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Tod eines Stabsfeldwebels

Die Linksregierung in Thüringen will beweisen, dass sie die DDR-Aufarbeitung ernst nimmt. Sie rollt sogar einen Todesfall bei den Grenztruppen auf.

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© Bernd Edelmann

Von Eike Kellermann, Erfurt

Erfurt. 2. Februar 1977, DDR-Grenzkompanie Erbenhausen in der Rhön. An diesem Wintertag wird der 27 Jahre alte Stabsfeldwebel Hans-Jürgen Neuber tot in seiner Stube gefunden. Wie üblich in solchen Fällen ermittelt die Staatssicherheit. Das Ergebnis: Der Grenzsoldat habe sich – wenige Monate vor Ende seiner Dienstzeit – mit seiner Dienstpistole „Makarow“ selbst erschossen.

9. September 2015, Friedhof von Erbenhausen. An diesem Tag öffnen Experten der Berliner Charité das Grab des Grenzsoldaten Neuber. Sie bergen den überwiegend erhalten gebliebenen Holzsarg, in dem sich Knochen und Knochenfragmente befinden. In Auftrag gegeben wurde die Exhumierung von der Landesregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Seit die rot-rot-grüne Koalition regiert, will Ramelow die Kritiker widerlegen, die ein Ende der DDR-Aufarbeitung in Thüringen befürchten.

Witwe zweifelt an Suizid

Deshalb auch die Exhumierung in Erbenhausen. Vorausgegangen war ein Appell von Vera Koch, der Witwe des toten Grenzsoldaten. Die 67-Jährige glaubt nicht an einen Selbstmord. Der Bild-Zeitung sagte sie: „Es war die Liebe des Lebens für uns beide. Wir waren jung, hatten gerade ein Häuschen gekauft. Er hatte keinen Grund, sich umzubringen.“

Als im Herbst 2014 SPD und Grüne mit der Linkspartei über eine Koalition verhandelten, verlangten sie unmissverständlich ein Bekenntnis zum DDR-Unrecht. Gegen heftigen Widerstand aus der Bundespartei war Ramelow dazu bereit. Im Koalitionsvertrag wird die DDR daher als „Unrechtsstaat“ beschrieben. „Ich habe mich lange Zeit davor gedrückt, das Wort für die DDR anzuwenden“, gab Ramelow später zu.

Selbst Bürgerrechtler zeigten sich vom neuen Geist in Erfurt angetan. „Ich finde es gut, dass endlich ein verantwortlicher Politiker der Linken nicht eiert“, befand Rainer Eppelmann, der als Pfarrer in der DDR verfolgt wurde und nach der Wende Verteidigungsminister war. Die Thüringer Regierung untersucht inzwischen den Tod des in Görlitz geborenen Dissidenten Matthias Domaschk, der 1981 unter mysteriösen Umständen in der Stasi-Haftanstalt Gera ums Leben kam. Zudem wurde der Todesfall Neuber aufgerollt.

Keine Hinweise für Manipulation

Der Leiter des Rechtsmedizinischen Instituts der Charité, Michael Tsokos, untersuchte die sterblichen Überreste im Computertomografen. Laut Erfurter Staatskanzlei kam Tsokos zu dem Ergebnis, „dass sich die Befunde des Kopfschusses bei dem DDR-Grenzsoldaten Neuber mit einem Suizid in Einklang bringen lassen“. Der Rechtsmediziner wertete zudem das 1977 angefertigte Sektionsprotokoll sowie die damals entstandenen Fotos aus. Dabei habe er „keine Hinweise für die Manipulation von Ermittlungs- oder Untersuchungsberichten“ gefunden.

Die Witwe akzeptiert das Ergebnis jedoch nicht. Und Ramelows Regierung will keinen Anlass liefern, ihren Aufklärungswillen zu bezweifeln. Daher sollen Fachleute der Thüringer Polizei nun noch einmal die Stasi-Akten zum Fall des toten Stabsfeldwebels unter die Lupe nehmen.