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Tschüss, München

Susann und Kristian Szücs sind zurück in der Heimat. Sie sind nicht die einzigen, die umziehen – und auf Geld verzichten.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Eigentlich hätten sich Susann und Kristian Szücs schon früher in Görlitz kennenlernen müssen. Beide wurden 1980 hier geboren, besuchten sogar mal für ein halbes oder dreiviertel Jahr die gleiche Krippe am Lindenweg, hatten gemeinsam Jugendweihe. Doch gleich nach dem Abitur 1998 verließen sie die Heimat, ohne sich jemals wirklich kennengelernt zu haben.

Das holten sie in München nach, wo sie viele Jahre bei der gleichen Krankenkasse beschäftigt waren und im Juni 2004 ihr erstes „richtiges Treffen“ in einem Biergarten hatten. Fünf Jahre später heirateten sie in der Heimatstadt und jetzt – sechzehneinhalb Jahre nach dem Weggang und elf Jahre nach dem eigentlichen Kennenlernen – sind die beiden 34-Jährigen zurück in Görlitz. Sind gekommen, um zu bleiben.

Eine Arbeit zu finden, war nicht ganz einfach. Der Computer-Spezialist wurde bei der InfoTech GmbH in der Südstadt fündig. Hier behebt er IT-Störungen für die Kunden. Seine Frau wollte den Krankenkassen treu bleiben – und konnte am Ende sogar aus zwei Angeboten wählen. Bis Ende Januar waren beide in München beschäftigt, der Februar musste zum Umziehen, Einrichten und Ankommen reichen, seit März haben beide Vollzeitjobs in Görlitz – und Sohn Paul geht in die Kinderkrippe.

„Klar“, sagt Kristian Szücs, „hier haben wir monatlich schätzungsweise 800 Euro weniger zum Ausgeben, das spürt man schon.“ Auf der anderen Seite aber sind auch die Preise niedriger: In Görlitz haben sie eine Vier- statt einer Dreiraum-Wohnung gemietet, haben 25 Quadratmeter mehr – und zahlen dafür 100 Euro weniger im Monat. Und auch die kleinen Dinge kosten weniger. „Fünfzig Euro haben in München für eine Woche geradeso zum Mittagessen gereicht, in Görlitz komme ich damit zwei oder zweieinhalb Wochen hin.“

Mit ihrem Schritt liegen Susann und Kristian Szücs sogar im Trend. Immer wieder mal kehren Görlitzer oder ganze Familien zurück, die einst aus beruflichen Gründen die Heimat verlassen haben. In Zahlen fassen lässt sich das allerdings nicht. Die Einwohnerzahl von Görlitz ist in den vergangenen Monaten zum wohl ersten Mal seit 1945 gestiegen und hat im Januar mit 54 964 Menschen wieder an der 55 000er Grenze gekratzt. Hier spielen auch Rückkehrer mit hinein. Der Hauptzuwachs allerdings kommt durch die Asylbewerber.

Aktuell 21 freie Stellen im Kreis

Auch das Internetportal „Sachse komm zurück“ kann seine Erfolge nicht in Zahlen messen. „Verschwindet eine Stelle aus der Börse, kann es dafür mehrere Gründe geben“, erklärt Lars Fiehler, Pressesprecher der IHK Dresden. Die Frist könne abgelaufen sein, das Angebot zurückgezogen, weil kein Bedarf mehr besteht – oder die Stelle wurde vergeben. Eine Meldepflicht an die IHK gibt es dazu nicht. „Zudem steht die Börse natürlich allen Bewerbern offen, ob nun Rückkehrer oder nicht“, sagt er. So bleibe letztlich nur die Nutzung der Plattform als Indikator, ob sie sich bewährt oder nicht. Meist bewege sich die Zahl der inserierten Stellen zwischen 80 und 120, wobei ein häufiger Wechsel zu beobachten sei, was durchaus für einen Nutzen für die Betriebe sprechen sollte. „Würden sie über diesen Weg keine Bewerbungen bekommen, würden sie über kurz oder lang auch nicht mehr inserieren“, sagt Fiehler.

