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„Soll und Haben hatten wir früher auch“

Eva Köhler, Chefin der Bürgschaftsbank Sachsen, geht in den Ruhestand. Sie hat sich in der Männerdomäne behauptet – und viele Jobs geschaffen.

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Von Michael Rothe

Wenn Eva Köhler am nächsten Mittwoch nach 20 Jahren ihren Chefsessel bei der Bürgschaftsbank Sachsen (BBS) räumt, werden das vor allem ihre 77 Mitarbeiter zu spüren bekommen. Weniger die Öffentlichkeit und die Hunderten Unternehmen, denen das Förderinstitut bei Geburt, Wachstum oder Überleben half. Zum einen war die Noch-Chefin vor allem für die innerbetriebliche Organisation von Deutschlands viertgrößter Bürgschaftsbank zuständig. Und: „Frau Köhler hat im Gegensatz zu manch männlichem Banker ein extrem niedriges Geltungsbedürfnis“, sagt der Chef der Dresdner Handwerkskammer und BBS-Verwaltungsrat Andreas Brzezinski.

Die gelernte Industriekauffrau und studierte Ökonomin ist seit 1992 Geschäftsführerin der Bürgschaftsbank. Ein rasanter Aufstieg der früheren kaufmännischen Leiterin im Dresdner VEB Ostra, dem einzigen Hersteller von Molkerei-Hilfsstoffen in der DDR. „Nach der Wende wollte ich schnell einen Neuanfang und habe auf eine Stellenanzeige der Bürgschaftsbank geantwortet“, erinnert sie sich. Mit Erfolg. Zwar sei sie mit der politischen Ökonomie des Sozialismus groß geworden, „aber umlernen musste ich nicht“, sagt Köhler. „Soll und Haben hatten wir früher auch.“ Das Rüstzeug für die Marktwirtschaft habe sie sich in diversen Wochenendlehrgängen geholt.

Die Kreditsachbearbeiterin mauserte sich zur Prokuristin und Chefin. Als solche er- und überlebte die Frau aus Geringswalde bei Döbeln drei Männer als Co-Geschäftsführer. Im Tandem führten sie die Bürgschaftsbank. Diese Selbsthilfeeinrichtung der gewerblichen Wirtschaft versorgt seit 1990 mit öffentlicher Förderung kleine und mittlere Unternehmen mit Bürgschaften für Kredite, die Hausbanken sonst nicht geben würden. Bund und Land beteiligen sich mit Rückbürgschaften am Risiko. Die Doppelspitze steht in Personalunion auch der öffentlich geförderten Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Sachsen vor. Ihr Ziel: Verbesserung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen.

Köhlers Bilanz kann sich sehen lassen: Mit rund 11000 seit 1992 bewilligten Bürgschaften im Volumen von 1,6 Milliarden Euro wurden 165000 Arbeitsplätze geschaffen und erhalten. Die Bank selbst wuchs mit den Aufgaben: Risikoübernahme bei Existenzgründungen und -festigungen, bei Wachstum und immer mehr bei Übernahmen. Beim Start hatte die Bank vier Mitarbeiter. Heute sind es fast 20Mal so viel, davon drei Azubis.

Von der SZ befragt, worauf sie besonders stolz sei, kommt die Frau, die sonst um keine Antwort verlegen ist, ins Grübeln. Das könne sie gar nicht sagen. Alles gehe ineinander über, „und außerdem ist alles ein Gemeinschaftswerk und nicht mein Verdienst“. Wie sagt doch Dresdens Handwerkskammerchef Brzezinski: „Eva Köhler ist bescheiden und macht still ihr Ding.“

So überlässt die Frau der ersten Stunde bei ihrer letzten Bilanzvorlage am Freitag dann auch ihrem Mit-Geschäftsführer Markus H. Michalow das Feld: „Wir haben 2011 mit Bürgschaften über 58,4 Millionen Euro 428 Vorhaben ermöglicht – ein Plus von über 20 Prozent“, sagt er. Das Neugeschäft habe Investitionen von 124 Millionen Euro bewirkt. Unterm Strich stünden „über 7700 Arbeitsplätze, die durch die Unternehmen in Begleitung durch uns und die Hausbanken geschaffen oder gesichert wurden“ – vor allem im Handel und im Handwerk. Von der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft angestoßene Investitionen von gut 20Millionen Euro stehen für weitere 1200 Jobs in der Industrie. Ihre Bedeutung als „wichtiger Finanzierungspartner der Wirtschaft“ hat sich die Bürgschaftsbank durch eine Studie der Handelshochschule Leipzig bescheinigen lassen, „statt einer Feier zum 20. Jubiläum“, wie Chef Michalow sagt.

Das Förderinstrument sei einsetzbar in der Krise, im Aufschwung und in jeder anderen Finanzierungssituation, heißt es dort. Die Bürgschaften hätten Sachsens Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller produzierten Waren und Dienstleistungen, bislang um 4,7 Milliarden Euro erhöht und 19000 zusätzlich Beschäftigte ermöglicht. Fehlende Sicherheiten sind laut Michalow oft der Grund, weshalb Kleinbetriebe Investitionsvorhaben und Ideen nicht umsetzen können. Er erwartet, dass der Bedarf an Bürgschaften und Beteiligungen steigt – weil die Investitionszulage wegfällt und andere Förderungen eingeschränkt werden.

„Aus Sicht des Freistaats und verglichen mit anderen Veranstaltungen sind wir eine komfortable Einrichtung“, ergänzt Volker Schmitz, Michalows neuer Sozius. Die Ausfallquote sei mit zuletzt 1,5 Prozent sehr gering. Die 2011 geplatzten 62Bürgschaften hätten den Steuerzahler wegen der Lastenteilung auf Staat und Privatwirtschaft nur 1,5 Millionen Euro gekostet. Der 47-jährige Ex-DZ-Banker Schmitz wird bald Eva Köhlers Büro in der Stadtvilla im Dresdner Osten beziehen.

Die Ausziehende, der man ihre 65 Lenze nicht ansieht, kann nach eigenem Bekunden loslassen. „Ich freue mich auf viel Zeit für Tochter, Enkelin und Dinge, die lange nicht stattfanden: Schwimmen, Radfahren, Laufen“, sagt Eva Köhler. „Wegen des Schaltjahrs muss ich nun auch noch einen Tag länger machen“, empört sie sich. Und lacht.