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Über 600 Patienten pro Woche

Noch ist die Versorgung mit Hausärzten in der Region gut. Doch der Blick in die Zukunft ist düster.

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© Dietmar Thomas

Von Maria Fricke

Döbeln. Rente? Davon will Hartmut Frisch nichts hören. Der 58-Jährige ist seit 1991 niedergelassener Hausarzt in Döbeln. „Was will ich denn mit 65 den ganzen Tag zu Hause?“, fragt der Diplom-Mediziner. Seine Vorstellung für die Zukunft: Bis 65 arbeiten, wenn die eigene Gesundheit mitmacht, und dann so langsam kürzer treten. „Im vollen Praxisbetrieb zu arbeiten, das kann ich mir dann nicht mehr vorstellen“, sagt der Arzt, der nach eigenen Angaben pro Quartal 2 000 Patienten behandelt.

„In der ersten Woche, ich bin seit 2. Januar wieder im Dienst, hatten wir fast 630 Patienten hier. Allein an diesem Montag waren es 180“, schildert Frisch. Doch längst nicht alle kommen bis zu ihm ins Sprechzimmer. „Die Schwestern haben die meiste Arbeit. Von den 180 Patienten war am Montag nur knapp die Hälfte auch bei mir“, sagt Frisch. Der Rest käme unter anderem wegen Folgerezepten oder Pflegedienst-Berichten. Mit dem genannten Patientenaufkommen liegt Frisch deutlich über dem Döbelner Durchschnitt, der nach Angaben von Ingo Mohn, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS), bei 1 000 Fällen pro Quartal liegt.

Den Daten der KVS zufolge sind im Altkreis derzeit 44 Mediziner als Hausärzte tätig. Weil nicht alle in Vollzeit arbeiten – 15 sind angestellte Ärzte in den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und arbeiten meist Teilzeit – liegt der Versorgungsgrad bei fast 98 Prozent. Da sei keine eine Unterversorgung, denn diese tritt erst bei einem Versorgungsgrad von 75 Prozent ein, sagt Mohn. Das Aufkommen an Allgemeinmedizinern in der Region sei gut. Trotzdem gebe es Potenzial. Fünfeinhalb neue Hausarzt-Stellen wären derzeit noch möglich. Dann ist Zulassungsstopp. „Eine Tätigkeitsaufnahme ist dabei nicht auf einzelne Städte oder Gemeinden beschränkt“, so Mohn. In den vergangenen drei Jahren haben neun Ärzte im Raum Döbeln ihre Tätigkeit neu aufgenommen oder angefangen, mehr zu arbeiten. Im Gegenzug dazu sind sechs in ein Anstellungsverhältnis gewechselt, haben ihr Arbeitspensum reduziert. Für Frisch ist der Wechsel in ein MVZ kein Thema. „Wer einmal selbstständig gewesen ist, der wechselt nicht“, sagt er.

Trotzdem sieht er die MVZ als Chance. Sie hätten um 2000 die Lage in Döbeln entspannt. „Um die Zeit war die Stadt kurz vor dem Notstand“, erinnert sich Frisch. Einige Kollegen seien damals in den Ruhestand gegangen. Bis dahin habe er entspannt in seinem Beruf gearbeitet. „Wir hatten von Anfang bis Ende der 90er Jahre etwa 1 400 Patienten pro Quartal.“ Als sich die Notlage andeutete, hätten erst die MVZ die Lage entspannt. „Eine Neuniederlassung ist mir nicht bekannt“, so Frisch.

Doch nicht nur das Patientenaufkommen hat sich in der Praxis von Frisch erhöht. Auch die Zeit, die er für die Patienten benötigt, hat zugenommen. „Für einen älteren Menschen reichen 15 bis 20 Minuten meistens nicht aus“, so der Mediziner. Und fast 50 Prozent seiner Patienten sind bereits über 60. „Aber zum Glück haben wir auch noch die anderen 50 Prozent“, meint Frisch. Deren Behandlung gehe in einigen Fällen, zum Beispiel bei einer Erkältung, schneller. Dass die Behandlungszeit zugenommen hat, liege jedoch nicht nur am Alter. „Früher hat es gereicht, einen Herzinfarktpatienten einmal im Jahr zu sehen. Heute muss er regelmäßig zur Kontrolle“, schildert Frisch. Den Spaß an der Arbeit verdirbt ihm die zunehmende Reglementierung. „Man möchte gern etwas für den Patienten tun, aber kann es nicht, weil das Budget erschöpft oder etwas im Katalog nicht vorgesehen ist“, erklärt er.

