat. Tomaten, Gurken und Chilis sind lecker. Die Zunge brennt ein bisschen bei 100.000 Scoville.
Gang eins: Es fing an mit einem Salat. Tomaten, Gurken und Chilis sind lecker. Die Zunge brennt ein bisschen bei 100.000 Scoville. © Wolfgang Wittchen
Schnappatmung beim Gang vier: Schwindel, Schweißausbrüche gehören wohl dazu, wenn man Essen mit 500.000 Scoville verköstigt.
Schnappatmung beim Gang vier: Schwindel, Schweißausbrüche gehören wohl dazu, wenn man Essen mit 500.000 Scoville verköstigt. © Wolfgang Wittchen
Sehen eigentlich nett aus, tun aber verdammt weh: Habaneros, Chilis, Japalenos.
Sehen eigentlich nett aus, tun aber verdammt weh: Habaneros, Chilis, Japalenos. © Wolfgang Wittchen

Nun schwant mir, dass alles, was ich bisher kannte, ein Witz ist. Löffel fünf: Die Stimme ist weg. Habe ich gerade eine Flasche Rohrreiniger in meinen Hals geschüttet? Sogar eine Maßeinheit gibt es für das Grauen: Scoville. Die drückt aus, wie viel Capsaicin in der getrockneten Frucht enthalten ist, also wie weh ein Essen am Ende tun kann. „Handelsübliche Schoten haben vielleicht 5.000 Scoville, wir servieren Gerichte mit bis zu einer Million“, hatte mich Wirt Daniel Jentschke vorab gewarnt. Was ist schon handelsüblich? Normale Chilis esse ich wie andere saure Gurken.

Ein ungutes Gefühl kommt erst, als sich der Wirt unterschreiben lässt: Wettessen nur auf eigene Gefahr. Herzrasen, Bluthochdruck oder Kreislaufzusammenbrüche sind bei solchen Wettbewerben schon vorgekommen. Und: Der Gully auf der Straße ist schneller erreicht, als die Toilette, falls einem übel wird. Außerdem darf man weder Milch, Brot noch Öl zu sich nehmen, um die Schärfe zu neutralisieren – der Chancengleichheit wegen. Von einer Chance kann längst keine Rede mehr sein. Mit der Suppe könnte man wahrscheinlich alte Holzmöbel abbeizen, so feurig kommen ihre 200.000 Scoville daher. Die Tasse ist fast leer, eine Packung Taschentücher ebenfalls. Egal ob Auge, Stirn oder Nase: alles wässert. Mundhöhle und Rachen stehen dagegen unlöschbar in Flammen. Wie wird sich wohl das zweite „Brennen“ am nächsten Tag erst anfühlen. Mein Erkältungsfrosch im Hals ist längst abgehauen.

100.000 Scoville? Lächerlich süß!

Mit Ein- und Ausatmen zu kühlen ist sinnlos, weil die Luft das Feuer nur anheizt. Selbst die eisige Cola hilft nur für ein paar Sekunden. Der erste Gang, ein gemischter Salat mit heftigem Chili-Dressing und etwa 100.000 Scoville, wirkt inzwischen wie eine lächerlich-süße Nachspeise. Aber Aufgeben gilt nicht, noch nicht. Zumal alle anderen auch weiteressen. Zwei Frauen und vier Männer sind zu diesem Wettkampf angetreten. Gerald ist vielleicht Ende vierzig. Er hat schon mehrmals teilgenommen, noch nie gewonnen, kennt aber den Gully schon ganz gut, verrät der Wirt. Da ist Maria aus Radeberg, Mitte dreißig, schmal mit blonden langen Haaren. „Ich esse auch zu Hause immer scharf“, sagt sie und wirkt entschlossen. Sie hat ihre Mutter dabei. Zur Sicherheit, falls Maria wegklappt? Meine uneingeschränkte Hochachtung wird ihr erst später gehören. Dame Nummer zwei schweigt. Ein Profi?

Jetzt kommt Gang Nummer drei. Zwei niedliche Bruschettas, Weißbrote belegt mit Kräuter-Gemüse-Quark und einer roten Mixtur namens Salsa, dazu ein kleiner Salat, 300.000 Scoville. Jetzt wird es interessant. Ursprünglich ging ich davon aus, nur zwei Gänge zu schaffen. Die Suppe brennt noch im Hals, als das erste Weißbrot in meinen Mund wandert. Ist da überhaupt Chili drauf? Nach der Suppe scheine ich nichts mehr zu fühlen. Kann man eine Zunge ausbrennen? Nur Sekunden später bricht erneut der Schweiß aus, die Ohren kribbeln, so schnell schießt das Blut in den Kopf. Jetzt bloß nicht ins Auge fassen oder an der Nase kratzen. Schließlich werden die putzig-heftigen Teile mit der Hand gegessen. Vorsichtig drehe ich mich um. Maria wirkt völlig unbeeindruckt. In Daniel Jentschkes Händen naht schon Gang Nummer vier: ein Chili con Carne ohne Fleisch in Tortilla-Blüte. Schon der Duft haut mich fast um. Gerade noch rechtzeitig entdecke ich oben drauf einen Haufen reines Chili-Pulver, schiebe es verstohlen zur Seite.

Der Magen bläht sich noch vom letzten Gang, als ich den ersten Happen wage. „Ach du Sch...“, denke ich. Es brennt, als hätte jemand einen Kanister Benzin in meinem Mund ausgeleert und ein Streichholz hinterher geworfen. 500.000 Scoville lassen die Schädeldecke beben. Die Lunge rasselt. Noch ein Löffel. Die Schmerzen sind fast unerträglich. Aber irgendwie muss ich da durch. Der erste Wettbewerber verabschiedet sich zum Übergeben aufs Klo. Auch Gerald, der Erfahrene gibt auf. Nach der Hälfte der scharfen Pampe ist für mich Feierabend. Schnappatmung, Schwindel, Zittern, Wasserfall auf der Stirn: Noch nie hat mich Essen körperlich so gefordert. Maria ist immer noch unbeeindruckt. Dame Nummer zwei liegt bäuchlings auf ihrer Bank und stöhnt, nachdem sie eine Viertelstunde auf der Toilette war. Aufgeben wollen beide Frauen nicht. Der letzte echte Kerl, ein junger Mann, scheitert am nächsten Gang, einem Gemüseburger mit 1.000.000 Scoville. So muss die Hölle brennen.

Als den letzten Überlebenden die Nachspeise serviert wird, klingt der Schmerz in meinem Hals langsam ab. Das Dessert entpuppt sich als Schokomousse mit reichlich Chilipulver, obendrauf eine frische Schote, die keine Deko ist. Dame Nummer zwei wankt erneut zum Klo. Maria hat sich von dem Burger offenbar erholt und isst ungerührt weiter. Eine Viertelstunde vergeht, bis Dame Nummer zwei wieder zurück ist. Kurz hatte ich mir Sorgen gemacht. Die Schote schneidet sie in kleine Stücke und rührt sie wie Früchte unter. Unfassbar. Nach dem letzten Löffel gibt es Applaus für die Gewinnerinnen. Der Preis: ein Essensgutschein, selbst gemachte Chilisaucen vom Wirt und das Wichtigste: feuchtes Toilettenpapier für den Folgetag. Maria sagt: „Nie wieder.“ Ob bei ihr der Nachbrenner auch (nur) dreimal gezündet hat?