Der Görlitzer IHK-Chef Christian Puppe weiß, dass in den ersten Jahren der Aktion, von 2003 bis 2008, von rund 140 angebotenen Stellen exakt 101 besetzt werden konnten. Allerdings kamen auch damals schon nicht alle Interessenten aus den alten Bundesländern zurück. Und ganz aktuell werden auf der Internetseite von „Sachse komm zurück“ im Landkreis Görlitz 21 Stellen angeboten, darunter sieben im Sektor Industrie/Bau/Handwerk, der Rest bunt verteilt auf unterschiedliche Branchen.

Viele Zahlen hat auch Heiko Kammler nicht. Als Geschäftsführer von InfoTech ist er der Chef von Kristian Szücs. „Auf jeden Fall werden es immer mehr qualifizierte Rückkehrinteressierte, vor allem aus Süddeutschland“, so Kammler. Ähnliches hört er auch aus anderen Firmen. Allerdings: Während es früher viel mehr Bewerber als offene Stellen gab, habe sich die Situation inzwischen umgekehrt. Um Leute wirklich nach Görlitz zurückholen zu können, müsse das Gesamtpaket stimmen: „Dazu gehören neben Jobs für beide Ehepartner auch Kinderbetreuung und Wohnraum.“

Auch Susann und Kristian Szücs wären ohne passende Jobs nicht zurückgekehrt. Die Hauptgründe für den Wechsel aber liegen im Privaten. Große Teile der Familien beider Eheleute wohnen in Görlitz. „Da können die Großeltern auch ganz kurzfristig einspringen und Paul zum Beispiel von der Krippe abholen“, sagt Susann Szücs. Ihr Mann hatte vorher jeden Tag zwei Stunden Arbeitsweg. In Görlitz braucht er zu Fuß ganze sieben Minuten. Sein Anspruch, so Kristian Szücs, sei es, seinen Sohn am Morgen und Abend sehen zu können: „Um eine entspanntere Familie zu werden, war es der nächste logische Schritt, nach Görlitz zu ziehen.“ Geholfen hat die große Hilfsbereitschaft, die sie hier erfahren haben: „Von der Stadtverwaltung bis zum Möbelhaus, vom Vermieter bis zur Kita haben uns alle unterstützt“, lobt der Familienvater. Vor allem sei die ganze Familie immer da gewesen – auch diejenigen, die sie in den Münchener Jahren kaum gesehen haben, weil bei Besuchen keine Zeit blieb.

München künftig als Urlaubsort

Und noch etwas sprach für die Rückkehr: Der Wunsch nach dem Traumhaus. „Das konnten wir in München finanziell vergessen“, sagt Kristian Szücs. In Görlitz aber will er bauen – mit allen Raffinessen. Er wünscht sich ein 20 Quadratmeter großes Badezimmer: „Wie auf unserer Hochzeitsreise im Hotel.“ Allerdings gibt es dafür noch kein Grundstück. Erst einmal will die Familie so richtig in der Heimat ankommen, auf Arbeit die Probezeit gut meistern – und dann die Augen offenhalten. Frühestens nächstes oder übernächstes Jahr steht das Thema an. Bis dahin sind sie in der Mietwohnung in der Südstadt zufrieden. Das Auto steht hier in der Tiefgarage. „Manchmal brauchen wir es die ganze Woche nicht“, sagt er. Noch so ein Vorteil gegenüber München. Wobei: Wohlgefühlt haben sie sich auch dort, hatten Freunde, waren integriert, konnten von der Wohnung die Alpen sehen. Beim Abschied, sagt Susann Szücs, sind auch Tränen geflossen. Aber München ist nicht aus der Welt: „Wenn Paul ein bisschen größer ist, wollen wir dort jedes Jahr eine Woche Urlaub machen.“ Heimat, Familie und Lebensmittelpunkt aber, das ist nun wieder Görlitz.