Drei Ärzte bereits über 70 Jahre alt

Trotz allem, die aktuelle Lage im Bereich Hausärzte in Döbeln sorgt bei den ansässigen Kollegen derzeit weniger für Kopfzerbrechen. Es ist vielmehr der Blick in die Zukunft. „In sieben bis zehn Jahren wird die Situation akut“, so die Döbelner Allgemeinmedizinerin Rosemarie Wockenfuß. Ein Blick auf den Altersdurchschnitt der Hausärzte bestätigt die Ängste. Er liegt derzeit bei 53 Jahren. Drei Ärzte sind nach Angaben von KSV-Sprecher Ingo Mohn über 70 Jahre alt, sechs jünger als 40. Mehr als die Hälfte hingegen ist zwischen 50 und 60, und damit in fünf bis zehn Jahren eigentlich im rentenfähigen Alter.

Und nicht jeder denkt so, wie Hartmut Frisch, und will noch darüber hinaus weiter praktizieren. „Ich plane so, dass ich in einigen Jahren jemanden mit reinnehme, der eventuell die Praxis später mal übernimmt“, sagt der 58-Jährige. Nach und nach wolle er kürzer treten. Die Frage: Wird er jemanden für die Stelle finden?

Schon jetzt will kaum jemand als Mediziner nach Döbeln. „Es ist relativ schwer, ärztlichen Nachwuchs für ländliche Regionen zu finden“, beschreibt Ingo Mohn die Situation. Frisch findet es weniger problematisch, in Döbeln zu praktizieren. „Ich bin lieber hier als in Dresden. In Döbeln ist das Umfeld super“, sagt der Mediziner, der 1984 nach Döbeln gekommen ist. Frisch vermutet viel mehr, dass die Attraktivität der Allgemeinmedizin nachgelassen hat. „Für die jungen Leute ist der Beruf mit Familie und Freizeit schwer zu vereinbaren“, erklärt er. Viele würden lieber als Facharzt arbeiten, weil diese sagen könnten, sie nehmen nur eine begrenzte Anzahl an Patienten. „Bei uns geht das nicht. Da stehen die Leute Schlange vor der Tür“, sagt Frisch.

Vonseiten der KVS gibt es verschiedene Förderprogramme, mit denen Nachwuchs gewonnen werden soll. Unter anderem erhalten Ärzte bei einer Praxisneugründung, -übernahme oder der Anstellung eines Arztes bis zu 100 000 Euro als Zuschuss. Allerdings muss für den Bereich, in dem sich die Praxis befindet, vom Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Sachsen eine Unterversorgung, eine drohende Unterversorgung oder ein zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf festgestellt worden sein. Nach aktuellem Stand besteht damit für die Region Döbeln kein Förderbedarf.

KVS fördert Nachwuchsmediziner

Darüber hinaus hat die KVS das Modellprojekt „Studieren in Europa – Zukunft in Sachsen“ entwickelt. Im Rahmen dessen werden 20 Medizinstudenten gefördert, die sich im deutschsprachigen Studiengang Humanmedizin an der Universität Pécs in Ungarn aufnehmen lassen. Sie bekommen die Studiengebühren für die Regelstudienzeit im Umfang von zwölf Semestern finanziert. Als Gegenleistung dafür verpflichten sich die Studenten, die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin nach dem Studium in Sachsen zu absolvieren sowie im Anschluss für mindestens fünf Jahren als Hausarzt im ländlichen Raum außerhalb von Chemnitz, Dresden einschließlich Radebeul sowie Leipzig zu praktizieren. Im Jahr 2013 haben sich an dem Projekt auch zwei Studenten aus Geringswalde beteiligt. Weitere Projektteilnehmer aus der Region Döbeln habe es Mohn zufolge bisher nicht gegeben. Noch bis 31. Januar besteht die Chance, sich für die Teilnahme an dem Projekt zu bewerben, so Mohn.