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„So etwas wie Crystal hat niemand im Griff“

Konsumenten behaupten, mit dem Stoff klarzukommen. Sven Richter widerspricht. Als Arzt hat er täglich mit den Folgen zu tun.

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Alle Zahlen belegen: Crystal ist in Sachsen erschreckend auf dem Vormarsch. Fast täglich werden an den Grenzen Schmuggler aufgegriffen. Welche Folgen die Droge hat, zeigt sich vor allem im sächsischen Fachkrankenhaus Großschweidnitz: Die Suchtstation bietet gar nicht so viele Plätze, wie für die Behandlung nötig wären. Die SZ sprach mit Oberarzt Sven Richter.

Herr Richter, in einem SZ-Beitrag behauptet ein Banker, seit Jahren mit Crystal-Konsum klarzukommen. Wie glaubhaft ist das eigentlich?

Eine Zeit lang mögen Konsumenten ihren Alltag tatsächlich im Griff behalten. Bei Crystal gilt wie bei allen Drogen: Man weiß nicht, wie schnell und stark beim Einzelnen die Folgeschäden auftreten. Die Folgen haben es in sich – gerade bei Crystal.

Was droht den Konsumenten?

Wir haben oft mit massiven psychischen Folgeschäden zu kämpfen. Viele Konsumenten haben ausgeprägte Halluzinationen oder Wahnvorstellungen. Sie hören Stimmen, fühlen sich verfolgt oder beobachtet. Manchmal führt die Droge auch zu Denkstörungen, sodass die Patienten nur noch sprunghaft denken, zerfahren sind oder Gedanken nicht zu Ende bringen können. Es kommt regelmäßig zu Konflikten in der Familie, zu Problemen in der Schule und in der Ausbildung, zu Straftaten mit entsprechenden Konsequenzen.

Gilt das nur für die Zeit des Konsumierens oder dauerhaft?

Anfangs treten die psychischen Probleme in der Regel nach der Crystal-Einnahme auf. Wir haben aber auch viele Suchtpatienten, die unter psychischen Störungen noch deutlich später leiden – obwohl sie mit Medikamenten behandelt werden und teilweise schon länger abstinent sind.

Wie kann man den Leuten helfen?

Bei uns in Großschweidnitz sollen die Patienten zuerst entgiftet und stabilisiert werden. Ziel ist der Motivationsaufbau, damit sie stationäre oder ambulante Nachsorgemöglichkeiten nutzen, zum Beispiel bei einer Suchtberatung oder einer Selbsthilfegruppe. Ein Aufenthalt in der Suchtstation dauert in der Regel vier Wochen. Allerdings bricht etwa die Hälfte der Patienten die Behandlung vorfristig ab.

Warum brechen so viele Süchtige ab?

Ein Grund ist die fehlende Krankheits- und Behandlungseinsicht und die mangelnde Motivation vieler Betroffener. Ein anderer das Verlangen, die Droge wieder zu konsumieren. Auch disziplinarische Gründe können zu einem Abbruch der Behandlung führen: Wenn es etwa zu verbalen oder handgreiflichen Entgleisungen gegenüber Mitpatienten oder dem Personal kommt.

Woran erkenne ich als Angehöriger, dass jemand Crystal konsumiert?

Sporadischen Konsum dürften Angehörige anfangs kaum bemerken. Es fällt auf, dass Betroffene plötzlich geistig wacher und körperlich fitter wirken und ganze Nächte durchmachen können. Irgendwann kommt eine Phase der Erschöpfung. Weitere Auswirkungen folgen schleichend: etwa eine Gewichtsabnahme, weil Crystal Hunger unterdrückt. Der Stoff verursacht Hautveränderungen wie Akne, später kann Zahnausfall dazu kommen. Konsumenten haben häufig ihre Gesichtsmuskeln nicht mehr unter Kontrolle. Das Stillhalten von Kopf, Armen, Beinen fällt schwer.

Was hilft gegen die Droge?

Das Wichtigste ist Aufklärung über die Folgen. In Sachsen haben wir das Problem, dass Crystal leicht zu beschaffen ist, noch leichter jenseits der tschechischen Grenze. Der Schmuggel ist viel zu leicht. Dazu kommt der liberale Umgang mit Drogen in Tschechien. Eine weitere Liberalisierung, auch in Deutschland, würde das Problem nur noch verschlimmern. Konsumenten behaupten zwar häufig, die Droge im Griff zu haben. Doch das hat niemand! Irgendwann ist das ganze Leben auf Crystal ausgerichtet. Und dann kommt der Absturz.

Gespräch: Christoph Scharf.