Seit Jahren liefern sich Bautzen und Dresden einen Wettstreit: Welche Stadt kann mit dem ältesten Weihnachtsmarkt punkten? Dresden wirbt mit der 579. Auflage des Striezelmarktes, Bautzen mit dem 629. Wenzelsmarkt. Doch die Sache ist komplizierter, als es die Jahresangaben vermuten lassen. Die SZ sprach dazu mit der Dresdner Volkskundlerin Dr. Heidrun Wozel. Die 68-Jährige hat bereits zwei Monografien über den Striezelmarkt verfasst und gilt als Expertin der Marktgeschichte .
Frau Wozel, Bautzen und Dresden beanspruchen beide den ältesten Weihnachtsmarkt Deutschlands für sich. Wer hat denn nun recht?
Striezelmarkt und Wenzelsmarkt kann man gar nicht so einfach vergleichen. Da muss man schon tiefer in die Quellen schauen. Das reine Vergleichen von Jahreszahlen reicht nicht aus.
Aber es begannen doch beide vor Jahrhunderten als Fleischmärkte, die sich zu Weihnachtsmärkten entwickelt haben – oder etwa nicht?
Das stimmt. Im Mittelalter gab es in allen Städten Märkte, um frische Lebensmittel vom Land verkaufen zu können. Die Fleischmärkte vor Weihnachten spielten eine besondere Rolle: Nach der vorweihnachtlichen Fastenzeit durften die Leute wieder Fleisch essen. Schließlich waren damals Bautzen und Dresden noch katholisch. Vielleicht gab es in anderen Städten sogar noch ältere Fleischmärkte als bei uns.
Warum kommt man dann ausgerechnet in Dresden darauf, mit dem ältesten Weihnachtsmarkt zu werben?
Weil es einen fundamentalen Unterschied zu Städten wie Bautzen gibt. Bereits in der Dresdner Urkunde über das fürstliche Marktprivileg von 1434 ist ein Bezug zum „Heyligen Christs Abendt“ erkennbar. Und dieser weihnachtliche Charakter lässt sich in anderen Städten nicht belegen. Dresden ist in dieser Zeit einmalig!
Diese eine Formulierung macht also den ganzen Unterschied aus?
Nein. Ich habe mich mit der Geschichte des Bautzener Markts beschäftigt. Selbst wenn man dessen Urkunde von 1384 tatsächlich finden würde: Wenzelsmarkt und Striezelmarkt könnten überhaupt nicht in einen Konkurrenzkampf ums frühere Gründungsjahr treten.
Warum nicht?
Weil etwa die bekannte Bautzener Reymann-Chronik lediglich auf einen reinen Fleischmarkt verweist. Dem fehlt völlig der weihnachtliche Bezug. Vor allem aber fehlt eine durchgehende Tradition. Reymann selbst schreibt: Der Bautzener Fleischmarkt bestand nur bis in die 1860er-Jahre hinein „und ging bald darauf von selbst ein“. Das bestätigt auch das Deutsche Städtebuch von 1941. Das ist hart für Bautzen. Schließlich hatten um 1860 schon viele Städte einen Weihnachtsmarkt – etwa Frankfurt/Main, Nürnberg, Hamburg oder München. Der Striezelmarkt schlägt deshalb ganz klar den Wenzelsmarkt.
Wieso? Wie sah das denn damals auf dem Dresdner Markt aus?
Der Striezelmarkt war spätestens nach 1800 ein richtiger Weihnachtsmarkt. So schreibt etwa Wilhelm von Kügelgen in seinen Jugenderinnerungen von einem Budengewimmel, dekorierten Weihnachtsbäumen und erleuchteten Krippen. Selbst der Schornsteinfeger aus gebackenen Pflaumen ist schon dabei. Damals kamen vor dem Fest Kunsthandwerker aus ganz Sachsen und sogar aus Thüringen auf den Striezelmarkt, um ihre Erzeugnisse anzubieten. Aus Bautzens Fleischmarkt dagegen ist nie ein Weihnachtsmarkt geworden.
Was war der entscheidende Grund für die Entwicklung in Dresden?
Die Nachfrage: In der Residenzstadt Dresden waren schon im 17. Jahrhundert getöpfertes Puppengeschirr und geschmiedete Schmuckstücke für Kinder im Angebot. Das konnten sich nur wohlhabende Familien leisten – etwa aus der Hofgesellschaft oder dem vermögenden Bürgertum. Zu der Zeit drängten sich jedenfalls so viele zugereiste Anbieter auf dem Striezelmarkt, dass sich die einheimischen Händler über die große Konkurrenz beschwerten.
Vielleicht gab es zu der Zeit etwas Ähnliches auch in Bautzen?
Ich kann nicht ausschließen, dass so ein Handel dort auch floriert hat. Allerdings kenne ich keinen einzigen Bericht dazu.
Waren Sie denn überhaupt schon einmal auf dem Bautzener Wenzelsmarkt?
Selbstverständlich! Gleich, nachdem die Diskussion über das Alter der Weihnachtsmärkte aufkam, bin ich nach Bautzen gefahren, um mir den Markt anzusehen.
Und was war ihr Eindruck?
Der Wenzelsmarkt ist ein sehr schöner Weihnachtsmarkt, wie er da zwischen den Barockfassaden, dem Rathaus und dem Reichenturm liegt. Ich finde, eine Neiddebatte über das Alter hat Bautzen gar nicht nötig.
Gespräch: Christoph Scharf
Literaturtipp: Heidrun Wozel, „Der Dresdner Striezelmarkt“, Husum 2009, 12,95 Euro.