Von Sven Geisler
Lange hat er es geschafft, die Gedanken zu verdrängen. Doch als Marcel Franke beim Relegationsspiel auf der Tribüne sitzt, als er spürt, wie das Stadion bebt, wird ihm bewusst, dass es vorbei ist. „Das ist ein Schlag“, sagt der 20-Jährige. Seit ihn seine Oma 1998 beim Probetraining angemeldet hat, spielte der Dresdner bei Dynamo. Obwohl er mit viereinhalb eigentlich zu jung war, meinte Übungsleiter Jan Hille: „Der ist groß, der kann schon mitmischen.“

Inzwischen misst der quirlige Bursche von einst stattliche 1,93 Meter und galt noch vor einem halben Jahr als eines der größten Talente aus dem schwarz-gelben Nachwuchs. Am 8. Dezember 2012 stand er zum ersten Mal in der Startelf; nicht auf seiner angestammten Position in der Innenverteidigung, sondern im defensiven Mittelfeld. „Der Debütant ist der einzige Lichtblick“, urteilt die SZ nach der 0:3-Schlappe zu Hause gegen den VfL Bochum. „Danach habe ich mir natürlich Hoffnungen gemacht, öfter spielen zu dürfen. Aber das ging ganz schnell nach hinten los“, sagt Franke.
Schon in der nächsten Partie saß er wieder draußen, obwohl Sportchef Steffen Menze als Interimscoach bei 1860 München sogar drei sogenannte Sechser aufgeboten hatte. „Da war ich schon sehr enttäuscht, nicht spielen zu dürfen.“ Ins zweite Trainingslager in die Türkei durfte er dann schon nicht mehr mitfliegen. Eine Erklärung dafür hat er nie bekommen. „Ich bin zum Trainer ins Zimmer gegangen und habe gefragt, ob er mal eine Minute Zeit für mich hat. Aber er schaute nur flüchtig zu mir und meinte: Nein, ich habe jetzt keine Zeit dafür.“ Franke wartete mehr als eine Dreiviertelstunde mit den anderen Aussortierten Cüneyt Köz, Hasan Pepic und Toni Leistner in der Kabine darauf, dass ihnen einer sagt, wie es weitergeht. Aber erst drei Stunden später erhielten sie eine SMS vom Co-Trainer, dass sie sich am Nachmittag beim Training der Zweiten melden sollen.
„Damals bin ich noch davon ausgegangen, dass ich weiter bei den Profis trainieren darf“, erzählt Franke. Aber daraus wird nichts. Auch das erfährt er nicht von Pacult, sondern von Thomas Köhler, dem Trainer der Oberliga-Mannschaft. „Er meinte zwar, Herr Pacult wolle noch mal mit mir darüber reden. Aber das ist bis heute nicht passiert. Auch Herr Menze hat sich nie gemeldet.“
Dabei hatte der Sportchef noch im November mit ihm über eine Vertragsverlängerung gesprochen. Nach Menzes Darstellung habe Franke das Angebot jedoch abgelehnt, was den Verdacht nahelegt, er sei mit den finanziellen Konditionen nicht einverstanden gewesen. „Was da stand, hat mich sicher nicht vom Hocker gerissen, aber darüber haben wir überhaupt noch nicht geredet“, berichtet Franke. Vielmehr habe er darauf bestanden, dass die mündliche Zusage, sich zu einem anderen Verein ausleihen lassen zu können, schriftlich verankert wird.
Aus gutem Grund. Mit Leistner, dem im Jahr zuvor ein Wechsel zum Halleschen FC verweigert worden war, hatte Franke ein abschreckendes Beispiel im Verein. „Ich gehörte damals so gut wie nie zum Kader für die Zweitliga-Spiele, habe keine Entwicklungsmöglichkeit gesehen. Deshalb erschien es mir auch einfach zu früh, für weitere drei Jahre bei Dynamo zu unterschreiben.“ Im Trainingslager Anfang Januar in der Türkei führte sein Berater Björn Bezemer noch einmal ein Gespräch mit Menze. „Da hieß es: Der Trainer hält viel von dir.“ Franke blieb skeptisch, und wie sich herausstellen sollte zu Recht. Ins zweite Camp durfte er nicht mehr mitfliegen. Später spielte im Training ab und zu sogar der 41-jährige Co-Trainer Nico Däbritz in der Innenverteidigung.
„Da kommst du dir veralbert vor, fühlst dich abgeschoben“, sagt Franke. „Ich bin in ein tiefes Loch gefallen.“ Seine Hoffnung zu erfahren, warum er plötzlich komplett außen vor war, erfüllt sich nicht. Er habe sich nicht wie gewünscht entwickelt, erklärt Menze einmal auf Nachfrage der SZ. „Ohne Spielpraxis und Training auf hohem Niveau kann man sich nun mal nicht weiterentwickeln“, hält Franke dagegen.
Deshalb geht er jetzt nach Halle in die 3. Liga. Es gab andere Alternativen. Aber HFC-Trainer Sven Köhler, einst Assistent von Christoph Franke in Dresden, bietet ihm „das, was bei Dynamo gefehlt hat: eine Perspektive“. Der Abschied fällt Franke trotzdem schwer. „Erst während des Spieles gegen Osnabrück habe ich verinnerlicht, dass es für mich nach 15 Jahren im Verein wirklich zu Ende geht“, meint er. „Wenn ich mit dem Klub nichts am Hut hätte, würde ich vielleicht sagen: Na und, woanders kann es auch schön sein. Aber Dynamo ist für mich ein Stück Heimat. Abgehakt wird das deshalb für mich nie sein. Aber ich freue mich auf die Zeit in Halle.“
Es schmerzt ihn, nicht zu wissen, ob er es hätte schaffen können, „weil ich keine Chance hatte, es schaffen zu dürfen“. Dynamo verliert mit Franke einen Local Player, also einen, der zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr mindestens drei Spielzeiten im Verein ausgebildet worden ist. Vier müssen zum Aufgebot gehören. In der abgelaufenen Saison waren das außer ihm noch Lars Jungnickel, der seine Karriere beendet, Leistner, der aus Halle nicht zurück will, und – Däbritz.