SZ +
Merken

Sorge um die Kälber

Die Landwirte bekommen zu wenig Geld für ihre Milch. Ändert sich das nicht, sind Arbeitsplätze und Tiere gefährdet.

Teilen
Folgen
NEU!
© Egbert Kamprath

Von Maik Brückner

Osterzgebirge. Angst von Kälbern hat Wilfried Menzer nicht. Geschwind öffnet der 62-Jährige die Tür zum Stall und schon nuckelt eines der Kälbchen an seinen Fingern und lutscht. „Die suchen ein Euter“, sagt er, lächelt und streichelt dem erst zweiwöchigem Kalb übers Fell. Er mag die Tiere. „Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden. Als Kind habe ich noch vor der Schule die Rinder gefüttert“, sagt er. Das hat ihn geprägt und letztlich dazu geführt, dass er Landwirt geworden ist, Agrarwissenschaft studiert hat und heute als Vorstand die Agrargenossenschaft Reinholdshain führt. Mit gut 40 Beschäftigten gehört sie zu den größeren Landwirtschaftsbetrieben im Osterzgebirge. Wilfried Menzer möchte, dass das so bleibt. Doch seit Monaten treiben ihn ganz andere Gedanken um.

Wie lange können wir noch die Kälber halten? Werden sie – so wie ihre Mütter – in gut zwei Jahren in der Milchviehanlage Oberhäslich Milch geben? Oder muss ich sie doch noch zum Schlachthof führen? Dieses Horrorszenario könnte die Reinholdshainer wirklich ereilen, wenn der Milchpreis weiter so niedrig bleibt. Seit Monaten bekommt Menzers Genossenschaft gerade mal 25 Cent für einen Liter. „Das ist existenzbedrohend“, sagt er. Um kostendeckend zu arbeiten, bräuchte er mindestens 33 Cent pro Liter. Und nicht nur seiner Firma geht das so. Henryk Schultz, der Vorsitzende des Regionalbauernverbandes Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, weiß, dass andere Milchbauern ähnliche Probleme haben. Je nach Größe und finanzieller Lage – manche Betriebe haben in den letzten Jahren investiert und müssen nun Kredite abzahlen – bräuchten die Landwirte mindestens zehn Cent pro Liter mehr.

Zwar schwankte der Milchpreis in der Vergangenheit schon oft. Doch so lange wie jetzt war er noch nie auf so einem niedrigen Niveau. „Es ist zu viel Milch auf dem Markt“, sagt Menzer. Und was zu viel sei, bringe kein Geld, ergänzt er. Die Gründe für den Preisverfall sind vielfältig. „Milch ist heute ein Weltmarktprodukt“, sagt Menzer. Deshalb wirken sich Krisen auf anderen Kontinenten bis ins Osterzgebirge aus. Die Hauptursachen sieht der Bauernverband in der schwächelnden Konjunktur in China und im Russland-Embargo. Die deutschen Molkereien exportieren daher weniger Milch und Milchprodukte ins Ausland. Das führt dazu, dass in Deutschland zu viel Milch produziert wird. Und das nutzen die großen Handelsketten aus, um die Preise gegenüber den Molkereien zu drücken. Und die machen es mit den Landwirten, denen keine Wahl bleibt. Denn sie können die Produktion nicht von heute auf morgen runterfahren.

Milchbauern besser entlohnen

„Wir sind kein Industriebetrieb, der seine Maschinen einfach abstellen kann“, sagt Menzer. In seinen Ställen stehen 600 Milchkühe, die versorgt und gemolken werden müssen. Den Milchausstoß könnte er nur drosseln, in dem er seine Milchkühe zur Schlachtbank führt. Ein Gedanke, mit dem sich aber kein gestandener Landwirt anfreunden kann. Zudem kann sich die Marktlage wieder bessern. Menzer hat nur wenig Hoffnung, dass die Handelsketten die Krise entschärfen. Sie könnten ja den Molkereien mehr zahlen, damit die wiederum die Milchbauern besser entlohnen. „Doch das ist mit dem Grundsatz der Marktwirtschaft nicht vereinbar.“ Letztlich bleibt nur zu hoffen, dass sich die Weltwirtschaft erholt.

Bis dahin versuchen die Reinholdshainer, die Verluste über den Ackerbau auszugleichen. Regionalbauernverbandschef Henryk Schultz nennt das Quersubventionierung. Das machen viele. So auch der Cunnersdorfer Bauer Jochen Böhme, bei dem 120 Milchkühe im Stall stehen. Sein Glück sei, sagt er, dass er in den letzten Jahren immer wieder investiert und Flächen gekauft habe. Deshalb braucht er jetzt keine Pacht zahlen und kann noch zwei, drei Jahre weiterwirtschaften, ohne umfangreich investieren zu müssen. Ähnlich gehen auch die Reinholdshainer Landwirte vor. Seit Jahren bereiten sie den Neubau eines Kuhstalls vor. Mit dem sollen auch die Arbeitsbedingungen der zehn Stallmitarbeiter verbessert werden. Doch den ersten Spatenstich wird Menzer erst setzen, wenn die Krise überstanden ist.