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Triumph der Claudiahaftigkeit

Claudia Roth, die mütterliche Führungsfigur der Grünen, wird Vizepräsidentin des Bundestages.

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© dpa

Von Sven Siebert

Es ist ein hohes Amt, für das die Grünen gestern ihre scheidende Vorsitzende nominiert haben. Claudia Roth, die – mit zweijähriger Unterbrechung – seit 2001 an der Spitze der Partei stand, soll Vizepräsidentin des Bundestages werden. Ihre Wahl in der kommenden Woche gilt als sicher. Sie wird dann Sitzungen des Parlaments leiten und den Bundestag im In- und Ausland repräsentieren.

Es gibt nicht wenige, die mit der Vorstellung, Claudia Roth trete als Botschafterin unseres Landes auf, nicht nur positive Gefühle verbinden. Die 58-Jährige polarisiert. Mancher zappt reflexartig weg, wenn Roths goldener Pagenkopf auf dem Fernsehbildschirm erscheint. Das liegt sicher auch an der unverwechselbaren augenrollenden Claudiahaftigkeit, mit der die Politikerin das Unrecht in allen Teilen der Welt beklagt.

Zu Roths Auftritten gehört gelegentlich eine gewisse dramatische Empörung. Wer darin allerdings nur eine überzogene Attitüde sieht, tut ihr Unrecht. Ihr Kampf gegen das Unrecht hat einen aufrichtigen und ernsten Kern.

Der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein oder der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger betrachten Roth als Freundin. Beide sind über jeden Verdacht, links-grünen Positionen anzuhängen, erhaben. Und beide fanden in Roth eine ernsthafte Gegnerin oder Partnerin, wenn es um das Engagement für Menschenrechte oder den Kampf gegen Rassismus ging.

In ihrer Partei spielte Roth in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle. Sie begann ihr Berufsleben in den 70er-Jahren als Dramaturgin und Managerin der westdeutschen Rockband „Ton Steine Scherben“. Ihre Erfüllung fand sie aber als mütterliche Führungsfigur der Grünen.

Auch dort gibt es viele, die „die Claudia“ belächeln. Und doch nötigt es allen Respekt ab, mit welcher Verve sie einen Grünen-Parteitag zum Johlen bringen kann. Roth hat es sich nicht zur Aufgabe gemacht, die Grünen zu neuen Ufern zu führen. Sie ist eine Gegnerin eines Regierungsbündnisses von Grünen und Union. Aber sie konnte, wenn es darauf ankam, den Ton treffen, der den grünen Laden zusammenhielt. Die Partei wollte sie dieses Jahr nicht mehr zu ihrer Spitzenkandidatin machen. Doch ganz lassen die Grünen ihre Claudia auch nicht fallen.