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Stromsperren und Stalinfett

Das tägliche Leben im Krieg war für die Menschen in der Heimat schwer. Zu Einquartierung und Hunger kamen Todesnachrichten.

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© Repro:SZ

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Die Herzschmerzen werden täglich schlimmer, das ist das Ende unseres Vaterlandes!“ So schrieb die junge Großenhainerin Herta Jacob kurz vor Kriegsende in ihr Tagebuch. Und sie fügte tief verzweifelt hinzu: „Es war so schön vor dem Krieg – vielleicht werden wir alle nach Sibirien abtransportiert.“

Luftwaffenparade auf der Naundorfer.
Luftwaffenparade auf der Naundorfer.
Hitlerjugend im Bergkeller Fotos: Stadtverwaltung.
Hitlerjugend im Bergkeller Fotos: Stadtverwaltung.
„Erhalten bleiben muss die deutsche Nation. Um sie zu erhalten, ist kein Opfer zu wenig.“ Schriftzug am Dianabrunnen 1938.
„Erhalten bleiben muss die deutsche Nation. Um sie zu erhalten, ist kein Opfer zu wenig.“ Schriftzug am Dianabrunnen 1938.

Der Zweite Weltkrieg brachte für die Menschen zu Hause immer größere Schwierigkeiten, je mehr er sich dem Ende zuneigte. Daran erinnern sich viele Zeitzeugen. Einige wurden von Diana Schulze in ihrer Arbeit „Die Stunde Null in Großenhain“ im Jahr 2000 befragt. So erzählte Lehrerin Marianne Radlach, dass sie zwar als „Kriegerfrau“ finanzielle Unterstützung erhielt, weil ihr Mann im Krieg war. Doch Geld war nicht entscheidend, Tauschgeschäfte waren ertragreicher: zum Beispiel Meißner Porzellan gegen Butter.

Wie viele Großenhainer war Marianne Radlach verpflichtet, Bombenopfer und Flüchtlinge aufzunehmen. Das Zusammenleben war nicht immer problemlos.

Schon den Kindern wurde das Verhalten bei Fliegeralarm an den Schulen beigebracht. Jede Klasse soll einen eigenen Luftschutzkeller gehabt haben. Die Schulpflicht bestand in Großenhain bis zum 17. April 1945 und musste bei Strafe auch eingehalten werden. Doch viele Kinder seien nicht mehr leistungsfähig gewesen. Besonders in den letzten Kriegswochen mussten die Kinder Holz oder ein Stück Kohle mitbringen, was dann zum Feuern genutzt wurde. Bei zu erwartenden Luftangriffen herrschte Verdunklungsbefehl. Alle Fenster und Türen mussten zugehangen und alle Lampen unter den Tisch gestellt werden. Freizeit hatten die Großenhainer Marianne Radlachs zufolge im Krieg kaum.

Sekretärin Helga Haucke erinnerte sich an das Essen zu jener Zeit. Eine Mahlzeit nannte sich Stalinfett und wurde aus Zwiebeln, Öl, einem Löffel Mehl und Majoran zubereitet. Maria Eigenmann, damals Schülerin, erzählte von Kaffeekuchen, bei dem der Kaffeesud unter den Teig gemischt wurde. Es gab Lebensmittelkarten, doch die zugeteilten Mengen waren gering, und die Frauen mussten sehen, wo sie noch etwas beschaffen konnten. Einseitige Ernährung führt zu Mangelerscheinungen. Für Tuberkulose-Kranke gab es auf Zuteilung Milch und Butter.

Sperrstunden für Gas und Strom

Helga Haucke gibt an, dass es Tanzverbot gab. Doch im Kino wurden alte Ufa-Filme gezeigt. Strom- und Gassperrstunden waren jedoch schon ab 22. Januar 1945 aus Energiespargründen regelmäßig an der Tagesordnung. In diesen Sperrstunden durften Gas und Strom nur zum Kochen und für den allernötigsten Bedarf genutzt werden. Jegliche andere Verwendung war strengstens untersagt. Gab es keinen Strom, blieb auch das Radiogerät stumm.

Einprägsam war für viele Großenhainer das Eintreffen der Flüchtlingstrecks ab 1945. Sie kamen meist aus Schlesien und machten auf dem Neumarkt halt. Die Flüchtlinge hatten nur das Nötigste bei sich, sie waren geordnet nach Dorfgemeinschaften. Immer der Erste trug ein Schild mit dem Namen der Heimatgemeinde und des Kreises.

Elisabeth Döbler war als Sechsjährige mit ihrer Familie von Großenhain bis etwa Roßwein geflohen. Ihre Tante, die ihr kurz vorher noch das Essen erbarmungslos mit „Na den letzten Löffel noch für Adolf Hitler“ in den Mund gerammt hatte, verbot ihr wenige Tage später – der Führer hatte sich am 30. April selbst gerichtet – mit Heil Hitler zu grüßen. „Wir waren auf der Flucht, die Todfeinde immer auf den Fersen. Schließlich von ihnen eingeholt, hatten wir die von Anfang an sinnlose Flucht abgebrochen“, erzählt Elisabeth Döbler.

Einen Eindruck, wie es damals für junge Männer war, vermittelt Martin Thiele aus Riesa, damals Ermendorf. Er schreibt, dass er zu Jahresbeginn 1945 in Schloss Zschorna war. Es nannte sich Bannausbildungslager für Wehrertüchtigung. Der Lagerleiter hieß Hofeld. „Wir waren fast alle Bauernsöhne, die im März 1944 die Oberschule verlassen hatten“, so Thiele. Die Zimmer in Zschorna hatten Namen von Kriegshelden. „Wir hatten Ausbildung an der Panzerfaust und am Karabiner. Es gab aber auch Fachunterricht für Landwirtschaft“, so Thiele. Und täglich eine Stunde Singen. „Wir lernten: „Nach Ostland geht unser Ritt“ und „Führer befiehl, wir folgen Dir“.“ Die jungen Männer mussten bei Schneegestöber marschieren und Holzstämme aus dem Wald holen. Damit sollte eine Panzersperre gebaut werden. Martin Thiele: „Zum Abschluss des Lehrganges mussten wir uns entweder zur SS oder zum Volkssturm verpflichten. Einen anderen Ausweg gab es nicht.“ Das Verhältnis zum Lagerleiter sei kein gutes gewesen. Thiele bekam bald darauf den Einberufungsbefehl für den 24. April. Aber einige Tage zuvor war die Rote Armee dort einmarschiert. Damals war er gerade 15 Jahre jung.